Im Oktober 2015 gab es ein wenig mediale Aufregung. Astronomen hatten den Stern KIC 8462852 beobachtet, dessen Licht sich auf seltsame Art und Weise verdunkelt. Mit simplen Erklärungen kam man nicht weiter. Es war kein Planet der das Sternenlicht periodisch verdunkelte. Es waren keine Sternenflecke. Es war nix was man erwartet hatte und man spekulierte darüber ob da vielleicht Aliens irgendwelche Mega-Strukturen um den Stern herum bauen. Ich habe damals ausführlich erklärt warum das zwar sein könnte aber doch eher die unwahrscheinlichste Variante ist. Irgendwelche Radiosignale hat man jedenfalls nicht empfangen und ein paar Wochen später schien es viel wahrscheinlicher das Kometen für das Verhalten des Sterns verantwortlich sind. Das hat sich im Laufe der Zeit aber auch als nicht zufriedenstellende Erklärung herausgestellt – was nicht heißt dass die Alien-Hypothese dadurch plötzlich viel wahrscheinlicher geworden ist. Wie hat schon damals einer der beteiligten Astronomen gesagt: “Aliens should always be the very last hypothesis you consider.”. Und bevor man hypothetische Außerirdische ins Feld führen muss, gibt es noch viele normalere Erklärungen die man betrachten kann. Zwei davon sind kürzlich veröffentlicht worden.
Jonathan Katz von der Washington University in St. Louis hat sich mit Ringen beschäftigt (“Tabetha’s Rings”). Nicht mit Ringen wie wir sie von Saturn kennen. Aber die Reduzierung der Sternhelligkeit hat ihn rein qualitativ daran erinnert wie es aussehen müsste, wenn ein Planet mit einem Ring einen Stern verdunkelt. Das hat man (vielleicht) auch schon beobachtet. Aber Katz geht es, wie gesagt, nicht um einen beringten Planeten der KIC 8462852 umkreist. Das funktioniert nicht, dafür ist der Helligkeitsabfall zu stark. Es geht ihm um Ringe die den gesamten Stern umgeben. Und – das ist der eigentliche Witz an der Sache! – nicht um Ringe bei KIC 8462852 sondern bei unserer Sonne.
Ok, “Ring” ist hier jetzt nicht wirklich wörtlich zu nehmen. Man darf sich nicht vorstellen, dass die Sonne so aussehen soll wie der Saturn. Wenn diese “Ringe” nahe an unserem Stern wären hätten wir davon ja auch schon längst was gemerkt. Es geht um Ringe die weiter weg sind; mindestens etwa 50 Astronomische Einheiten (AE), also 50 Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Und die “Ringe” würden eher klumpigen Asteroidengürteln ähneln. Es geht also um Asteroiden die weit entfernt um die Sonne kreisen. Und was haben die mit einem fast 1500 Lichtjahre entfernten Stern zu tun?
Ganz einfach. Die Helligkeitsänderungen bei KIC 8462852 wurden mit dem Kepler-Weltraumteleskop beobachtet. Auf dessen Instrumente fiel das Licht das von KIC 8462852 ausgesandt wurde. Ein etwa 600 Meter großer Asteroid der 50 AE von Kepler entfernt ist wäre groß genug um das gesamte Licht zu blockieren das Kepler von KIC 8462852 erreicht. Diese Erklärung hat mehrere Vorteile. Erstens setzt sie nix großartig Außergewöhnliches voraus. Wir wissen das es in dieser Entfernung zur Sonne Asteroiden gibt. Dort befinden sich die äußeren Regionen Kuipergürtels und 600 Meter ist jetzt auch nicht wahnsinnig groß für einen Asteroid. Von den Dingern fliegen da jede Menge rum. Zweitens erklärt sich damit neben dem enorm starken Helligkeitsabfall auch die Unregelmäßigkeit. Die Asteroiden sind ja mit Sicherheit nicht genau gleichmäßig verteilt. Mal kommt einer, mal kommt keiner und mal kommen ein paar hintereinander und alle sind unterschiedlich groß – und dementsprechend sind auch die Verdunkelungen nicht identisch . Drittens würde es auch erklären warum man bei KIC 8462852 Verdunkelungen im Abstand von 750 Tagen gemessen hat, was nämlich circa dem doppelten der Umlaufperiode von Kepler um die Sonne entspricht. In 50 AE Entfernung bewegen sich Objekte sehr, sehr langsam um die Sonne. In dem bisschen mehr als einem Jahr das Kepler für einen Umlauf braucht hat sich da draußen wenig getan und wenn dem Teleskop zuvor ein Asteroid im Weg gestanden ist stehen die Chancen gut dass das wieder der Fall ist.
Und viertens ist es eine Hypothese die sich testen lässt. Abgesehen davon dass zukünftige Verdunkelungen ebenfalls mit Keplers Umlaufperiode zusammen passen sollten könnte man KIC 8462852 auch von verschiedenen Positionen aus beobachten. Der Lichtstrahl des Sterns hat sich bis zum Sonnensystem auf besagte 600 Meter aufgeweitet. Wenn man nun Verdunkelungen die von verschiedenen Positionen aus gemessen werden vergleicht und dabei Unterschiede sieht und wenn die von Asteroiden im äußeren Sonnensystem verursacht werden, dann sollten die Unterschiede ein bestimmtes Muster haben was man auf mathematischen Weg prüfen kann.
Eine spezielle Art von Asteroiden haben auch spanische Wissenschaftler für eine andere Hypothese herangezogen. Fernando Ballesteros und seine Kollegen sind den “Trojanern” auf der Spur (“KIC 8462852: Will the Trojans return in 2021?”. Über diese besonderen Asteroiden habe ich hier ausführlich berichtet: Es handelt sich um Objekte die sich in sogenannten “Gleichgewichtspunkten” befinden. Hat man zwei große Himmelskörper – zum Beispiel einen Stern und einen Planeten, dann gibt es entlang der Umlaufbahn des Planeten zwei spezielle Punkte an denen sich alle wirkenden Kräfte genau aufheben. In der Umgebung dieser Punkte, die sich immer 60 Grad vor und 60 Grad hinter dem Planet auf seiner Bahn befinden, können sich kleinere Himmelskörper wie eben Asteroiden stabil bewegen. Jupiter besitzt hunderttausende solcher Trojaner (und bald fliegt dort eine Raumsonde vorbei), aber auch andere Planeten haben sie. Neptun zum Beispiel oder auch unsere Erde. Und es gibt sie mit Sicherheit auch in anderen Planetensystemen.
Warum nicht auch bei KIC 8462852? Als man das Ding vor zwei Jahren entdeckt hatte, hat man sich auf die simplen Erklärungen konzentriert. Ein Planet reicht nicht aus um den Stern entsprechend zu verdunkeln. Asteroiden auch nicht. Aber wer sagt denn, dass ein mögliches Planetensystem von KIC 8462852 schön ordentlich aufgeräumt ist? Das ist bei uns ja auch nicht der Fall. Wir haben einen ganzen Schwung Planeten. Planeten die von Monden umkreist werden. Planeten die Ringe haben. Planeten die große Gruppen von Trojanerasteroiden mit sich um die Sonne schleppen. Ballesteros und seine Kollegen haben sich nun einen komplexeren Fall angesehen: Einen großen Planeten mit Ringen und mit eigenen Trojanern der KIC 8462852 umkreist. Sie haben das ganze im Computer simuliert und festgestellt dass auch das die Beobachtungen gut reproduzieren könnte.
Auch hier ist es eine vergleichsweise simple Erklärung. Planeten mit Ringen und Trojanern gibt es bei uns im Sonnensystem. Warum soll es sie nicht auch anderswo geben? Wenn wir in den letzten 20 Jahren etwas über andere Planetensysteme gelernt haben, dann das das Sonnensystem absolut nicht einzigartig ist! Die Erklärung von Ballesteros kann auch so wie die von Katz überprüft werden. Denn wenn das was wir jetzt beobachtet haben wirklich Trojaner waren, dann muss es zwei Gruppen geben. Wie ich vorhin gesagt habe: Eine Gruppe die vor dem Planeten entlang läuft und eine die ihm hinterher läuft. Und die Simulation der Astronomen sagt uns auch, wann die zweite Gruppe kommen sollte: Im Februar 2021 müssten sie von uns aus gesehen wieder am Stern vorbei ziehen und eine zweite Welle seltsamer Verdunkelungen hervor rufen.
Trojaner-Asteroiden in 1500 Lichtjahren Entfernung. Asteroiden in unserem solaren Hinterhof. Oder doch irgendwas anderes? Das Rätsel um KIC 8462852 ist noch nicht gelöst aber wir WERDEN es lösen! Ich fände es äußerst cool wenn KIC 8462852 zur ersten Entdeckung extrasolarer Trojaner führt. Ich fände es ebenso spannend wenn wir dank KIC 8462852 die Asteroiden in den äußeren Bereichen unseres eigenen Sonnensystems besser verstehen. Und wenn es keine dieser beiden Erklärungen ist sondern etwas ganz anderes, dann würde es mich überraschen wenn es nicht etwas mindestens ebenso cooles ist. Am Ende haben wir auf jeden Fall was gelernt und das Universum ein kleines Stück besser verstanden. Und darauf kommt es an!
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