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Das sagt die Autorin des Artikels, Antorot über sich:
Antorot / früher Physikerin / inzwischen Wissenschaftsredakteurin an einem Forschungszentrum. Das Thema Kommunikation in der Wissenschaft beschäftigt mich sehr. Ich freue mich auf Kommentare.
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Jeder spricht für sich allein
Beobachtungen aus der Hölle der wissenschaftlichen Tagungen und Konferenzen
Diese Konferenz war eine Revolution: Keine Vorträge, keine Zuhörer, sondern nur Gespräche und Diskussionen: jeder sollte mit jedem sprechen, solange man voneinander etwas lernen konnte. Der Organisator hatte viele Gelegenheiten geschaffen, um diesen Austausch zu befördern, Gesprächsrunden, Treffen im Botanischen Garten, im Museum, Spaziergänge Dinner und Ausflüge zur Pfaueninsel standen auf dem Programm, das Alexander von Humboldt zusammengestellt hatte. Sein Ziel: Die Konferenz sollte nicht Eitelkeiten befriedigen, sondern die Wissenschaft voranbringen, und zwar gerade auch neue Anregungen, gemischte Disziplinen und gemeinsame Arbeit. Hunderte von Wissenschaftlern aus ganz Europa waren seiner Einladung nach Berlin gefolgt. Das war im September 1828! (Quelle: „The Invention of Nature – The Adventures of Alexander von Humboldt, the Lost Hero of Science”, S. 196, Andrea Wulf, 2015, John Murray Publishers, 2015)
Als ich das las, war ich im Urlaub und hatte nur einen dicken grünen Buntstift dabei, mit dem ich die Stelle unterstrich. Ich staunte. Alexander von Humboldt war seiner Zeit mehr als zweihundert Jahre voraus.
Denn die wissenschaftlichen Konferenzen, die ich gelegentlich besuche, sind vermutlich so ähnlich wie die, die Humboldt gern abschaffen wollte, nur mit Powerpoint statt Kreidetafel. Ein Vortrag reiht sich an den nächsten, und während die Folien vorbeiflackern, daddeln die meisten auf ihren Handys oder bearbeiten ihre Emails. Am Ende darf man Fragen stellen. Und in der Regel meldet sich dann allenfalls ein Pensionär, der sich schon vorher eine Spezialfrage überlegt hat, auf die nur er selbst die Antwort kennt. Eine lebendige Diskussion habe ich nur selten erlebt.
Natürlich kann es sein, dass alle – außer mir – völlig gebannt an den Lippen der Redner hängen und hinterher keine Fragen haben, weil alles glasklar ist. Aber ich habe die jungen Leute im Publikum und auch etablierte Forscherinnen und Forscher mehr als einmal im Anschluss befragt, wie sie den Vortrag fanden. Die meisten geben zu, dass sie bald nach dem Anfang abschalten, weil es zu speziell wird. Sie kommen trotzdem, denn: „Dann hat man mal einen Eindruck, mit welchen Themen die sich befassen“. Und: „Eigentlich wichtig sind nur die Kaffeepausen, da kann ich die Leute ansprechen, die für mich interessant sind.“
Und die Vortragenden? Was sagen die dazu, dass ihnen fast niemand zuhört? Für wen halten sie eigentlich den Vortrag, wenn nicht für die Menschen, die vor ihnen in den unbequemen Klappstühlen im Hörsaal sitzen? Eine ehrliche Antwort: „Der Vortrag muss meinem Chef zeigen, wie tief ich in dieser Sache drin stecke. Und die andern sollen ruhig merken, dass ich sie abgehängt habe.“
Solche Konferenzen lassen mich frustriert zurück: ich habe nichts Neues gelernt, in den kurzen Kaffeepausen (Überziehung der Vortragszeiten!) auch zu wenig Zeit gehabt, um mich in Gespräche mit neuen Leuten zu vertiefen. Und trotzdem habe ich noch zu viel von dem grauenhaften Kaffee getrunken.
Am Traurigsten fand ich eine Veranstaltung, bei der ein hochbetagter Spezialist für sein Lebenswerk geehrt wurde. Die Preisverleihung fand im großen Saal statt und sollte ein Höhepunkt der Konferenz sein. Der alte Herr erhob sich mit Mühe und begab sich ans Pult. Dort hielt er 60 Minuten lang eine Rede, nuschelte ins Mikrophon, war kaum zu verstehen und zeigte etwa hundert Folien, auf denen jeweils die erste Seite seiner wichtigsten Veröffentlichungen abgebildet war. Nach und nach leerte sich der Saal, bis auf die Organisatoren, seine Frau und wenige ehemalige Kollegen. Vor dem fast leeren Saal nahm der Experte endlich die Urkunde entgegen und wurde von seiner Frau zurückgeführt, er wirkte vollkommen erschöpft.
Diese Ehrung war weder interessant fürs Publikum noch ein schönes Erlebnis für den Preisträger. Dabei hätte man beides leicht erreicht: Statt den alten Herrn zu einer langen Rede zu nötigen, hätte ein Kollege kurz skizzieren können, was er geleistet hat. Der alte Herr hätte auf der Bühne sitzen können, in einem bequemen Sessel, umgeben von ein paar neugierigen Nachwuchsforschern. Die hätten ihn im Anschluss fragen können, zu den schönen, aber auch den kritischen Situationen in seiner Karriere – Denn die sind besonders aufschlussreich und im Alter darf man endlich ehrlich sein: Welche Krisen hat er erlebt? Gab es einen Moment, wo er die Sache fast hingeworfen hätte? Was empfiehlt er jungen Menschen, die eine Karriere in der Forschung planen? Und was sind für ihn heute die wichtigsten Forschungsthemen? Wie schade, dass die Veranstalter ihn stattdessen geradezu vorgeführt haben.
Was denken Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eigentlich über solche Konferenzen? Müssen Konferenzen so strukturiert sein? Wäre es nicht auch interessanter, wenn die Vortragenden die Tatsache nutzen, dass sie zeitgleich mit einem intelligenten Publikum in einem Raum zusammen sind? Sie könnten ihre Forschung so vorstellen, dass die Leute Lust bekommen, mitzudenken und nachzufragen. Manchmal haben auch Menschen, die auf einem anderen Fachgebiet arbeiten, ziemlich gute Ideen. Wäre es nicht sogar an der Zeit, sich neue interaktive Formate einmal anzuschauen? Einfach mal auszuprobieren, ob sie mehr Austausch ermöglichen, mehr Vernetzung und interessantere Gespräche?
Oder war ich nur auf den falschen Konferenzen?
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