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Das sagt die Autorin des Artikels, Pterry über sich:
Pterry ist Biochemikerin und hat keine Zeit für ein eigenes Blog. Dafür podcastet sie manchmal unter https://zellmedien.de/podcast/ und twittert unter @moepern
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Der Fisch auf dem Fahrrad
Seit jeher interessiert es die Menschen, warum sie altern und ob sich dieser Effekt eventuell irgendwie umkehren ließe. Die Geschichten über Jungbrunnen sind ebenso zahlreich wie unzuverlässig nie erwähnt wird, dass man das Wasser vielleicht trotz allem vorher abkochen sollte. Mit dem Eintritt ins Zeitalter der Molekularbiologie und Zellkultur stellte sich diese Frage erneut und in neuem Gewand: man bemerkte nämlich, dass Zellen sich in vitro nur für ein paar Generationen halten lassen, dann hören sie auf sich zu teilen. In vitro steht für auf Glas, da frühe Experimentatoren Zellen hauptsächlich auf Objektträgern oder Kulturgefäßen aus Glas hielten, und wird heute als Begriff für alle Zellen bzw. Zell-basierten Experimente genommen, die außerhalb des Körpers (in vivo) durchgeführt werden, obwohl sich mittlerweile Plastikmaterial aus Polystyrol dafür durchgesetzt hat.
Doch zurück zu den Zellen, die sich in Kultur irgendwann einfach nicht mehr teilen, sondern Anzeichen sogenannter Seneszenz entwickeln, was einfach nur bedeutet, dass sie alt sind. Bei menschlichen Zellen ist dieser Punkt – das Hayflick-Limit – nach etwa 50 Zellteilungen erreicht und zwar völlig unabhängig vom Gewebe [1] , so dass man darüber spekulierte, ob die Zellen nicht einen internen Zähler haben, mit dem sie feststellen, wie oft sie sich schon geteilt haben. Mittlerweile glaubt man diesen “Zähler” in den Telomeren gefunden zu haben. Telomere sind die Enden der Chromosomen, also der Form in der DNA im Zellkern gespeichert ist. Da freie DNA-Enden der DNA-Reparaturmaschinerie normalerweise signalisieren, dass die DNA kaputt ist, sind sie auf etwas komplexere Weise mit sich selbst verschlungen, was aber eine bestimmte DNA-Sequenz, d.h. Abfolge der Basenpaare voraussetzt. Da bei den Zellteilungen und der vorhergehenden notwendigen DNA-Verdopplung (Replikation) die Chromosomen aber nicht bis zu ihrem äußersten Ende dupliziert werden, sondern jedesmal wieder ein kleines Stück wegfällt, fehlt es irgendwann an dieser Sequenz und es geht ans Eingemachte – es werden Gene betroffen.
Ausgenommen sind hier Keim-, Stamm- und manche Krebszellen, die das Enzym Telomerase besitzen und so Telomere verlängern können. Messen (das kommt bildlich ziemlich nah ran) kann man auf jeden Fall, dass bei älteren Menschen die Telomere im Schnitt kürzer sind als die von jüngeren Menschen. Allerdings ist die Telomerlänge sehr individuell, so dass man mittlerweile der Meinung ist, dass da noch weitere Faktoren eine Rolle spielen. Vor allem, weil Mäuse z.B. wesentlich längere Telomere haben als Menschen und trotzdem nur ein Bruchteil unseres Alters erreichen. Und das Ausschalten der Telomerase in Mäusen hatte nur den Effekt, dass sie Krebs bekamen, allerdings erst in der übernächsten Generation (da waren die Telomere dann kurz genug) und interessanterweise eher Krebsarten, von denen sonst eher Menschen betroffen sind. Dauerhaft “anschalten” möchte man die Telomerase übrigens auch nicht, weil das gleichermaßen die Krebshäufigkeit erhöht. Außerdem wäre das dann ein genetischer Eingriff und Gene mag keiner, besonders nicht in Tomaten oder Soja.
Einfacher wäre es, wenn man seine Lebenszeit mit einem einfachen Mittel verlängern könnte, das jedem zur Verfügung steht und da sind wir schon wieder bei Tomaten und Soja – oder anderen Nahrungsmitteln, falls man diesen beiden nicht so viel abgewinnen kann. Studien zu Korrelationen zwischen Ernährung und Alter findet man wie Sand in Kinderschuhen und ebenso die daraus abgeleiteten Ratschläge von Ernährungsratgebern, die je nach dessen persönlichen Geschmack von Wasserkuren, intermittierendem Fasten, paleo, induzierter Ketose bis hin zum täglichen Glas Rotwein reichen. (Das mit dem Rotwein ist natürlich Quatsch, weil Alkohol ein sicher Krebs-verursachender Stoff ist und Krebs definitiv nicht als lebensverlängernd bekannt. Da braucht es weiter kein Frostschutzmittel oder Glyphosat. Aber man gönnt sich ja sonst nichts.) Ansonsten scheint eine maßvolle Ernährung mit Blick auf Erfüllung der Vitamin-, Mineral- und Spurenelementquoten ein recht sicherer Weg zu sein, ein hohes Alter zu erreichen, wenn einem vorher kein Sack Reis auf den Kopf fällt. Man braucht also nicht, wie Linus Pauling löffelweise Vitamin C in sich reinzustopfen, weil das einzige was man damit produziert, wie eine Freundin so schön sagte “sehr teurer Urin” ist. Aber warum hat Linus Pauling ausgerechnet soviel Vitamin C geschluckt? Nun, Vitamin C ist auch als Radikalfänger bekannt. Was heißt das genau? Die meiste Energie, die unser Körper täglich verbrät, wird in den Mitochondrien produziert. Das sind spezielle Organellen innerhalb jeder Zelle, die eigentlich wie ein Pumpspeicherkraftwerk funktionieren. Sie schleusen Elektronen mittels spezialisierter Proteine durch ihre Membran und übertragen sie letztendlich auf (ehemals Luft)Sauerstoff, wobei ein Protonengradient erzeugt wird, welcher ein energieerzeugendes Protein antreibt, das mehr oder weniger wie eine Turbine funktioniert. Deswegen brauchen wir Sauerstoff.
Und wir brauchen ein Sicherungssystem, denn die Übertragung von Elektronen auf Sauerstoff ist häufig unvollständig und es entstehen Sauerstoffradikale wie Wasserstoffperoxid (bekannt aus Film und Friseurzubehör) oder das Superoxidanion. Und wie manche Radikale auf Demos drehen die mehr oder weniger erstmal frei und zerstören alles, mit dem sie in Berührung kommen, also primär das Mitochondrium von innen, aber später auch die Zelle. Die Sicherungssysteme sind wieder Proteine, welche diese Radikale schnell unschädlich machen, aber Radikalfänger wie Vitamin C oder E sind dabei auch hilfreich. Allerdings müssen die halt erstmal an den Ort der Wirkung kommen und da sieht es eher schlecht aus, weil sie meistens vorher schon woanders gebraucht werden [2] . Was man allerdings feststellen kann ist, dass Mitochondrien, die ihre Tätigkeit schon lange verrichten, sichtliche Spuren von Radikalschädigung aufweisen, also altern und dann früher oder später durch neue “frische” Mitochondrien ersetzt werden. Das würde heißen, je mehr wir atmen, desto schneller altern unsere Mitochondrien. Und wir atmen ja immer dann am meisten, wenn wir uns körperlich betätigen oder die Podcastpartnerin Spuren schneiden muss, aber das ist ein anderes Thema. Folglich würden wir bzw. unsere Mitochondrien schneller altern, je mehr wir uns körperlich abrackern. Untersuchungen dazu gibt es meines Wissens nach noch keine. Das könnte daran liegen, dass andere Körperteile schneller Verschleißerscheinungen aufweisen, u.a. weil man so ein Mitochondrium als Zellorganell viel schneller ersetzen kann, als eine ganze Achillessehne. Und außerdem erfreuen sich Menschenversuche immer noch keiner großen Beliebtheit.
Deswegen nimmt man andere Tiere, und zwar welche, die für den Versuch in 2 Gruppen einteilt werden: eine, die regelmäßig “Sport” machen muss, und eine, die man einfach so weiterleben lässt, wie bisher. Man müsste eigentlich Tiere nehmen, die dem Menschen weitestgehend ähneln, aber meistens nimmt man dann eins, was man eh schon im Labor hält. In diesem Fall Fische, weil sich da auch den Sauerstoffverbrauch ganz gut messen lässt, wenn man in einer speziellen Röhre schwimmen und am Anfang und am Ende der Röhre der Sauerstoffgehalt des Wassers bestimmt wird. Und weil bei ihnen auch nicht ständig die Tierschützer auf der Matte stehen, denn hinterher werden die Organe und Organellen der Fische etwas genauer inspiziert und das ruft sie traditionell auf den Plan. Bei Fischen gibt es jetzt auch wieder individuell verschiedene Typen: es gibt den z.B. Süßwasserfisch, der sein Habitat in schnellfließenden Gewässern hat und dementsprechend formmäßig und auch vom Trainingszustand an dieses angepasst ist. Dieser Fisch wäre für den Versuch eher ungeeignet, da der regelmäßige Sport bei Fischen normalerweise darin besteht, sie einer konstanten Strömung auszusetzen, u.a. weil immer noch keine passenden Fahrräder konstruiert wurden. Deswegen bevorzugt man den Süßwasserfisch (ja, große Mengen an Salzen sind auf Dauer halt teuer), der sein Habitat normalerweise in Tümpeln hat und sich maximal ein bisschen sprintmäßig sportlich verausgabt, wenn er versucht ein Beutetier zu fangen. Dieser wird jetzt in besagte 2 Gruppen eingeteilt, oder eigentlich 4, denn wir wollen ja gleichzeitig noch herausfinden, ob Sport nun lebensverlängernd wirkt oder nicht.
Die erste Erkenntnis kommt schnell: der Fisch, der sich nicht gerne viel bewegt, bewegt sich nicht gerne viel, d.h. er sucht sich in der Umgebung den Platz, an dem er am wenigsten Energie verbraucht, wenn er seine Position halten will, also irgendwo, wo die Strömung ein bisschen schwächer ist. Die zweite Erkenntnis erfolgt ähnlich schnell: man kann das Experiment vorher nicht gut durchplanen. Irgendwann werden die untrainierten Fische müde und “lassen sich treiben”, müssen also vorher entweder ein bisschen auftrainiert werden oder die “Sportdauer” muss nach unten angepasst werden. Und die letzte Erkenntnis? Lässt uns Sport länger leben oder verkürzt er im Gegenteil unsere Lebenszeit? Für diese Fische ist die Frage beantwortet, aber sie lässt sich wie so vieles nicht so ohne weiteres auf den Menschen übertragen.
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