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Kann Licht rückwärts laufen?
von Peter Paul
Licht kann sich ganz langsam bewegen, auch stehen bleiben und sogar rückwärts laufen und das alles ganz ohne Spiegel und Glasfasern, sondern einfach so, im Vakuum. Halt! Das kann nicht sein! Einstein sagt doch…Und doch ist es möglich, weil der Raum nicht so unveränderlich ist, wie wir ihn uns normalerweise vorstellen, sondern weil er sich seit dem Urknall ausdehnt und das wohl auch noch weiter so tun wird. Und, wie so oft, ist es auch in diesem Zusammenhang wieder eine Frage des “Standpunktes”, im wahrsten Sinne dieses Wortes.
Auch wenn wir alle schon einmal einen Luftballon aufgeblasen haben, wir kennen uns in expandierenden Räumen nicht so gut aus. Sogar die Profis veröffentlichen manchmal ganz widersinnige “Veranschaulichungen” von dieser Expansion:
Aber zurück zum Luftballon: Er dehnt sich natürlich im Raum aus. Der Raum selbst macht gar nichts. Aber wenn ich mir vorstelle, vielleicht als kleine Ameise in dem Ballon zu sitzen, vielleicht sogar mit ein paar netten Ameisenkameraden zusammen, dann geht das schon besser. Wenn jetzt der Luftballon von jemandem(?!) aufgeblasen wird und sich alle Kollegen gut an der Wand festhalten, dann wird der Raum zwischen mir und den anderen größer, die anderen werden scheinbar immer kleiner (ganz im Gegensatz zu obiger Animation) und da ich nicht hinaus sehen kann, scheint sich der Raum wirklich auszudehnen.
Aber wir sind keine Ameisen und da ist keine undurchsichtige Wand, an der wir kleben und der Raum hat drei Dimensionen und deshalb ist alles viel unübersichtlicher als für die braven Tierchen. Aber trotzdem kann man sich die Sache mit einem Vergleich sehr übersichtlich gestalten, dabei hat man auch die Chance, das seltsame Verhalten des Lichts zu verstehen.
Da ist eine Straße (Sie spielt die Rolle des Raums), die man sich nach beiden Seiten unendlich weit fortgesetzt vorstellen muss. Auf der Straße parken Autos, auch unendlich viele, zugegebenermaßen etwas dicht. Ihre Vorderräder (Die spielen hier die Rolle der Galaxien) sind fest mit der Straße verbunden, Außerdem steht da eine Fahne. Das ist der Platz, an dem wir uns einen Beobachter (z.B.: einen Astronomen auf der Erde) vorstellen, das ist sein “Standpunkt”. Soweit ist alles gut, aber entscheidend ist nun, dass die Straße dehnbar ist wie Gummi und sich nach links und rechts ausdehnt, als ob da irgendwelche Riesen zu ihrem Spaß daran ziehen würden.
Was sieht nun der Beobachter während dieses Vorgangs? Die Autos auf der rechten Seite bewegen sich nach rechts und die linken nach links, dabei sehen sie natürlich immer kleiner aus. Das kennen wir schon von den Ameisen.
Aber die Geschwindigkeiten sind nicht gleich. In der gleichen Zeit, in der der graue Wagen um vielleicht einen Meter gegenüber dem hellgrünen nach rechts bewegt wurde, wurde auch der orange PKW gegenüber dem grauen um 1 Meter nach rechts bewegt, genauso der lila gegenüber dem orangen. Vom Beobachter aus wurde also der graue um 2m und der lila um drei Meter nach rechts bewegt. Für ihre Geschwindigkeiten heißt das: Im Vergleich zum grauen Wagen wurde also der orange mit der doppelten, der lila mit der dreifachen Geschwindigkeit nach rechts bewegt. Und das geht nach beiden Seiten entsprechend so weiter, denn die Straße ist ja unendlich lang. Deshalb gibt es auch Autos, die mit Lichtgeschwindigkeit oder doppelter Lichtgeschwindigkeit oder x-facher Lichtgeschwindigkeit vom Beobachter wegbewegt worden sind.
Ganz entsprechende Überlegungen gelten, wenn sich der Beobachter z.B. neben dem orangen PKW befindet, oder neben irgendeinem anderen, nur die Farben der Autos müssen dann durch die aktuellen Farben ersetzt werden.
Bisher ist es eigentlich nur die Straße bzw. es sind deren Stücke, die sich mit ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten vom jeweiligen Beobachter wegbewegen. Entsprechend werden diese Geschwindigkeiten in der Kosmologie Fluchtgeschwindigkeiten v genannt. Und diese Fluchtgeschwindigkeiten hängen natürlich vom Beobachter ab. Ein Wagen, der für den einen (ruhenden) Beobachter vielleicht schon mit Lichtgeschwindigkeit “flieht”, hat für den Beobachter, der neben diesem Auto (in Ruhe) steht, die Geschwindigkeit 0.
Jetzt schauen wir aber einmal auf die Tachos in den Autos. Sie zeigen natürlich alle die gleiche Geschwindigkeit an, nämlich die Geschwindigkeit 0, weil alle Autos nur dastehen und geparkt sind. Sie bewegen sich vom Beobachter (von welchem auch immer) nur weg, weil sich die Straße ausdehnt, gegenüber dem Straßenstück, auf dem sie stehen, bewegen sie sich überhaupt nicht.
Aber Autos können auf einer Straße natürlich nicht nur stehen, sie können auch fahren, und dann zeigt ihr Tacho etwas anderes an als 0, nämlich die Geschwindigkeit gegenüber der Straßenoberfläche, auf der sie sich im Augenblick befinden. In jedem Auto wird mit dem Tacho nur das gemessen, was die jeweils eigenen Räder tun, und das ist eine ganz “lokale” Angelegenheit. Was die Straße woanders sonst noch macht ist dem Tacho völlig egal.
Und genau für diese, ich nenne sie einmal “Tacho-Geschwindigkeit”, hat Einstein in seiner “Speziellen Relativitätstheorie” eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung festgelegt, die auch wirklich von allen Autos eingehalten wird. Die Tacho-Geschwindigkeit darf und kann nicht größer sein als die Lichtgeschwindigkeit c.
Wissenschaftlich sagt man: Die “Spezielle Relativitätstheorie” mit der Lichtgeschwindigkeit c als maximaler Grenzgeschwindigkeit, gilt auch im expandierenden Raum, aber sie gilt dort nur als lokaler Grenzfall.
Ändern wir nun unser Modell ein wenig ab. Die Straße bekommt nun mehrere Spuren nebeneinander, so dass auch überholt werden kann. Einzelne Autos bzw. Vorderräder sind nun keine Galaxien mehr sondern Lichtteilchen, Photonen, die sich selbstverständlich mit Lichtgeschwindigkeit auf ihrem Tacho auf der Straße bewegen. Auch für diese fahrenden Autos ist das Straßenstück, auf dem sie sich jeweils befinden, in Ruhe.
So ein Auto rast nun aus großer Entfernung, vielleicht von links, auf unseren Beobachter zu, also mit Fahrtrichtung nach rechts, während sich dort jedes Straßenstück, von unserem Beobachter aus, nach links bewegt. Nun kommt es zu den anfangs angekündigten seltsamen Vorkommnissen:
Befindet sich der Wagen sehr weit entfernt vom Beobachter, dann hat die Straße dort für den Beobachter Überlichtgeschwindigkeit. Deshalb vergrößert sich der Abstand zum Beobachter sogar noch, obwohl das Auto pausenlos nach rechts fährt, bewegt es sich vom Beobachter aus gesehen nach links, also rückwärts.
Ist das Auto an einer Stelle, an der die Straße sich – vom Beobachter aus gesehen – genau mit Lichtgeschwindigkeit wegbewegt, ändert sich sein Abstand vom Beobachter überhaupt nicht. Es bleibt gleichsam relativ zum Beobachter stehen. (Es ist so, wie man es in einem langsam fahrenden Zug erleben kann, wenn man gegen die Fahrtrichtung geht. Gegenüber dem Bahnsteig kann man am gleichen Ort bleiben.)
Wäre die Raumausdehnung immer die Gleiche, würde das Auto ewig im gleichen Abstand vom Beobachter bleiben, also gewissermaßen in Ruhe sein. Aber so muss es nicht sein, die Raumausdehnung kann sich ändern und tut das in der Realität auch. Die Riesen, die die Straße dehnen, können sozusagen müde werden, dann verlangsamt sich die Raumausdehnung, das Auto kommt dann wieder nach rechts voran, wenn zunächst auch nur langsam, und der Beobachter kann sich über Besuch freuen. Oder die Riesen können einen Endspurt einlegen, dann wird das Auto mit der Straße nach links gerissen, der Beobachter bleibt einsam und alleine auf der Straße stehen.
In dieser Situation scheint das wirkliche, reale Universum seit ca. 5 Mrd. Jahren zu sein. Die Raumausdehnung beschleunigt sich, nachdem sie sich in den ersten Jahrmilliarden nach dem Urknall überwiegend verlangsamt hatte. Und wenn diese Beschleunigung so oder sogar noch schneller weiter ginge, müsste man “bald” nicht mehr weit gehen, um in Bereiche zu kommen, die sich bereits mit Überlichtgeschwindigkeit von uns wegbewegen. Von dort könnte dann aber kein Licht mehr zu uns gelangen. Das sog. “beobachtbare Universum” würde immer kleiner werden. Zuerst würden die fernsten Galaxien verschwinden und dann, nach und nach, auch immer näher gelegene. Und nach langer Zeit würden die Astronomen feststellen, dass es nur eine einzige Galaxie bzw. einen Galaxiehaufen im Weltraum zu beobachten gäbe, nämlich unsere/n eigene/n. Die Astronomie würde dann wohl deutlich langweiliger sein, aber bis dahin hätten wir zum Glück noch sehr, sehr lange Zeit.
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