Ich habe letzte Woche in Wien einen Workshop über Wissenschaftsblogs gehalten und den Teilnehmern angeboten, ihre dort verfassten Texte als Gastbeitrag in meinem Blog zu veröffentlichen um “echtes” Feedback sammeln zu können. Dieser Artikel ist einer der Gastbeiträge und wurde von Rosana Kral verfasst.
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Die Erde erwärmt sich, die Menschheit wächst, die Ressourcen schwinden. Wir stehen vor riesigen Herausforderungen, die für den Einzelnen nicht zu bewältigen sind. Wir werden gemeinsam arbeiten müssen – und das ist auch allen klar. Eine wissenschaftliche Disziplin allein wird nicht ausreichen, um uns zu ernähren, unsere Gesundheit und die Ressourcen unseres Planeten zu erhalten.
Weil’s cooler klingt, geben wir dem gemeinsamen Arbeiten einen Fachbegriff und werfen damit gern bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, um sich: Interdisziplinarität. In unsere Forschungsanträge schreiben wir dieses wunderbare Wort gerne, weil es nicht nur sehr hübsch anzusehen ist, sondern auch von Fördergebern gern gelesen wird. Nicht zuletzt, weil wir uns von der Interdisziplinarität bessere, umfassendere Lösungsansätze und Resultate versprechen.
Aber wie weit ist es mit dieser schönen Idee denn tatsächlich her, wenn es ans Arbeiten geht? Wenn es darum geht, Informationen auszutauschen, anderen in unserer Arbeit Gewicht und Mitspracherecht zu geben?
Sich auf andere Arbeits- oder Sichtweisen einzulassen, erfordert Zeit, die Bereitschaft zu zuhören und ein anderes System nicht von vornherein als unwissenschaftlich abzutun. Es erfordert Mut, sich wieder in die Rolle des Lernenden zu begeben. In die Rolle dessen, der nicht alles weiß; dessen, der auch mal nachfragen muß. Und das mögen wir nicht gern. Wir sind doch diejenigen, die unser Fachgebiet beherrschen – da müssen wir uns doch von niemandem etwas erklären lassen.
Wir tun uns schwer damit, und wie schwer, das ist mir bewußt geworden, als ich als gelernte Biochemikerin mit Erzähldrang („hey, ich forsche da, und das ist super interessant. Laß mich erzählen, warum das so toll ist!“) über eine Stellenausschreibung gestolpert bin, die mich sofort fasziniert hat.
Es ging um Wissenschaftskommunikation für eine Einrichtung, die sich der Entwicklungsforschung verschrieben hatte; von Land- und Wasserwirtschaft, Bodenforschung, Kulturtechnik, Vermessung, Ingenieurbau über Wirtschaftswissenschaften war für jeden etwas dabei. Lernen, was andere Forschende so machen, Fragen stellen können, das Gelernte anderen zugänglich machen, mein Traumjob! Selten genug, daß jemand tatsächlich der Meinung ist, man bräuchte als wissenschaftliche Einrichtung eine Person, die ihre Zeit hauptamtlich darauf verwendet, die Arbeit der Institution bekannt zu machen; bisher hatte ich eher den Eindruck gewonnen, Wissenschaftskommunikation, das wäre das, was zwar jeder machen sollte, aber bitte nebenher, und nur, ohne allzu viel Zeit darauf zu verwenden.
Da war also diese tolle Stelle, noch dazu mit Aussicht auf ein internationales, interkulturelles und – Bingo! – interdisziplinäres Team. Ein Hauptgewinn im Lotto: täglich Neues lernen garantiert, nie wieder Langeweile oder Routine, immer in möglichst vielen Wissenschaftszweigen up to date. Ich war im siebten Himmel.
Natürlich hab‘ ich mich beworben, obwohl ich aus einem komplett anderen Wissenschaftsbereich komme, als damals gewünscht war. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie stolz ich war, daß ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde; damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Zwei Probetexte und ein weiteres Gespräch später bekam ich einen Anruf und ein Stellenangebot. Nach zehn Tagen saß ich mit meinem Handwerkszeug, das in jeder Wissenschaft sehr ähnlich ist, in einem noch ungewohnten Büro einer neuen Kollegin gegenüber, die ich nicht immer auf Anhieb verstand, obwohl sie Deutsch sprach, das ich meiner ostösterreichischen Heimat leicht zuordnen konnte. Seitdem habe ich viel in meine neue Arbeit investiert, aber unglaublich viel dazu gelernt und hoffentlich dazu beigetragen, daß mehr Menschen verstehen, was wir tun, und es interessant finden.
Was ich damit sagen will, ist im Grunde einfach: ich bin in ein wunderbares Team gekommen, das offen und mutig genug war, sich auf eine Kollegin einzulassen, die als Fachfremde Offensichtliches gar nicht selbstverständlich fand und erklärt bekommen wollte (und will. Danke Euch an dieser Stelle! Ich weiß, daß das sehr anstrengend sein kann.). Die Bereitschaft, die es zum interdisziplinären Arbeiten braucht, war und ist also grundsätzlich da; denn das tun meine Kollegen ja in fast allen ihren Forschungsprojekten. Aber man sollte sich nicht täuschen: leicht ist Interdisziplinarität im Tagesgeschäft nicht zu leben. Viel dauert länger und muß intensiver besprochen werden als in Teams, in denen sehr ähnliche Fachbereiche vertreten sind; manchmal ist man des Erklärens müde, ein anderes Mal des Zuhörens.
Diese Art des Arbeitens bedeutet einen höheren Aufwand, als immer im gleichen Sud zu kochen, sich innerhalb des eigenen Zirkels auszutauschen und gegenseitig zu bestärken. Es kostet Kraft, sich mit anderen Denkweisen auseinanderzusetzen. Es braucht Mut, der Anfänger zu sein, wenn man gewohnt ist, die Expertenrolle innezuhaben. Es kostet Zeit, sich anderen zu erklären, die nicht denselben fachlichen Hintergrund haben. Es kostet Zeit, sich ein anderes Gebiet so weit zu erschließen, daß man die Arbeitsweise eines Kollegen versteht. Aber das Ergebnis ist ungleich besser. Unbestritten kommt das hart erkämpfte Resultat mit einem großen Plus: alle lernen dabei. Und das nicht unbedingt (nur) in dem Bereich, in dem sie es erwartet hätten.
Aber natürlich kommt man langsamer zu Resultaten als jemand, der diesen Aufwand nicht erbringen muß. Natürlich läuft man Gefahr, wesentlich substanzieller in Frage gestellt zu werden als durch Kollegen aus demselben Fachgebiet, die manche Dinge selbstverständlich genauso als gegeben oder wichtig betrachten wie man selbst.
Und selbst in einer Umgebung, die grundsätzlich bereit ist, sich auf all das einzulassen, muß man sich eine gleichberechtigte Position immer wieder auf’s Neue erkämpfen. Aber es lohnt sich!
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