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Ich heiße Jürgen Hoffmann und arbeite als Lehrer in Halle an der Saale. In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit der Entstehung des Lebens und beteilige mich aktiv in der hier ansässigen Gesellschaft für astronomische Bildung.
Entsteht Leben einfach?
Was einfach entstehen kann, entsteht auch schnell, aber gilt das auch umgekehrt? Die ältesten unsicheren Lebensspuren deuten auf eine Entstehungszeit des Lebens vor über 4,1 Milliarden Jahren hin. Ein in Richtung C-12 verschobenes Isotopenverhältnis des Kohlenstoffs in den ältesten erhaltenen Gesteinen der Erde deutet auf das Vorhandensein von Lebewesen auf der Erde vor über 3,8 Milliarden Jahren hin. Der Zeitpunkt, wo die Biosphäre die Geosphäre traf, liegt also in der Frühzeit der Erdgeschichte – spätestens 500 Millionen Jahre nach dem ersten Erscheinen von kondensiertem Wasser auf der Erdoberfläche.
Leben entstand also recht früh auf der Erde – möglicherweise bereits einige Hundert Millionen Jahre vor dem LHB – kurz nachdem sich eine feste Gesteinskruste herausgebildet hat und kühl genug wurde, so dass Wasser die Oberfläche bedecken konnte. Als äußerste Grenze muss die Kollision der Urerde mit dem hypothetischen Protoplaneten Theia angesehen werden, bei der der heutige Erdmond entstand. Diese Kollision ereignete sich vor ca. 4,527 Milliarden Jahren.
Nachschub an reduzierenden Gasen? Bildquelle: Wikipedia (gemeinfrei)
Nimmt man als Begrenzung die ältesten Zirkone (4,4 Milliarden Jahre) und die ältesten Kohlenstoff-Isotop-Verschiebungen (4,1 Milliarden Jahre), ergibt sich ein Zeitfenster von ca. 300 Millionen Jahren, in dem Leben entstand und sich so weit ausbreitete, dass es das nachfolgende LHB infolge vorhandener Biodiversität in den thermophilen Nischen hydrothermaler Quellen überstehen konnte. Die nachfolgenden Lebensspuren in den grönländischen Isua-Gneisen stellen dann Relikte der überlebenden Populationen dar, die sich nach dem LHB über adaptive Radiation erneut auf der Erde ausbreiteten und nach und nach alle verfügbaren Nischen als Lebensraum erschlossen.
Der letzte gemeinsame Vorfahre aller heute lebenden Organismen geht möglicherweise auf diese Rest-Population zurück, die sich nach dem LHB auf der Erde etablierte.
Die Frage ist nun, ob ein so zeitiger Lebensbeginn zugleich bedeutet, dass die Entstehung des Lebens generell eine relativ einfache und unkomplizierte Angelegenheit gewesen ist, die sich notwendigerweise ereignete, sobald die dazu nötigen Grundstoffe und energetischen Rahmenbedingungen vorhanden waren. Oder handelt es sich um einen Auswahleffekt dergestalt, dass Leben generell nur innerhalb eines recht eng begrenzten Zeitfensters entstehen kann, welches sich nur am Beginn einer planetaren Entwicklung öffnet. Im letzten Fall wäre die zeitige Entstehung des Lebens eine notwendige Bedingung, die aus unserem Dasein allein deshalb folgt, da zu einem beliebig späteren Zeitpunkt kein Leben mehr hätte entstehen können.
Nachprüfen kann man hier wenig, da die konkreten Umstände und Bedingungen, unter denen einst das Leben auf der Erde entstand, nicht in Gänze rekonstruiert werden können. Was man aber tun kann, ist, das Zustandekommen der für das Leben notwendigen Grundstoffe zu rekonstruieren, denn hier haben wir es zunächst mit reiner Chemie zu tun und noch nicht mit deren Organisation zu Stoffwechselsystemen.
Das klassische Experiment hierzu wurde Anfang der 1950er Jahre durchgeführt. Die theoretische Vorarbeit wurde von Harold Urey geleistet. Sein Doktorand Stanley Miller veröffentlichte im Mai 1953 die Ergebnisse seiner Experimente. Die Komposition der Gase, die sich aus den Hydriden der Nichtmetalle Kohlenstoff (Methan), Sauerstoff (Wasserdampf) und Stickstoff (Ammoniak) sowie Wasserstoff selber zusammensetzte, entspricht einer Atmosphäre mit stark reduzierenden Eigenschaften. Das vorausgesetzte Modell einer stark reduzierenden Ur-Atmosphäre wurde im Nachhinein kritisiert, weil die atmosphärischen Bedingungen vor etwa 4 Milliarden Jahren offenbar nur schwach reduzierend bis hin zu neutral gewesen sind.
Allerdings hat die “Erste Atmosphäre” einen Vorläufer gehabt, der sich aus stark reduzierenden Gasen zusammensetzte. Diese “Primordialatmosphäre” war jedoch nicht lange stabil, da sich zum einen der Wasserstoff in den Weltraum verflüchtigte und sich zum anderen die beiden Gase Methan und Ammoniak infolge der ungefiltert eintreffenden UV-Strahlung der Sonne mit Wasserdampf zu Kohlenstoffdioxid und molekularem Stickstoff umsetzten. Erst danach war die Atmosphäre durch Kohlenstoffdioxid und Stickstoff dominiert, so dass sie nicht mehr reduzierend war.
Das gesamte Umfeld im Zeitalter des Hadean und Archaean war seit dem Theia-Impakt vielfältigen Umbrüchen unterworfen, die sich auf die chemischen Eigenschaften der Atmosphäre und der Hydrosphäre auswirkten. Somit ergeben sich sowohl lokal wie auch global Variationen, die zugleich auf Art und Umfang der chemischen Synthesen rückkoppelten. Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass die Syntheseprozesse, die zu Monomeren und Polymeren geführt haben – einschließlich der Vielfalt derselben – nur solange effektiv ablaufen konnten, wie der Zustrom von Energie und Material durch Impaktereignisse in relativ rascher Folge anhielt.
Mit dem Eintreten ruhigerer Verhältnisse nach dem LHB ergaben sich größere Kontinuitäten und damit zugleich ein sich verstärkender Trend zu chemischen Gleichgewichtszuständen, die eine Entstehung von chemischen Nichtgleichgewichtszuständen zunehmend unwahrscheinlicher werden ließen. Mit anderen Worten: Nach dem LHB versiegte der Zustrom von reduzierenden Gasen, so dass sich über vulkanische Ausgasungen die Dominanz von Wasserdampf und Kohlenstoffdioxid sowie Stickstoff in der Atmosphäre einstellte, welche eine spontane Synthese von Monomeren nicht mehr zuließ, da der reduzierende Charakter der Atmosphäre verloren ging.
Potentielle Entstehungsorte für Leben waren fortan nur noch auf hydrothermale Quellen auf dem Festland, in Küstennähe oder auf dem Meeresgrund beschränkt, die jedoch nur einige Zehntausend bis einige Hunderttausend Jahre durchgehend aktiv sind, bevor sie erlöschen und abgetragen werden. Es ist daher plausibler, dass der Zeitraum vor dem LHB, der sich über mehrere Hundert Millionen Jahre erstreckte und immer wieder über Impaktereignisse einen Zustrom von reduzierenden Gasen erfuhr, zugleich der Zeitraum ist, in dem Leben hätte entstehen müssen. Die Alternative einer Lebensentstehung in einem konkreten Hydrothermalfeld innerhalb von etwa 100.000 Jahren nach dem LHB schneidet dagegen eher schlecht ab, zumal die Bedingungen für die Entstehung von Polymeren ungünstiger zu sein scheinen als zuvor vermutet.
Hinzu kommt für den Zeitraum vor dem LHB die im Vergleich zu hydrothermalen Quellen erheblich größere Fläche, die für die Ansammlung, Aufkonzentrierung und Organisation zu Stoffwechselsystemen zur Verfügung gestanden hatte. Küstenregionen von Vulkaninseln mit Flussmündungen und Gezeitenzonen bieten eine chemisch reichhaltige Umgebung, die zudem durch Rhythmik geprägt ist und Austauschmöglichkeiten sowie eine dadurch erhöhte Durchmischungs- und Kombinationsrate zuließ, welche die entstehenden Proto-Organismen mit einem reichhaltigen Chemikalienmix versorgte.
All das scheint plausibel und stimmig zu sein, aber es ist natürlich noch lange nicht naheliegend, dass es auch einst wirklich so abgelaufen ist. Da sich der “Ursprung ins Leben” auf das Zustandekommen der Erblichkeit und damit der Möglichkeit des Generationenwechsels mit mutterzellähnlichen Tochterzellen eingrenzen lässt, aber dieser qualitative Sprung sich aus der Beschaffenheit und Reaktionsweise der zugrundeliegenden Moleküle nicht als notwendige Folge ableiten lässt, bleibt stets eine Unsicherheit darüber bestehen, wann und wo sich die Lebensentstehung tatsächlich einst ereignet hatte.
Die Titelfrage lässt sich folglich nicht abschließend beantworten, aber es gibt Gründe, die dafür sprechen, dass es sich bei der zeitigen Lebensentstehung wohl doch lediglich um einen Auswahleffekt handelt und nicht um ein Argument, welches dafür spricht, dass Leben zwangsläufig entsteht, sobald bestimmte Rahmenbedingungen vorliegen.
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