1915 hat sich Albert Einstein riesig gefreut. Der Grund seiner Freude war angesichts seiner revolutionären Entdeckungen über Raum, Zeit und das Universum aber vergleichsweise klein: Einstein hatte ein altes Problem zur Bewegung des Planeten Merkur gelöst. Warum er aber zu Recht höchst erfreut war, könnt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten hören.
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Transkription
Sternengeschichten Folge 222: Die Periheldrehung des Merkur
Im Jahr 1915 war Albert Einstein “einige Tage lang außer sich vor Freude”. Das hat er zumindest an seine Freunde geschrieben – und dabei allerdings nicht von seinen großen und revolutionieren Entdeckungen über die Geschwindigkeit des Lichts, die Verbindung von Raum und Zeit oder die Äquivalenz von Masse und Energie gesprochen. Das – also das was heute die “spezielle Relativitätstheorie” genannt wird, hatte er schon 10 Jahre zuvor veröffentlicht. Er meinte auch nicht seine gerade fertiggestellte “allgemeine Relativitätstheorie” mit der die Gravitation auf eine völlig neue Art und Weise beschreiben konnte und mit der Wissenschaftler bis heute die Entwicklung des gesamten Universums berechnen. Er sprach von einer Entdeckung die sich auf Merkur bezog.
Der kleinste der Planeten in unserem Sonnensystem; ein Planet zwar, der den Menschen schon von Anfang an bekannt war, weil er zu den fünf Planeten gehört die man mit freiem Auge sehen kann. Aber auch ein Planet der nur schwer und schwach leuchtend zu sehen ist und im Gegensatz zu Mars oder Venus kaum die Fantasie der Menschen inspiriert hat. Aber das, was Einstein so sehr erfreut hat, war die Freude auch tatsächlich wert. Er hatte ein Rätsel gelöst, das den Astronomen schon seit Jahrhunderten zu schaffen machte.
Früher war es generell schwierig, die Bewegung der Himmelskörper zu beschreiben. Die Astronomen der Antike konnten die Himmelskörper zwar beobachten und ihre Position am Himmel aufzeichnen. Sie konnten auch bestimmte Perioden und Rhythmen identifizieren und in gewissen Ausmaß vorhersagen, wann und wo sie zu sehen sein werden. Aber es fehlte ein tieferes Verständnis für die Gründe der Bewegung. Man wusste nicht, warum sich die Planeten überhaupt bewegen. Man wusste anfangs ja nicht einmal, dass die Erde auch ein Planet ist und sich gemeinsam mit allen anderen Planeten um die Sonne herum bewegt.
Erst die Umwälzungen im 15. und 16. Jahrhundert brachten Fortschritte. Das heliozentrische Weltbild ersetzte das geozentrische und man stellte fest, dass man sich mit der Erde auf einer sich bewegenden Beobachtungsplattform befand. Planeten wie Merkur bewegten sich nicht um die Erde herum sondern alle gemeinsam um die Sonne. Johannes Kepler gelang es dann auch, ein weiteres Dogma zu durchbrechen und die Umlaufbahnen der Himmelskörper korrekt als Ellipsen und nicht als Kreise zu identifizieren. Das machte Vorhersagen möglich, die wesentlich besser waren als früher. Und dann kam der große Isaac Newton und fand auch eine mathematische Beschreibung für die gravitativen Anziehungskräfte zwischen den Himmelskörpern.
Jetzt war eigentlich alles zusammen was man gebraucht hätte, um wirklich genaue Vorhersagen zur Bewegung der Himmelskörper machen zu können. Man wusste wie sie sich bewegen und man hatte die passenden mathematischen Formeln um die Bewegung zu berechnen. Das Problem war die Komplexität der Gleichungen. Ich habe in Folge 175 der Sternengeschichten schon über das Dreikörperproblem gesprochen und erklärt, warum es unmöglich ist, die Bewegung der Planeten exakt vorherzusagen. Aber selbst wenn eine exakte Berechnung nicht möglich war, gab es doch ausreichend genaue Näherungslösungen. Die funktionierten hervorragend. Vorerst jedenfalls…
Im 18. Jahrhundert bekam die Familie der Planeten Zuwachs: Wilhelm Herschel entdeckte den Planeten Uranus und Newtons Mathematik wurde das erste Mal ernsthaft getestet. Denn die Bewegung des Uranus folgte den Gleichungen nicht. Die berechneten Positionen stimmten nicht mit den beobachteten Positionen überein. Entweder Newtons Theorie war nicht ganz korrekt oder man hatte etwas übersehen. In diesem Fall war das, was man übersehen hatte ein weiterer Planet: Neptun, der im 19. Jahrhundert entdeckt wurde – und ich habe in Folge 50 der Sternengeschichten mehr darüber erzählt. In den nächsten Jahrzehnten verstand man die Mathematik zur Bewegung der Planeten immer besser und konnte ihre Umlaufbahnen immer genauer berechnen. Nur Merkur machte noch Probleme.
Es ging um die sogenannte Periheldrehung. Das Perihel ist der sonnennächste Punkt einer Umlaufbahn. Merkurs Bahn weicht besonders stark von der Kreisform ab. An seinem sonnenfernsten Punkt ist er fast 70 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt; am sonnennächsten Punkt – also im Perihel – sind es 46 Millionen Kilometer. Die Umlaufbahn eines Planeten bleibt aber nie völlig unverändert. Das liegt vor allem an den gravitativen Störungen der anderen Planeten. Unter anderem führt das dazu, dass sich die Bahn und damit auch die Position des Perihels langsam um die Sonne dreht.
Beim Merkur beobachtete man eine Drehung des Perihels mit einer Geschwindigkeit von 574 Bogensekunden pro Jahrhundert. Ein kompletter Kreis von 360 Grad entspricht 1.296.000 Bogensekunden; eine komplette Drehung von Merkurs Bahn um die Sonne dauert also knapp 225.000 Jahre. Das war nicht unerwartet. Führt man die nötigen Berechnungen durch, dann folgt daraus dass die gravitativen Störungen der anderen Planeten eine Periheldrehung von Merkurs Bahn von knapp 531 Bogensekunden hervorrufen muss. Ein weiterer, aber sehr kleiner Anteil der Periheldrehung wird von der Tatsache verursacht, dass die Sonne selbst keine perfekte Kugel ist sondern durch ihre Rotation um ihre eigene Achse leicht abgeflacht. Dadurch gilt in ihrer unmittelbaren Umgebung die mathematische Formel von Newton nicht mehr exakt, nach der die Stärke der Gravitationskraft mit dem Quadrat des Abstandes schwächer wird. Aber auch das wusste man schon lange. Was man nicht wusste: Wo kommen die 43 Bogensekunden an Periheldrehung her, die man weder mit der Form der Sonne noch mit der Störung der anderen Planeten erklären kann?
Der Effekt war klein, aber nicht klein genug um einfach ignoriert zu werden. Er war nicht klein genug um einfach nur als Rechen- oder Beobachtungsfehler abgetan zu werden. Die Periheldrehung des Merkurs war schneller als sie es sein hätte dürfen. Wieder stand Newtons Theorie vor einer Krise. Und im Gegensatz zur Geschichte mit Neptun ein Jahrhundert zuvor hat sie diese Krise nicht überlebt.
Denn das, über das Einstein sich in seinem Brief so sehr gefreut hat, war eine Erklärung der Ursache der fehlenden 43 Bogensekunden von Merkurs Periheldrehung. Nach langer Arbeit war es ihm 1915 endlich gelungen, die Gravitation in seiner allgemeinen Relativitätstheorie auf eine völlig neue Weise zu beschreiben. Er stellte fest, dass der Raum und die Zeit nicht unveränderlich sind, sondern durch die Anwesenheit von Massen beeinflusst werden. Masse krümmt die Raumzeit und die Form der Raumzeit bestimmt, wie sich Massen bewegen. Die Erde bewegt sich nicht um die Sonne, weil die Sonne eine Kraft auf sie ausübt, sondern weil die Sonne den Raum krümmt und die Erde sich entlang dieser Krümmung bewegen muss und so in eine Umlaufbahn gezwungen wird.
Das war eine grandiose Leistung von Einstein. Mit seiner Theorie der Gravitation konnte man die Bewegung der Himmelskörper viel genauer beschreiben als mit der von Newton. Und er konnte Merkurs Periheldrehung erklären. Natürlich gilt die allgemeine Relativitätstheorie für alle Himmelskörper und nicht nur für Merkur. Merkur ist aber der Sonne am nächsten und die Krümmung des Raumes ist umso stärker, je näher man der Sonne kommt. Deswegen fällt der Effekt dort auch besonders stark auf, während er bei den weiter entfernten Planeten ohne sehr, sehr exakte Messungen nicht zu bemerken ist. Ganz vereinfacht kann man sagen, dass die Krümmung des Raumes in der Nähe der Sonne dazu führt, dass der Umfang eines Kreises kürzer ist als man es vor Einstein erwartet hätte. So wie ein auf ein Gummituch gezeichneter Kreis verzerrt wird, wenn man das Gummituch eindellt, passiert das auch mit der Umlaufbahn des Merkurs. Die Periheldrehung verläuft also schneller als erwartet und als Einstein berechnet hatte, wie groß der Effekt ist, kam er exakt auf die 43 Bogensekunden, die bisher niemand erklären konnte.
Er konnte sich also absolut zu recht freuen. Seine neue und völlig unerwartete Beschreibung der Gravitation hatte ihren ersten Erfolg gefeiert. Und die allgemeine Relativitätstheorie ist nicht nur die Theorie von großer Bedeutung. Auch in der Praxis kann man nicht auf sie verzichten. Für die allermeisten Fälle die sich mit der alltäglichen Wirkung der Gravitation beschäftigen kann man sie ignorieren und auf die gute alte Theorie von Newton zurückgreifen. Auch für die Berechnung der Bewegung von Planeten, Asteroiden und Raumsonden reicht Newton normalerweise völlig aus. Als aber die Raumsonde MESSENGER im Jahr 2008 im Rahmen eines Swing-By-Manövers sehr dicht an Merkur vorbei flog, mussten die Ingenieure auch die relativistischen Effekte berücksichtigen. Der Unterschied in der für einen korrekten Ablauf der Mission nötigen Flugbahn hätte ohne diesen zusätzlichen Aufwand zwar nur 65 Kilometer ausgemacht – aber wenn man das einfach ignoriert hätte, dann hätte das trotzdem große Probleme bereiten können. Aber dank Albert Einstein verlief alles genau nach Plan und MESSENGER konnte den Merkur vier Jahre lang im Detail erforschen. Aber das ist wieder ein Thema für eine andere Geschichte…
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