“Weißt du, wie viel Sternlein stehen?” fragt das alte Kinderlied. Die Antwort dort lautet: “Gott der Herr hat sie gezählet”. Nun, das mag stimmen oder nicht – auf jeden Fall hat er es nicht für nötig befunden uns über das Ergebnis zu informieren. Wie viel “Sternlein stehen” wissen wir aber trotzdem – und nicht dank “Gott dem Herrn” sondern aufgrund der Arbeit der amerikanischen Astronomin Dorrit Hoffleit!
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Transkription
Sternengeschichten Folge 233: Weißt du, wie viel Sternlein stehen?
“Weißt du, wie viel Sternlein stehen?” Die Frage aus dem alten Kinderlied hat sich sicherlich schon jeder ein Mal gestellt. Was die Antwort angeht ist das Lied dann aber eher wenig hilfreich: “Gott der Herr hat sie gezählet”, heißt es da nur. Nun, selbst wenn irgendein Gott die Sterne tatsächlich gezählt hat, hat er es nicht für nötig befunden, uns über sein Ergebnis zu informieren. Es bleibt wieder einmal der Wissenschaft überlassen, eine vernünftige Antwort auf diese Frage zu finden. Wie viele Sterne stehen also?
Da gibt es verschiedene Antworten, je nachdem wie wörtlich man die Frage interpretieren möchte. Nimmt man es ganz genau, dann lautet die Antwort nämlich: Null. Stehen tun die Sterne nämlich überhaupt nicht. Jeder Stern bewegt sich ständig. Einerseits scheinbar, weil die Erde sich um ihre Achse dreht. Andererseits auch tatsächlich, weil die Sterne sich ja auch selbst durch den Kosmos bewegen. Aber wir wollen jetzt nicht unbedingt einen wissenschaftlich exakten Anspruch an die Lyrik eines Kinderliedes stellen.
Gehen wir also davon aus, dass in der Frage tatsächlich die Anzahl der Sterne am Himmel gesucht wird. Selbst dann ist es aber noch nicht ganz klar, wie es gemeint ist. Geht es um die Sterne, die wir von einem bestimmten Ort aus mit freiem Auge und ohne Hilfsmittel sehen können? Oder um alle Sterne die man im Universum prinzipiell sehen könnte?
Der Text des Liedes wurde 1837 vom evangelischen Pfarrer Wilhelm Hey aus dem thüringischen Leina verfasst. Teleskope gab es da natürlich schon lange. Aber gehen wir trotzdem mal davon aus, dass er nicht an eine wissenschaftlichen Himmelsdurchmusterung interessiert war: Wie viele Sterne kann man dann mit freiem Auge wirklich sehen?
Das kommt darauf an. Je schwächer ein Stern leuchtet, desto schlechter ist er logischerweise zu sehen. In Folge 28 der Sternengeschichten habe ich schon erklärt, wie Astronomen die Helligkeit von Himmelsobjekten messen. Sie verwenden dafür die Einheit “Magnitude” oder “Größenklasse”. Dabei gilt: Je kleiner die Magnitude, desto größer die Helligkeit. Dieser seltsame Zusammenhang hat historische Gründe, genau wie die Tatsache dass die Magnituden keine lineare Beziehung abbilden. Ein Stern der Größenklasse 5 leuchtet beispielsweise nicht 5 Mal schwächer als ein Stern der Größenklasse 1, sondern hundert Mal schwächer. Das hellste Objekt an unserem Himmel ist logischerweise die Sonne; sie hat eine Magnitude von -26,73. Das ist 1000 Milliarden mal mehr Licht als unser Auge von Sternen der 6. Größenklasse registriert. Und in der Nähe der 6. Magnitude liegt auch ungefähr die Grenze dessen, was wir ohne Hilfsmittel noch wahrnehmen können.
Der genaue Wert ist nicht eindeutig bestimmbar. Das hängt zum Beispiel davon ab, wie gut das eigene Auge funktioniert. Kinder haben größere Pupillen und können deswegen auch mehr Licht registrieren als Erwachsene. Im Alter degeneriert das Auge generell; die Linse wird trüber, die Pupille kleiner und man sieht schlechter. Schlecht sieht man auch, wenn man müde ist, wenn man viel Alkohol getrunken hat, wenn man nicht an die Dunkelheit adaptiert ist, und so weiter. Ein Kind mit guten Augen kann am Himmel als viel mehr Sterne sehen als ein müder, besoffener Erwachsener…
Irgendwo zwischen 6. und 6,8 Magnituden liegt die Grenze dessen, was wir sehen können. Wenn wir von einem Wert von 6,5 Magnituden ausgehen, dann reicht ein Blick in einen Sternenkatalog um eine erste Antwort auf die Frage zu finden. Im Yale Katalog der hellen Sterne finden sich genau 9096 Sterne die heller als 6,5 Magnituden leuchten. Und gezählt hat die nicht “Gott der Herr”, sondern die amerikanische Astronomin Dorrit Hoffleit, die vor allem auch so nett war, ihr Ergebnis mit dem Rest der Welt zu teilen! Die Expertin für veränderliche Sterne und Astrometrie wurde 1907 geboren und sah im Alter von 12 Jahren den Perseiden-Sternschnuppenschauer. Das faszinierte sie so sehr, dass sie Astronomin werden wollte. Nach einem Mathematikstudium suchte sie am Observatorium des Harvard College nach veränderlichen Sternen und wurde 1948, nach Abschluss ihrer Doktorarbeit in Astronomie dort auch als Astronomin angestellt. 1956 wechselte sie nach Yale, wo sie auch den “Bright Star Catalogue” zusammenstellte, der alle Sterne auflistet, die man mit freiem Auge von der Erde aus sehen kann.
Aber wir können nie den gesamten Himmel sehen! Einerseits stehen da im Allgemeinen immer irgendwelche Berge, Bäume oder Gebäude herum und verstellen uns den Blick. Andererseits ist ja auch immer die Hälfte des Himmels verborgen, weil er unter unseren Füßen liegt. Wenn wir von einem perfekten Beobachtungsort ausgehen, der überall einen komplett freien Blick bis zum Horizont bietet – zum Beispiel auf einem Schiff am windstillen Ozean – dann können wir dort also knapp 4500 Sterne mit freiem Auge sehen. Das gilt allerdings nur für einen bestimmten Zeitpunkt beziehungsweise Beobachtungsort. Stünden wir am Nordpol (wo dank Klimawandel immerhin kaum noch Eisberge den Blick verstellen), dann würden wir immer nur die nördliche Hälfte des Himmels sehen; am Südpol ist es genau so nur umgekehrt. Dazwischen kommt es auf die Jahreszeit an, welche Sterne gerade sichtbar sind. Manche Sterne kann man nur im Winter sehen; manche nur im Sommer – je nachdem wie die Erde bei ihrem Lauf um die Sonne gerade geneigt ist. Von mittleren Breitengraden wie hier bei uns in Europa kann man so im Laufe eines Jahres etwa 6800 Sterne sehen.
Aber dann auch wieder nicht. Denn von Mitteleuropa aus kann man eigentlich fast gar keine Sterne mehr sehen. Das Licht der Städte überstrahlt das Licht der Sterne und macht den Himmel künstlich hell. Jetzt hat Wilhelm Hey zwar in seinem Text sogar geschrieben: “Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?”. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass er damit auf das zunehmende Problem der Lichtverschmutzung (über das ich schon in Folge 32 der Sternengeschichten gesprochen habe) hinweisen wollte. Dann hätte er auch eher von einem “orangen” oder “gelb-gräulichen” Himmel sprechen müssen. “Blau” weist eher auf die Morgen- oder Abenddämmerung hin, was allerdings auch kein guter Zeitpunkt ist, um möglichst viele Sterne zu beobachten. Will man auch die allerschwächsten Sterne sehen, muss es stockfinster sein; die Sonne muss schon lange untergegangen sein, weit unter dem Horizont stehen und noch lange nicht aufgehen. Das ist nicht immer der Fall. Im hohen Norden (bzw. im tiefen Süden) gibt es Tage an denen die Sonne gar nicht untergeht und auch in gemäßigteren Breiten kann die Sonne im Sommer nur kurz unter dem Horizont verschwinden. Die Nacht wird dann nicht dunkel genug, um tatsächlich alle Sterne sehen zu können die man theoretisch sehen kann.
Man braucht also einen Ort, der sich weitab von jeglicher Zivilisation befindet. Der Ort muss einen freien Blick auf den Horizont bieten. Und er darf nicht zu weit nördlich oder südlich liegen um eine ausreichend dunkle Nacht bieten zu können. Das ist kaum noch irgendwo der Fall – und dort wo es solche Bedingungen gibt, haben die Astronomen im Allgemeinen schon ihre Teleskope aufgestellt. In der chilenischen Wüste zum Beispiel oder in den Hochebenen von Südafrika. Von den europäischen Städten aus sieht man kaum noch Sterne. Und die paar die man sieht kann man normalerweise auch problemlos zählen, ganz ohne ein Gott oder eine professionelle Astronomin zu sein. Nimmt man die Sterne bis zur Magnitude 2 – das entspricht ungefähr der Helligkeit der Sterne im großen Wagen und auch ungefähr der Grenzhelligkeit von Sternen die man aus stark besiedelten Gebieten sehen kann – dann gibt es davon 70. Am ganzen Himmel; von einem bestimmten Ort aus sind es dann wieder nur die Hälfte. In dem Fall würde die Antwort auf die Frage aus dem Kinderlied also lauten: 35.
Das ist ein wenig niederschmetternd. Aber zum Glück haben die Astronomen ja ihre Teleskope. Schon mit einem kleinen Hobbyteleskop kann man Sterne bis zur 15. Magnitude sehen. Da braucht man dann auch für das Zählen eine ganze Weile; von denen gibt es ungefähr 380 Millionen am Himmel. Mit den besten Teleskopen die wir derzeit haben, können wir Sterne bis zur 31. Magnitude sehen und wie viele es davon gibt, hat noch niemand gezählt. Der lange Zeit umfangreichste Sternkatalog, der Tycho-2-Katalog mit den Ergebnissen des 1989 ins All geschossenen Hipparcos-Satelliten, enthält 2.539.913 Einträge. Der Katalog den die Raumsonde GAIA erstellen wird, wird am Ende über eine Milliarde Einträge enthalten. Das ist aber immer noch nur ein winziger Bruchteil all der Sterne die es in unserer Milchstraßengalaxie gibt. Deren Zahl kann man nur abschätzen. 100 bis 300 Milliarden könnten es sein, je nachdem mit welchen Methoden man die Abschätzung durchführt. Es gibt aber nicht nur unsere Galaxie; das Universum ist voll mit anderen aus jeder Menge Sterne bestehenden Galaxien; bis zu einer Billiarde können es sein. Jede davon enthält auch um die 100 Milliarden Sterne. Rechnet man das alles zusammen, gibt es da draußen ein paar hundert Quadrillionen Sterne.
Man kann sich die Antwort auf die Frage aus dem Kinderlied also aussuchen. Von 35 Sternen bis 100 Quadrillionen ist alles drin. Aber das was man zählen kann, haben wir gezählt. Dorrit Hoffleit sei Dank!
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