Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier.
Das sagt die Autorin des Artikels, Schneefuchs über sich:
Ich hatte einfach mal Lust, bei diesem Wettwerb mitzumachen.
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Gegenseitige Verachtung
Mein Artikel behandelt ein mir persönlich wichtiges Problem, mit dem ich mich
tagtäglich auseinandersetzen muss: Die Verachtung, die sich Wissenschaft und
Industrie gegenseitig entgegenbringen. Ich kenne beide Seiten: Ich habe
jahrelang als Forscherin in einem wissenschaftlichen Betrieb meinen Dienst
verrichtet, ich habe jahrelang in mehreren Unternehmen gearbeitet. Ich finde
beide Seiten weder perfekt noch unendlich schlecht, sondern glaube eher, dass
sie voneinander profitieren könnten und sich sinnvoll ergänzen könnten. Die
Betonung liegt hier auf “könnten”, denn sie tun es nicht. Stattdessen fühlt
sich eine Seite der anderen überlegen und meint dass sie die Weisheit mit
Löffeln gefressen hat. Ich bin Technikerin, genauer gesagt habe ich Informatik
studiert und daran promoviert und bilde mir ein, beide Seiten zu kennen und zu
verstehen.
Ich habe nach Abschluss meines Studiums angefangen, in einer Firma zu arbeiten.
Voller Wissen und dem Know-how all diese erlernten Techniken nun anwenden zu
können, war ich hochmotiviert, wurde allerdings eines besseren belehrt: “Wir
machen das schon immer so, was willst Du von der Uni schon wissen, das ist
alles akademischer Scheiss, mit dem man in der Realität nicht wirklich was
anfangen kann”, hiess es. Da ist man dann schon verunsichert. Drei Jahre habe
ich dort gearbeitet, anfangs fand ich es furchtbar, dann habe ich mich daran
gewöhnt, man erarbeitet sich natürlich im Laufe der Zeit auch einen gewissen
Respekt und kann sich auch mit seinem akademischen Scheiss einbringen. Ich habe
festgestellt, dass man “revolutionäre” Techniken, wie man sie im Studium
gelernt hat, am besten mit der “trojanischen Pferd” Taktik einbringt. Man
streut hier und da einen Vorschlag, die Leute schaun dann selber, machen sich
ihren Reim und am Ende finden sie es gar nicht so schlecht und sehen auch dass
es was bringt. Wenn dann alles unter Dach und Fach ist, kann man dann einmal
anmerken, dass die Vorgehensweise ja nicht vom Himmel gefallen ist, sondern in
der Forschung und Lehre seit Jahren eingesetzt wird. Ich denke, dass das
Problem auch ist, dass die wissenschaftlichen Artikel über für einen Bereich
relevante Themen häufig so hochtrabend verfasst, dass kein normaler Mensch sie
versteht und das ist schade. Beispiel: Ein Algorithmus mit allerlei
Formalitäten und null erklärendem Fließtext, weil ja alles aus Sicht des
Forschers trivial ist. Wie soll denn die grandiose Technik dann jemals in einem
Unternehmen eingesetzt werden. Die Leute, die dort arbeiten sind alles andere
als blöd, nur sprechen sie halt nicht dieselbe Sprache wie die Wissenschaftler.
Ich war immer der Meinung, dass man hier dringend was machen muss.
Und so tat ich es auch: Ich wollte promovieren, ein tolles, interessantes Thema
bearbeiten und dafür sorgen, dass jeder zumindest etwas technisch versierte
Mensch aus dem jeweiligen Bereich versteht, was ich da mache und auch einsetzen
kann. Ich fand es immer total schade, dass diese ganzen tollen Errungenschaften
der Wissenschaft in der Versenkung verschwinden und dann vielleicht 20 Jahre
später aufgekocht werden, sei es von Leuten aus der Industrie, sei es von
welchen aus der Wissenschaft. Außerdem ist diese Vorgehensweise der fehlenden
Wissensverbreitung ja auch eine ernormes ökonomisches Disaster. Forschung wird
oft aus Steuergeldern finanziert, deswegen ist es sowas von sinnvoll dass die
Erkenntnisse in die Gesellschaft, die Firmen, etc. zurückfließen können und
nicht eine Parallelgesellschaft in der Forschung zu schaffen, in der Forscher
sich untereinander niedermachen, um eine der rar gesähten Daueranstellungen zu
bekommen.
Also ging ich an die Universität, um mein Vorhaben umzusetzen: Ich will
forschen und dieses Thema soll Anwendung finden. Ich hatte in den vergangenen
Jahre soviele kluge Leute in der Industrie kennengelernt, soviel gelernt und
nun wollte ich Forschung und Anwendung der Forschung in der Industrie
verbinden, um Lösungen für wichtige Problemstellungen geben zu können. Man
verstehe mich hier nicht falsch, ich finde Grundlagenforschung sehr wichtig,
aber wenn Forschungsergebnisse gar nicht mehr aus der Uni rauskommen, finde ich
das schade.
Wieder war ich hochmotiviert, aber dieses Mal habe ich die andere Seite der
Verachtung gesehen: “Igitt, die Leute aus der Industrie, die bohren nur dünne
Bretter und wir hier an der Universität sind die allertollsten. Wir wissen, wie
alles besser geht.” Schade, dachte ich, die sind ja auch nicht besser als die
anderen und man muss sich wieder beweisen, dass wenn man aus der Industrie
nicht automatisch ein Idiot ist. Ich finde diese Vorverurteilung sehr
enttäuschend, gerade wenn angeblich so intelligente Leute in so einem Institut
arbeiten. Aber es menschelt wohl überall. Naja man wird älter und wohl auch
schlauer. Also beweist man sich, um echten Respekt unter Kollegen zu bekommen,
ich denke das habe ich geschafft. Respekt von Professoren? Bestimmt nicht von
allen, denn halt, da war doch noch was: Meine Forschung soll verstanden werden.
Also habe ich meine Forschung veröffentlicht auf guten Konferenzen, trotz dass
ich verständlich geschrieben habe. Das hat dem ein oder anderen Professor wohl
nicht gefallen, denn es war nicht formal genug. Ich habe Ärger bekommen, also
musste es formaler werden, dann hats aber keiner mehr verstanden, und folglich
wurden die Beiträge nicht mehr akzeptiert. Konferenzbeiträge sind nun einmal
von der Seitenzahl her begrenzt, einen Tod muss man also sterben. Dann habe ich
es ohne viel Formalismus wieder probiert, und dann hat es mit der Publikation
wieder geklappt, aber ich habe wieder Ärger bekommen — mit dem Professor. Ich
habe dann den Professor gefragt, was der Sinn einer Publikation ist, wenn nicht
die Verbreitung der Idee und die verständliche Beschreibung der Ergebnisse. Für
alles andere ist doch auch eine Diss da. “Bestimmt nicht, um Dünnbrettbohrern
Wissenschaft verständlich zu machen.” Naja wir sind nie wirklich
zusammenkommen, promovieren konnte ich trotzdem und ich war wissenschaftlich
erfolgreich. Trotzdem wäre ich nie an der Uni geblieben. Die Leute dort haben
oft scheinbar null Interesse daran haben, außerhalb des Unibetriebs
wahrgenommen zu werden. Das war sicherlich nicht der einzige Grund zu
verschwindeni, von unsicheren Jobperspektiven einmal abgesehen. Aber das ist
hier nicht das Thema.
Ich arbeite mittlerweile wieder in einer Firma. Ich bin stolz, in der Uni trotz
des heftigen Gegenwindes nicht nachgegeben zu haben, auch wenn der Professor
wohl nicht auf meiner Freundesliste in Facebook landen wird: Leute schreiben
mich immer noch an — mittlweile sind Jahre vergangen, seit denen ich von der
Uni wegging — dass sie meine Arbeit gut finden und wie man die Ideen bei ihnen
im Projekt einsetzen könnte. Ich kann die Erkenntnisse auch bei meiner
täglichen Arbeit einsetzen, ich bereue die Zeit an der Uni nicht, obwohl sie
nicht einfach war, denn ich habe fachlich wie menschlich viel gelernt. Die
Leute in der Firma waren anfangs wieder skeptisch: 10 Jahre nach dem Antritt
meiner ersten Arbeit kam wieder “Igitt, der ganze akademische Scheiss”. Tja,
die trojanische Pferd Taktik wende ich einmal wieder oft an. Es dauert, aber
zahlt sich am Ende aus 🙂
Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass diese gegenseitige Verachtung von
Industrie und Wissenschaft verschwinden würden. In beiden Bereichen arbeiten
soviele intelligente, kreative Leute, so dass man zusammen wirklich etwas
schaffen könnte, wenn man einfach mal wagen würde, über den eigenen Schatten zu
springen.
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