Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 245: Wie der Mond nicht entstanden ist
Der Mond ist am nächtlichen Himmel der auffälligste Himmelskörper. Wenn er am Himmel steht dann kann man ihn nicht übersehen. Es ist daher auch kein Wunder das er von Anfang an im Zentrum der menschlichen Aufmerksamkeit stand. Schon in der prähistorischen Zeit war er Teil der Mythen und Religionen der Menschen, wurde verehrt und der Wechsel der Mondphasen zur Grundlage der Zeitrechnung und des Kalenders – deswegen heißt der Monat ja auch Monat. Religionen und Mythen haben natürlich auch unzählige Geschichten über die Entstehung dieses Himmelskörpers parat. Das sind dann aber eben auch religiöse und mythologische Geschichten und keine wissenschaftlichen Theorien.
Bis es die gab, hat es ein wenig länger gedauert. Die erste Idee die man als halbwegs wissenschaftliche Theorie der Mondentstehung bezeichnen könnte stammt von René Descartes. Aufgeschrieben hat er sie wohl um das Jahr 1630 herum aber veröffentlicht wurde sie erst nach Descartes Tod im Jahr 1664. Vermutlich lag es der berühmten Verurteilung von Galileo Galilei wegen dessen Gedanken über das heliozentrische Sonnensystem im Jahr 1633 das Descartes von einer Veröffentlichung seiner Thesen abgesehen hatte. Descartes stellte sich einen Kosmos vor, der voller kleiner Materieteilchen war. Voll sein musste, denn Descartes glaubte nicht daran dass es so etwas wie Vakuum geben könnte. Und wenn es keinen leeren Raum geben kann, muss alles voller Materie sein. Und weil alles so voll ist, können die sich nicht einfach nur gerade aus bewegen, sondern beeinflussen sich gegenseitig und bilden Wirbel. Descartes unterschied zwischen “grober” und “feiner” Materie wobei erster der Wirbelbewegung besser widerstehen kann als letztere. Die feine Materie bewegt sich daher in den Descartschen Wirbeln nach außen und verdichtet sich dort; die grobe Materie landet in der Mitte der Wirbel. Aus diesen Wirbeln sollen dann laut Descartes Planeten entstehen die einen Stern umkreisen; die Planeten entwickeln aber selbst wieder Wirbel aus denen dann weitere Himmelskörper entstehen können. So sollen Erde und Mond entstanden sein.
Soweit René Descartes – aber wenig später kam Isaac Newton und zeigte dass das mit den Wirbeln nicht funktionieren kann. Er entwickelte seine eigene Theorie zur Erklärung der Bewegung von Himmelskörpern durch eine Gravitationskraft die bekanntermaßen wesentlich erfolgreicher war. Die nächste, diesmal wirklich ernsthafte Theorie zur Mondentstehung kam erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Entwickelt hat sie Darwin – allerdings nicht Charles Darwin der berühmte Biologe, sondern sein Sohn George Howard Darwin der ein erfolgreicher Astronom und Mathematiker war. Seine 1878 veröffentlichte Hypothese ist als “Abspaltungstheorie” bekannt: Darwin stellte sich vor, dass die Erde früher wesentlich schneller als heute um ihre Achse rotiert hat. Außerdem ging er davon aus dass die Erde früher viel heißer und ihr Gestein nicht so fest wie heute war. Die schnelle Rotation der glutflüssigen Erde hat dazu geführt dass sich ein Teil von ihr abgelöst hat und ins All entkommen ist. Dort soll daraus der Mond entstanden sein, der der Erde früher also auch viel näher gewesen sein muss. Nun konnten, so hat Darwin ausgerechnet, Gezeitenkräfte zwischen Erde und Mond wirken. Diese aber bremsen einerseits die Rotation der Erde, führen andererseits aber auch dazu dass sich der Mond von der Erde entfernt. So lange und so weit bis wir den heutigen Zustand beobachten, mit einer Erde die 24 Stunden für eine Drehung um ihre Achse braucht und einen Mond der knapp 400.000 Kilometer weit weg ist.
Der Geologe Osmond Fisher fand die Theorie gut und meinte einen weiteren Beleg beitragen zu können: Der riesige pazifische Ozean sei nichts anderes als die Stelle, an der sich der Mond abgelöst hat; quasi die Narbe der Mondentstehung. Nun: Vieles von dem was Darwin sich überlegt hat war richtig. Die Erde drehte sich früher tatsächlich schneller. Sie war früher tatsächlich wärmer. Die Gezeitenkraft zwischen Erde und Mond bremst tatsächlich die Erdrotation und vergrößert den Abstand zum Mond. Wir können die Tageslängen der Vergangenheit heute gut aus diversen fossilen Ablagerungen bestimmen und sehen dort das ein Tag früher kürzer war als heute. Aber die Erde hatte sich nie so schnell um ihre Achse gedreht dass der Mond sich lösen hätte können. Und dass der Pazifik das Resultat der Plattentektonik auf der Erde ist wissen wir heute auch.
Darwins Theorie der Mondentstehung war gut und nach damaligen Wissensstand nicht unplausibel. Aber eben leider nicht richtig. Nur wenige Jahre später kam der nächste Versuch – und zwar 1909 von Thomas Jefferson Jackson See. Er meinte, dass der Mond genau so entstanden sei wie die anderen Planeten, quasi als eigenständiger Planet irgendwo anders im Sonnensystem. Dann sei er aber irgendwann zu nahe an der Erde vorbei gekommen und von ihr eingefangen worden. Auch diese Hypothese ist nicht völlig unplausibel. Wenn der Mond tatsächlich genau im richtigen Moment im richtigen Winkel mit der richtigen Geschwindigkeit am richtigen Ort ist, dann könnte er in eine stabile Umlaufbahn um die Erde eingefangen werden. Aber das ist sehr, sehr unwahrscheinlich. So unwahrscheinlich das es quasi unmöglich ist. Sees Theorie erklärt auch nicht, wieso der Mond, im Gegensatz zu ähnlichen Himmelskörpern wie Erde, Venus oder Merkur, keinen metallischen Kern hat. Wieso sollte gerade dem Mond so etwas fehlen? Sie erklärt auch nicht, wieso die chemische Zusammensetzung des Mondgesteins dem irdischen Gesteins überraschend ähnlich ist. Wäre der Mond irgendwo anders im Sonnensystem entstanden dann hätten dort auch andere Bedingungen geherrscht und die chemische Zusammensetzung müsste sich unterscheiden. Erschwerend für See kam zu all dem noch dazu dass er in der wissenschaftlich Gemeinschaft nicht sonderlich hoch angesehen war. Er behauptete zum Beispiel einmal einen Planeten bei einem anderen Stern entdeckt zu haben, den allerdings keiner außer ihm sehen konnte. Gleiches galt für angebliche Planeten hinter der Neptunbahn die See entdeckt haben wollte. Er entwickelte Theorien zur Entstehung von Erdbeben, von Planeten, des Sonnensystems und obwohl ihn seine Kollegen immer wieder darauf hinwiesen dass die nicht funktionieren könnten ließ er sich nicht beirren sondern fing stattdessen immer wieder Streit an. Später entwickelte er sich zu einem erbitterten Gegner von Albert Einstein und glitt vollends in die Pseudowissenschaft ab.
Sehr originell ist dagegen die 1955 veröffentlichte Theorie des estnischen Astronomen Ernst Öpik. Ihn kennt man heute vor allem für seine Erkenntnis das Kometen aus einer das Sonnensystem umgebenden Wolke stammen müssen, also der Region die heute trotzdem “Oortsche Wolke” heißt und nicht “Oort-Öpik-Wolke” obwohl das viel gerechter gewesen wäre. Öpik ging davon aus dass es früher zur Zeit der Planetenentstehung noch viel mehr Kleinkörper im Sonnensystem gegeben hatte. Jede Menge Asteroiden seien damals auf der Erde eingeschlagen und hätten sie enorm stark aufgeheizt. So sehr, dass große Menge ihres Materials regelrecht ins All verdampften. Dort kühlte das Material wieder ab, kondensierte zu festen Teilchen aus denen sich dann schließlich der Mond bildete. Damit konnte Öpik erklären, warum der Mond keinen Eisenkern hatte – der war tief im Inneren der Erde unbeeindruckt von den Asteroideneinschläge und nur das Gesteinsmaterial verdampfte ins All um den Mond zu bilden. Ein Problem hat die Theorie aber mit der Drehung von Mond und Erde und der Bewegung des Mondes um die Erde herum. All diese Rotationsbewegungen zusammen bilden den Drehimpuls des Erde-Mond-Systems und wenn man die einzelnen Beiträge berechnet dann zeigt sich dass der überwiegende Anteil dieses Drehimpuls von der Bewegung des Mondes um die Erde herum stammt und nicht von der Rotation der Himmelskörper um ihre eigenen Achsen. Das ist einzigartig beim Erde-Mond-System; bei den Monden anderen Planeten ist das nicht so. Und Öpiks Theorie konnte nicht erklären, warum das so ist.
In den 1960er Jahren belebte der amerikanische Astronom Thomas Gold die alte Einfangtheorie von See wieder. Die Wahrscheinlichkeit dass die Erde einen Himmelskörper einfängt hängt unter anderem von dessen Masse ab. So ein riesiges Ding wie den Mond einzufangen ist enorm unwahrscheinlich. Bei kleineren Objekten könnte es aber klappen; von denen existieren auch mehr im Sonnensystem. Was also, so Gold, wenn die Erde im Laufe der Zeit viele kleine Objekte eingefangen hat? Die Erde hätte dann früher nicht nur einen Mond gehabt sondern mehrere. So wie der Mond heute müssten aber auch die kleinen Monde damals aufgrund der Gezeitenkraft der Erde langsam von ihr weg gewandert sein. Irgendwann müssen sie bei diesem Prozess miteinander kollidiert sein und hätten so den großen Mond gebildet. Es klingt zwar nett, dass die Erde früher mal mehr Monde gehabt hat. Aber nur ein paar Jahre nach der Veröffentlichung von Golds Hypothese landeten Astronauten auf dem Mond, untersuchten dort Gesteinsproben und konnten so zeigen dass er nicht Recht haben konnte. Die Gesteinsproben zeigten eindeutig dass der Mond der Erde enorm ähnlich ist. Wenn er aus jeder Menge unterschiedlichen Kleinkörper entstanden wäre kann das nicht sein.
Auch die noch viel ältere Abspaltungstheorie von George Darwin hat nach längerer Zeit wieder eine Auffrischung erlebt und zwar auf höchst spektakuläre Weise. Die beiden niederländischen Wissenschaftler Rob de Meijer und Wim van Westrenen haben zwar bestätigt dass die Erde nicht schnell genug rotiert haben kann um die Ablösung des Mondes zu verursachen. Aber die Erde könnte Hilfe durch eine gewaltige Atomexplosion bekommen haben! Keine menschengemachte natürlich, und auch Aliens sind in dieser Hypothese nicht involviert. Es geht dabei um sogenannte “Naturreaktoren”: Wir wissen, dass im Inneren der Erde jede Menge radioaktive Materialien existieren. Und es ist durchaus möglich dass sich auf natürlichem Weg zum Beispiel genug Uran ansammelt so dass eine nukleare Kettenreaktion eintreten kann. In Westafrika hat man so etwas sogar schon entdeckt, den “Naturreaktor Oklo” der eine halbe Million Jahre lange eine Leistung von 100 kW erzeugt hat, was zwar nicht viel ist und schon 2 Milliarden Jahre her ist – aber trotzdem ziemlich cool. Wenn es jetzt aber vor 4,5 Milliarden Jahren tief im Inneren der Erde eine viel größere Konzentration radioaktiver Elemente gegeben hat könnte so eine enorme nukleare Explosion stattfinden die den Mond quasi aus der Erde ins All hinaus sprengt. Diese Hypothese ist zwar spektakulär aber nicht unbedingt plausibel. Sie ist nicht unmöglich, aber es gibt bis jetzt keine konkreten Modellrechnungen die zeigen könnten, dass das wirklich so ablaufen kann. Es ist auch zweifelhaft ob so eine Explosion wirklich die nötige Wucht hat oder ob ein Großteil der Energie nicht zuvor schon durch Vulkanismus abgebaut würde.
All diese Hypothesen haben zwei Dinge gemeinsam: Sie könnten prinzipiell erklären wie der Mond entstanden sein könnte, haben sich aber im Laufe der Zeit als falsch herausgestellt. Die einzige Hypothese bei der das nicht der Fall ist und die bis heute die meisten Eigenschaften des Mondes erklärt ohne dabei im Widerspruch zu Messungen und Beobachtungen zu stehen ist die Kollisionstheorie: Der Mond entstand als in der Frühzeit des Sonnensystems ein etwa marsgroßer Himmelskörper mit der Erde zusammenstieß. Die Trümmer dieser Kollision formten sich zum Mond. Ich habe diese Theorie ausführlich in Folge 149 der Sternengeschichten vorgestellt – aber ich bin sicher dass ich auch in Zukunft noch das eine oder andere Mal von der Entstehung unseres Begleiters erzählen werde. Auch wenn der Mond der Himmelskörper ist mit dem wir Menschen uns am längsten beschäftigt haben: Es gibt noch jede Menge offene Fragen und es gibt noch jede Menge Geschichten zu erzählen!
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