In der Nähe eines 400 Lichtjahre entfernten Sterns haben Astronomen jede Menge Gift entdeckt. Und gleichzeitig wertvolle Hinweise auf die Entstehung des Lebens auf der Erde gefunden. Klingt widersprüchlich, ist aber ganz normale Radioastronomie!
Wie das Leben auf der Erde genau entstanden ist, wissen wir noch nicht. Irgendwann gab es einen Punkt aus dem aus reiner Chemie sich selbst reproduzierende Organismen wurden. Wo das genau passiert ist – in der Tiefsee, auf Stränden vulkanischer Inseln oder irgendwo ganz anders ist unklar. Aber auf jeden Fall muss es auch davor schon ausreichend viele komplexe Moleküle gegeben haben. Diese präbiotischen Moleküle, Verbünde von mindestens sechs Atomen, sind absolut notwendig wenn man irgendwas basteln will, das sich selbst reproduzieren kann. Die Zutaten dafür (im Wesentlichen Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff) gab es natürlich auch auf der jungen Erde. Wir wissen allerdings seit einiger Zeit, dass all das auch im Weltall herumschwirrt und vor allem wissen wir, dass sich diese Atome auch dort zu komplexen organischen Molekülen zusammenfinden können.
Es ist also nicht auszuschließen, dass die Bausteine des Lebens im Weltall entstanden und quasi schon fertig auf die junge Erde geliefert worden sind. Zum Beispiel durch Kometen und Asteroiden auf denen wir viele dieser Moleküle direkt nachgewiesen haben. Neue astronomische Beobachtungen zeigen uns nun aber, das auch anderswo im Weltall die entsprechende Bausteine entstehen können.
Zum Beispiel beim jungen Stern IRAS 16293-2422. Der ist 400 Lichtjahre weit weg, in Größe und Masse der Sonne ähnlich aber sehr viel jünger. Er ist quasi gerade erst entstanden und noch immer von einer dichten Wolke aus Gas und Staub umgeben die aus seiner Entstehungszeit stammt. Damit ist er ein gutes Ziel für die Radioastronomie und ganz besonders für das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) der Europäischen Südsternwarte. Denn mit Radioteleskopen kann man Staub und Gas ganz besonders gut beobachten.
Klingt seltsam, ist es aber nicht. Das ganze Zeug das sich in der staubigen Gasscheibe befindet kann miteinander kollidieren. Wenn dort dann zum Beispiel ein Molekül mit einem anderem zusammenstößt kann es durch die Kollisionsenergie angeregt werden. Diese Energie gibt das Molekül aber schnell wieder ab und es tut das bei einer ganz klar definierten Frequenz die von seiner Zusammensetzung abhängt und im allgemeinen im Radio/Mikrowellenbereich des elektromagnetischen Spektrums liegt. Wenn sich in so einer Staubscheibe um einen jungen Stern also komplexe Moleküle befinden, dann können sie mit einem Radioteleskop entdeckt werden.
Nur: Wie kommen die Moleküle überhaupt dorthin? Moleküle entstehen ja nicht einfach aus dem Nichts. Damit sich Moleküle bilden können müssen sich mehrere Atome zusammenfinden und sich verbinden. Und wenn der Weltraum eines ist, dann recht groß und recht leer. Rein intuitiv erscheint es unwahrscheinlich, dass genug Atome der richtigen Sorte einander so nahe kommen um Moleküle zu bilden. Aber hier geht es ja nicht um den leeren Raum sondern um die Gas/Staubwolke aus der Entstehungszeit des Sterns. Da kann ein Atom zum Beispiel auf ein Staubkorn treffen und dort liegen blieben. Und später vielleicht noch eines. Und noch eines. Jede Menge Atome liegen auf dem Staubkorn rum; vergleichsweise nahe beieinander und irgendwann können sie chemisch reagieren und ein Molekül bilden. Staubwolken sind also ideale Molekülfabriken. Und aus dem Staub der einen jungen Stern umgibt entstehen Asteroiden und Kometen und aus denen später die Planeten. Die Asteroiden/Kometen die nicht Teil der Planetenentstehung werden können später die Moleküle auf die Oberfläche der Planeten bringen. Und auch der Staub der übrig bleibt kann direkt auf die Planeten “regnen”.
Unsere Sonne hat ihre Jugend schon lange hinter sich, die meisten Asteroiden und Kometen und ein Großteil des Staubes ist schon verschwunden. IRAS 16293-2422 hat das alles noch vor sich. Und was komplexe Moleküle angeht scheint das System gut ausgestattet zu sein! Schon früher hat man dort Zucker gefunden. Keine herumschwirrenden Zuckerwürfel natürlich sondern Glycolaldehyd-Moleküle, die man braucht wenn man Ribose herstellen will und die ist der essentielle Bestandteil der Ribonukleinsäure, als der RNA, einer Vorstufe zur DNA.
Die Beobachtungen die Astronomen kürzlich mit ALMA durchgeführt haben, zeigen nun aber auch noch die Existenz eines anderes komplexen Moleküls: Methylisocyanat. Noch chemischer nennt sich das Zeug C2H3NO, besteht also aus drei Wasserstoffatomen, zwei Kohlenstoffatomen und je einem Stickstoff- und einem Sauerstoffatom. Das wird den Nichtchemikern wenig sagen, aber die erinnern sich vielleicht an die Katastrophe von Bhopal, bei der im Jahr 1984 ein Chemiekonzern unabsichtlich ein paar Dutzend Tonnen Methylisocyanat in die Atmosphäre entlassen hat. Es gab ein paar Tausend bis ein paar Zehntausend Todesopfer und bis zu einer halben Million Verletze. Methylisocyanat ist also definitiv kein harmloses Molekül! Es ist hochgiftig und wird zur Herstellung von Pestiziden verwendet.
Man braucht es aber auch, wenn Aminosäuren entstehen sollen und die sind ebenfalls eine Vorstufe des Lebens. Die Entdeckung mit ALMA ist genau deswegen wichtig. Sie ist nicht revolutionär; sie bestätigt im Wesentlich nur das was wir schon wissen bzw. lange vermutet haben. Komplexe organische Moleküle entstehen überall im Weltall und sie entstehen vor allem dort wo auch Planeten entstehen. Es ist also nicht unplausibel dass die Bausteine des Lebens aus dem Weltraum auf die Planeten kommen und dort die Entstehung des Lebens verursachen. Das, was ALMAs Beobachtung so besonders macht ist einerseits die Tatsache, dass sie bei einem sonnenähnlichen Stern stattfindet der nicht die Sonne ist. Wir können also das, was eventuell bei uns passiert ist nun auch woanders beobachten. Andererseits ist es eine Beobachtung die bei einem Stern stattfindet der viel jünger ist als unsere Sonne. Wir können nicht in die Vergangenheit unseres Sonnensystems schauen. Aber das Universum ist voll mit Sternen in den verschiedensten Entwicklungsstufen! Und dort können wir uns – mit etwas Glück und viel Mühe – Stück für Stück passende Systems zusammenbeobachten um so ein komplettes Bild der Entstehung von Planeten und Leben gewinnen.
Das “Gift” das IRAS 16293-2422 umkreist zeigt uns was vor 4,5 Milliarden Jahren vielleicht in unserem eigenen Sonnensystem passiert ist. Und wenn wir davon ausgehen dass wir nicht zufällig die Folgen eines außerirdischen Chemieunglücks beobachtet haben sondern einen normalen Vorgang im Kosmos stehen die Chancen gut das wir auch anderswo die Entstehung des Lebens mitverfolgen können. Bis wir irgendwann verstanden haben, wie unser eigenes Leben entstanden ist.
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