Der Polarstern gehört zu den bekanntesten Sternen. Zu Recht: Er steht an einer ganz besonderen Position am Himmel. Das tat er aber nicht immer. Und auch ansonsten scheint es sich beim Polarstern um ein sehr wandelbares Objekt zu handeln, das den Astronomen einige Rätsel aufgibt. Was den Polarstern besonders macht und was man über ihn herausgefunden hat, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten.

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Transkription

Sternengeschichten Folge 218: Der Polarstern

Polaris, Phoenice, Alruccabah, Lodestar, Navigatoria, Cynosura,… – die vielen Namen dieses Sterns zeigen schon, dass es sich um ein ganz besonderes Exemplar seiner Gattung handelt. Heute geht es in den Sternengeschichten um Alpha Ursae Minoris wie der offizielle Name des Sterns lautet. Um den “Polarstern”, wie er auf deutsch heißt.

Der Polarstern ist vor allem wegen seiner Position am Himmel so außergewöhnlich. Er ist der hellste Stern im Sternbild Kleiner Bär, ein recht unscheinbares Sternbild am Himmel und der Polarstern ist auch kein besonders auffälliger oder heller Stern. Er ist schon gar nicht der hellste Stern am Nachthimmel, wie man oft hören kann. Mit freiem Auge kann man ihn zwar durchaus gut sehen – aber es gibt viele Sterne die heller sind. Zwei Dinge sind es, die ihn auszeichnen: In seiner unmittelbaren Umgebung gehört er zu den hellsten Objekten; er ist also schwer mit anderen Sternen zu verwechseln. Und viel wichtiger: Er befindet sich fast exakt dort am Himmel, wo sich auch der Himmelsnordpol befindet. Der Himmelsnordpol ist der auf den Himmel projizierte Nordpol der Erde. Wenn man die Rotationsachse unseres Planeten gedanklich bis hinauf in den Himmel verlängert, dann läuft sie direkt am Polarstern vorbei.

Wenn sich nun die Erde einmal am Tag um ihre Achse dreht, dann sieht das für uns so aus, als würden sich die Sterne allesamt einmal pro Tag um die Erde herum bewegen. Und der Punkt um den sie sich scheinbar drehen ist der Polarstern. Das hat ihm seit langer Zeit die Aufmerksamkeit der Menschen gesichert. In der indischen Astronomie trägt der Stern den Namen dhruva, was so viel wie “Fixierter Stern” bedeutet: Von allen Sternen am Himmel ist der Polarstern der einzige, der sich nicht bewegt. Er steht fest an dem Ort, an dem er sich befindet. Ein alter englischer Name für den Polarstern ist lodestar, was vom norwegischen Wort leiðarstjarna beziehungsweise dem mittelhochdeutschen Wort leitsterne abstammt. Der Polarstern ist also ein Stern, von dem man sich leiten lassen kann. Und zwar immer in Richtung Norden.

Der Polarstern ist leicht zu finden (Bild: Public Domain)

Der Polarstern ist leicht zu finden (Bild: Public Domain)

Da der Polarstern genau über dem Nordpol der Erde steht, zeigt seine Position am Himmel für alle Beobachter gut sichtbar die Richtung nach Norden an. Für die Navigation auf See oder ohne Kompass war der Polarstern daher in der Vergangenheit immer wichtig und auch heute kann man sich zum Beispiel auf Wanderungen gut nach ihm richten. Er lässt sich auch ohne große astronomische Kenntnisse gut finden.

Dazu muss man nur die Konstellation des Großen Wagens finden; eine Gruppe von Sternen die so auffällig und bekannt ist, dass man sie kaum verfehlen kann. Wenn man nun die Verbindungslinie zwischen den hellen hinteren Sternen des Großen Wagens etwa um das fünffache verlängert, landet man genau beim Polarstern – und weiß, wo Norden liegt. Als helle Markierung des Himmelspols dient der Polarstern zwar schon lange, aber nicht immer. Die Rotationsachse der Erde zeigt nicht immer in die gleiche Richtung sondern beschreibt im Verlauf von 26.000 Jahren einen kleinen Kreis am Himmel. Als der griechische Geograph Pytheas im dritten Jahrhundert vor Christus die Region des Himmelsnordpols beschrieb stellte er fest, dass sich dort keine Sterne befinden. Und tatsächlich zeigte die Rotationsachse der Erde damals in eine Richtung in der sich kein auffälliger Stern befand. Ein paar hundert Jahre davor war Thuban im Sternbild des Drachen ein guter Polarstern und die Menschen die in der Steinzeit vor ungefähr 14.000 Jahren zum Himmel geblickt haben, konnten die helle Wega direkt beim Himmelspol sehen. Und die Menschen die sich in circa zwei Jahrtausenden an den Sternen orientieren wollen, müssen zu Gamma Cephei im Sternbild Kepheus schauen, wenn sie Norden finden wollen.

Der Polarstern ist aber nicht nur aus navigatorischer Sicht interessant sondern hat auch astronomisch einiges zu bieten. Zum Beispiel die Tatsache, dass es sich eigentlich nicht um einen sondern um drei Sterne handelt. Zwei Sterne bilden dort ein sehr enges Doppelsternsystem; Polaris Aa ist ein großer gelber Riesenstern mit der 4,5fachen Masse der Sonne der ungefähr 2000 Mal so hell leuchtet wie unsere Sonne. Sein Begleiter Polaris Ab dagegen ist ein Zwergstern und der Abstand zwischen ihnen beträgt nur ungefähr 20 Astronomische Einheiten; entspricht also der in etwa der Distanz zwischen der Sonne und dem Uranus. 2400 Astronomische Einheiten entfernt bewegt sich der sonnenähnliche Stern Polaris B um beide Komponenten des Doppelsternsystems herum.

Die Entfernung zwischen den drei Sternen des Polarsternsystems und der Erde beträgt 433 Lichtjahre; eine Distanz die dank genauer Satellitenmessungen mittlerweile recht gut bekannt ist; vor nicht allzu langer Zeit dachte man noch, dass die Distanz näher bei 330 Lichtjahren lag. Das Problem bei der Entfernungsbestimmung lag auch in der Natur des Polarsterns selbst. Die Helligkeit von Polaris Aa, als des hellen Riesensterns ändert sich. Heute wird er als veränderlicher Stern klassifiziert (über die ich in Folgen 64 und 65 der Sternengeschichten mehr erzählt habe) und zwar als klassischer Cepheid. Früher dachte man, es handle sich um einen Typ-II-Cepheid. Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen liegt in ihrem Ursprung: Die klassischen Cepheiden gehören zur sogenannten Population I, als der jüngsten Generation an Sternen zu denen auch unsere Sonne gehört. Cepheiden vom Typ-II gehören auch zur Population II, also einer älteren Generation der Sterne. Noch älter sind nur Sterne der Population III, die direkt nach dem Urknall selbst entstanden sind. Solche Sterne hat man bis jetzt aber noch nicht beobachten können. Wie Cepheiden ihre Helligkeit verändern ist einigermaßen gut verstanden, aber der Polarstern spielt auch hier eine Sonderrolle.

Vor 1963 änderte sich seine Helligkeit um ungefähr eine Zehntelmagnitude, also um etwa 5 Prozent der gesamten Helligkeit. Nach
1966 wurde die Änderung schnell schwächer und betrug nur noch etwa 2,5 Prozent. Aktuelle Beobachtungen zeigen allerdings, dass die Ausschläge wieder stärker werden; ein Verhalten das man bis jetzt so noch nicht bei veränderlichen Sternen des Cepheiden-Typs beobachtet hat. Man geht davon aus, dass der enge Begleitstern Polaris Ab etwas damit zu tun hat. Die Änderung in der Helligkeit wird durch eine Veränderung der Temperatur des Sterns verursacht und hier kann die Bewegung der beiden Sterne umeinander vielleicht eine Rolle spielen. Noch interessanter wird die Angelegenheit, wenn man auch die alten Beobachtungen aus der Antike berücksichtigt. Vergleicht man die Aufzeichnungen des Astronomen Ptolemäus mit denen von heute, dann muss sich die Helligkeit des Polarsterns um das 2,5fache vergrößert haben. Wenn das tatsächlich so war, dann ist das ebenfalls außergewöhnlich. Eine so schnelle und starke Änderung der Helligkeit ist nichts, was sich leicht mit den Standardmodellen der Sternentwicklung in Einklang bringen lässt.

Künstlerische Darstellung der Sterne im Polarstern-System (Bild: NASA, ESA, G. Bacon (STScI))

Künstlerische Darstellung der Sterne im Polarstern-System (Bild: NASA, ESA, G. Bacon (STScI))

Das Rätsel um die Helligkeitsveränderungen des Polarsterns ist noch einmal extra interessant, wenn man berücksichtigt das er früher sogar als Nullpunkt für die Skala der Helligkeitsmessung bei Sternen diente. Bevor man die Veränderlichkeit des Polarsterns entdeckte dachte man, man hätte in dem Stern mit seiner einmaligen fixen Position am Himmelspol einen wunderbare Bezugspunkt entdeckt an dem sich alle anderen Sternhelligkeiten messen lassen. Tja – so kanns gehen…

Der Polarstern wird uns Menschen also weiter beschäftigen. Die Astronomen werden versuchen seine seltsamen Eigenschaften zu verstehen. Die Leute werden ihn weiterhin als Hilfe bei der nächtlichen Orientierung benutzen. Und seine – zumindest derzeit noch – einmalige Position an unserem Himmel wird weiterhin Künstler inspirieren, so wie damals William Shakespeare, der den Polarstern in seinem berühmten Sonett 116 als “unverrücktes” und “unwandelbares Zeichen” mit der Liebe verglichen hat. Und mit diesem schönen Gedicht möchte ich die heutige Folge der Sternengeschichten auch beenden:


“Dem festen Bund getreuer Herzen soll
Kein Hindernis erstehn: Lieb’ ist nicht Liebe,
Die, in der Zeiten Wechsel wechselvoll,
Unwandelbar nicht stets im Wandel bliebe.
Ein Zeichen ist sie fest und unverrückt,
Das unbewegt auf Sturm und Wellen schaut,
Der Stern, zu dem der irre Schiffer blickt,
Des Wert sich keinem Höhenmaß vertraut.
Kein Narr der Zeit ist Liebe! Ob gebrochen
Der Jugend Blüte fällt im Sensenschlag,
Die Liebe wankt mit Stunden nicht und Wochen,
Nein, dauert aus bis zu dem Jüngsten Tag!
Kann dies als Irrtum mir gedeutet werden,
So schrieb ich nie, ward nie geliebt auf Erden!”

Kommentare (6)

  1. #1 Rüdiger Kuhnke
    München
    27. Januar 2017

    “Da der Polarstern genau über dem Nordpol der Erde steht..” oder “… dann läuft [die Rotationsachse] direkt am Polarstern vorbei.”
    Letzteres ist wohl zutreffender, oder? Ich gehe davon aus, dass der Himmelsnordpol als der Punkt über dem geographischen Nordpol der Erde definiert ist.

  2. #2 Alderamin
    27. Januar 2017

    @Rüdiger Kuhnke

    Der Polarstern steht ca. 3/4° (die genaue Position ist Deklination +89° 15′ 50.8″, es fehlen also 44′ 9,2″ an 90°) neben dem wahren Himmelspol, das sind rund 1,5 scheinbare Vollmonddurchmesser.

  3. #3 Pete
    27. Januar 2017

    Florian: 218 Folgen “Sterngeschichten”
    Harald Lesch: 217 Folgen “Alpha Centauri”

    Ich denke, bei Florian wird es weitergehen 🙂

  4. #4 Anderas
    28. Januar 2017

    Schön, dass es hier trotz deiner ganzen anderen Aktivitäten immer noch weiter geht!

    Ich habe heute auf FAZ. Net einen Artikel gelesen, den sie zu sehr vereinfacht haben. So weit, dass ich kurz gesagt nicht mehr verstehe worum es geht.

    https://m.faz.net/aktuell/wissen/neuer-wert-der-hubble-konstante-14762491.html

    Die Hubble Konstante hat unterschiedliche Werte, je nachdem mit welcher Methode und damit in welchem zeitlichem Abstand zum Urknall man sie misst. Das sei ein Hinweis auf eine Art neue Physik.

    Was meinen die damit?

    Sorry, das hat ja nichts mit dem Polarstern zu Tun aber ich weiß echt nicht wo man sonst solche Fragen stellen kann.

    Vielleicht machst du uns eine Sternengeschichte draus. 🙂

  5. #5 Alderamin
    29. Januar 2017

    @Anderas

    Na ja, sie sagen’s doch: neue Physik jenseits des Standardmodells mit der Dunklen Materie und Dunklen Energie (die allerdings selbst schon neue Physik sind). Nach dem Standardmodell enthält das Universum ca. 25% Materie, von denen 20% aus unbekannten Teilchen, eben der Dunklen Materie bestehen, und 75% Dunkle Energie. Die Dunkle Materie wirkt per Gravitation auf sich selbst und die sichtbare Materie und zieht alles zu Fäden und Galaxien zusammen. Die Dunkle Energie erfüllt den Raum gleichmäßig, lässt ihn expandieren und hat einen konstanten Wert, überall. Aus diesen Annahmen kann man auf das Weltalter und die Entwicklung des Hubble-Parameters schließen. Wenn nun verschiedene Messungen des Hubble-Parameters in verschiedenen Phasen des Universums abweichende Werte für H0 ergeben, dann stimmt etwas bei den Annahmen nicht, oder es fehlt eine zusätzliche Komponente.

    Dass PLANCK einen abweichenden Wert für H0 bestimmt hat, darüber hat Florian schon einmal gebloggt. Es ist aber nach wie vor vollkommen unklar, warum der Wert abweicht.

  6. #6 Yeti
    29. Januar 2017

    @alderamin:
    Folgendes ist arg missverständlich:

    > enthält das Universum ca. 25% Materie, von denen 20% aus unbekannten Teilchen, eben der Dunklen Materie bestehen

    Eindeutig wäre in dem Fall etwas wie “ca. 25% Materie von denen 80% aus unbekannten …”

    Die dunkle Materie macht eben nicht 20% der gesamten Materie aus, sondern (eher mehr als) 80%.