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Das sagt die Autorin des Artikels, The Unexpected Effect über sich:
Ich bin promovierte Neurobiologin und möchte nun Wissenschaftsjournalistin werden. Dies ist mein erster Blog-Beitrag, soll aber nicht der letzte sein.
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Die Zukunft der Wissenschaft ist angekommen
Weiße Laborkittel, Sicherheitsbrillen, Latex-Handschuhe, Wissenschaftler, die konzentriert winzige Mengen an Flüssigkeit von einem Behälter in den anderen pipettieren. So stellt man sich den Alltag in der Wissenschaft vor, oder? Vielleicht hat man auch schon mitbekommen, dass viele wichtige, leise vor sich hin schnurrende und blinkende Gerätschaften dabei eine Rolle spielen. Und natürlich die Versuchstiere – wer hat nicht eine Maus vor Augen, wenn er an Forschung denkt?
Doch wie so viele Bereiche steht auch die Wissenschaft im Wandel. Schon lange gibt es nicht mehr “DAS” wissenschaftliche Labor. Mit der Diversifizierung der Techniken kam die Spezifizierung der Einrichtungen, und die Vielfalt ist mittlerweile enorm.
Natürlich existiert die “klassische” biologische Forschung weiter, doch schon hier wird auf einer Vielzahl von Ebenen gearbeitet: von der DNA bis zu Verhalten, von Zellkulturen bis zu Versuchstieren.
Immer wieder gibt es kleine und größere Durchbrüche, doch wenn man sich die Publikationen genauer betrachtet fällt vor allem eins auf: Unser Wissen um die kleinsten Details wächst immer weiter und weiter – doch das “Große Ganze” bleibt unklar. So viele Puzzleteilchen werden entdeckt. Aber wenn man ein Bild erstellen möchte, hilft es nicht, immer mehr und mehr Teilchen hinzuzufügen, sie müssen auch zusammen passen.
Man kann keinem Labor vorwerfen, nicht umfassend genug zu forschen. Die technischen Möglichkeiten einer einzigen Einrichtung sind schlichtweg nicht dafür ausgelegt. Und das führt uns zur Zukunft der Wissenschaft. Es reicht nicht, dass jeder eifrig vor sich hin forscht. Was wir brauchen ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit: Internationale Forscher, die ihr Wissen kombinieren, teilen, auf die Entdeckungen der anderen aufbauen, um gemeinsam eine große Frage zu beantworten.
So einfach, wie es klingt, ist es natürlich nicht. Denn wenn Mathematiker, Physiker, Biologen, Mediziner und Computerspezialisten zusammenarbeiten, ist schon die Kommunikation untereinander ein Problem.
Wie erklärt man einem Wissenschaftler, der sich gerade so notdürftig mit Statistik herumschlagen kann, eine komplexe mathematische Simulation? Und wie macht man umgedreht einem Mathematiker oder Physiker bewusst, wie die kleinste Veränderung eines Moleküls das Verhalten eines Tieres oder die Wirkungsweise eines Medikamentes verändern? Sicher, all diese Dinge könnten erklärt werden, und oft würde das jeweilige Gegenüber die Erklärung auch verstehen, doch wer hat in einer Welt, in der häufige und gute Publikationen gefragt sind, überhaupt noch die Zeit für so etwas?
Auch die Abstimmung von Experimenten ist schwierig. Bei Tierversuchen und klinischen Studien müssen langwierige Genehmigungsverfahren durchlaufen werden, bevor überhaupt mit der eigentlichen Arbeit begonnen werden kann. Bevor daraus keine Ergebnisse entstehen, können Simulationen nicht überprüft und neue Hypothese nicht entwickelt werden. In der Wissenschaft, wie auch in vielen anderen Bereichen, ist es schwierig, von anderen abhängig zu sein.
Dennoch muss dieser sogenannte “Systems approach” unbedingt durchgesetzt werden, um sinnvolle, zusammenhängende Ergebnisse zu bekommen, die letztendlich zur Behandlung von Krankheiten führen können.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die dies nun in einem neuen, von der EU finanzierten Projekt umsetzt, untersucht das Thema “Alkoholsucht”, um individualisierte Therapien zu entwickeln und die Früherkennung zu verbessern.
Unter dem Namen “SyBil-AA” (Systems Biology of Alcohol Addiction) wollen internationale Forscher unter der Leitung von Mannheimer Psychiater und Forscher, apl. Prof. Dr. Wolfgang Sommer, diese oft unterschätzte Krankheit erforschen.
Zunächst ein kleiner Kommentar zur Alkoholsucht: Ich nenne sie “oft unterschätzt”. In vielen Kulturen ist es ganz normal, Alkohol zu konsumieren – zum Essen ein Gläschen Wein, ein Bier zur Erholung nach der Arbeit, Cocktails in der Bar mit Freunden. Das alles ist gar kein Problem, auch ich trinke gerne mal etwas. Für viele Menschen hört es damit auch auf. Sie können ohne Probleme auf den Alkohol verzichten, auch wenn sie ihn oft genießen.
Aber bei anderen Menschen entwickelt sich nach und nach eine Sucht, bei der Alkohol einen immer größeren Stellenwert einnimmt, bis ohne ihn gar nichts mehr funktioniert. Zu diesen Menschen sagt man gerne, “Reiß dich doch zusammen, du musst nur den Willen haben, mit dem Trinken aufzuhören”. Für Nicht-Alkoholiker ist es oft schwer vorzustellen, dass es nicht einfach nur am Willen liegt. Doch Alkoholsucht ist eine Erkrankung des Gehirns, mit weitreichenden neurologischen Veränderungen. Ohne geeignete Therapien und Medikamente sind die Betroffenen häufig nicht in der Lage, sich von der Sucht zu lösen. Selbst, wenn sie es für eine lange Zeit schaffen, kann durch winzige Kleinigkeiten ein Rückfall noch nach Jahren hervorgerufen werden.
Die existierenden Medikamente sind nicht effektiv genug, darüber sind sich die Forscher des SyBil-AA einig. Und so nehmen sie nun die Herausforderung an, gemeinsam an dem Projekt zu arbeiten.
Das Konzept ist logisch: In verschiedenen Labors werden Daten generiert, die dann zu einem Modell zusammengefügt werden. Damit sollen Vorhersagen z.B. über die Wirksamkeit von Medikamenten gemacht werden, die dann wiederum in Experimenten überprüft werden. Und so weiter.
Einen Vorteil bei der Zusammenarbeit hat das Team, wie Prof. Dr. Rainer Spanagel, Leiter des Instituts für Psychopharmakologie in Mannheim, feststellt: Die Forscher kennen sich zum Großteil bereits gut. Auf Konferenzen haben sie gegenseitig ihre Vorträge besucht, und natürlich liest man mit großem Interesse und kritischem Blick die Publikationen der anderen. Auch “kleinere” Kollaborationen gab es schon, doch noch nie mussten sich die Alkoholforscher mit so vielen Kollegen absprechen, Experimente koordinieren, Ergebnisse diskutieren, und einheitliche Meinungen bilden.
Alle diese Menschen sind erfahrene Forscher – und wer jemals in einem Labor gearbeitet hat weiß, dass dies auch eine gewisse Dickköpfigkeit voraussetzt. Nicht im negativen Sinne (jedenfalls nicht beim Großteil der Forscher), doch man muss sich seiner Expertise durchaus bewusst sein, um sich in einem solch kompetitiven Feld durchzusetzen. In jedem Fall wird es kein Kinderspiel, all dies zu koordinieren und die unvermeidlichen Meinungsverschiedenheiten produktiv und positiv zu nutzen.
Ich jedenfalls werde das Projekt mit Spannung verfolgen und hoffe, dass nach vier Jahren harter Arbeit die Behandlung und Früherkennung von Alkoholsucht einen großen Sprung machen wird!
(Ich muss jedoch zugeben, dass ich hier nicht objektiv sein kann, denn ich habe im Institut für Psychopharmakologie meine Masterarbeit und Dissertation geschrieben und bin auch jetzt noch als Hiwi dort tätig.)
Hier gibt es weitere Informationen, falls ihr durch meinen Beitrag neugierig geworden seid.
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