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Die Odyssee eines interaktiven eBooks: Ist Chemie uncool?
von Riccardo Kabisch
Ich bin Autor des interaktiven eBooks „Die Welt der Atome“.
Chemie ist spannend und interessant, logisch und wunderschön. Wir finden sie überall – in unserem Alltag, in unserer Wohnung und in unserem Körper. Alles und ich meine wirklich ALLES ist aus Atomen aufgebaut: Der Boden, auf dem wir stehen, die Luft, die wir atmen und das Essen, das wir zu uns nehmen – all das besteht aus winzig kleinen Atomen. Ihr Verhalten und ihre Beziehungen zueinander sind also grundlegend für das Funktionieren des Universums. Trotzdem muss man sich oft die Frage anhören: „Wozu muss ich wissen, was Atome sind?“ oder „Wozu brauche ich Chemie?“.
Ich bin ein Mensch, der sich für Naturwissenschaften begeistern kann. Mich interessierte schon immer, warum Sachen passieren, wie Dinge aufgebaut sind wie sie entstanden. Besonders das Thema Biologie interessiert mich. Die Zusammenhänge in der Natur, in unserem Körper und unseren Zellen sind faszinierend. Wer hier immer weiter nachfragt, stößt schnell an die Grenze der Biologie und landet in der Chemie. Immerhin ist jeder Körper, jede Zelle und jedes Molekül aus Atomen aufgebaut.
Ich beschloss ein wirklich cooles, spannendes, optisch anspruchsvolles und interaktives Buch über die grundlegendste Sache im Universum zu schreiben: Atome. Ich wollte den Menschen bewusst machen, dass wirklich alles aus Atomen besteht und das der Aufbau dieser winzigen Teilchen unser Universum, unser Leben und unseren Alltag beeinflusst. Atome bestimmen, ob ein Stoff weich oder hart, flüssig oder fest, weiß oder bunt ist. Da ich aber schon ahnte, dass Chemie und Atomphysik auf viele Menschen abschreckend wirken, verpackte ich die Texte, die selbst komplette Laien verstehen sollten, in eine optisch ansprechende und sehr aufwändige Verpackung. Das Buch sollte nicht wie ein klassisches Sach- oder Lehrbuch daherkommen, sondern den Leser in eine völlig fremde Welt entführen und dabei eine Geschichte erzählen.
Nach Zweieinhalb Jahren Arbeit (ich schrieb ja nicht nur die Texte, sondern gestaltete jede der 280 Seiten, produzierte alle Videos und baute alle 3D-Modelle) war das Buch endlich fertig. Ich war sicher, dass ich etwas Einzigartiges geschaffen hatte. Das Buch hatte einen Spirit und ein besonderes Design. Der Hintergrund endet nicht am Ende der Seite sondern läuft auf der nächsten einfach weiter. So zieht er sich durch das ganze Buch und erzählt dabei eine zusammenhängende Geschichte. Ich wollte, dass Menschen, die sich vielleicht gerade nicht so sehr für ein bestimmtes Thema interessieren, trotzdem weiterblättern. Einfach um zu sehen, wie der Hintergrund weitergeht. Und ich kann heute sagen: Tatsächlich blättern Leser wirklich gern durch mein Buch.
Ich war nach dieser Arbeit gespannt auf die ersten Reaktionen von anderen Menschen. Ich zeigte das Buch meinen Freunden, Verwandten, schrieb über 100 Blogger und zudem alle Wissensseiten und Magazine an die ich finden konnte. Bis auf ein paar Ausnahmen lief es aber immer gleich ab: Entweder antwortete niemand (was normal ist, „Die Welt der Atome“ ist ja nicht mein erstes Buch), oder ich bekam eine Antwort wie diese: „Hallo, dein Buch sieht wirklich toll aus! Aber ich habe keine Lust mich nochmal mit Chemie zu beschäftigen und bin froh, dass ich es in der Schule überstanden habe.“ Es machte mich traurig, dass ich diesen Satz immer und immer wieder hören musste. Immerhin handelt mein Buch über Atome, das Zeug, aus dem alles im Universum besteht. Hätte ich über Dinosaurier, den menschlichen Körper oder Katzenbabies geschrieben, hätten sie mein Buch bestimmt eher gelesen.
Anscheinend ist Chemie und Atomphysik für viele Menschen also so furchterregend wie eine vierstündige Mathe-Klausur. Dabei handelt es sich um eine Naturwissenschaft wie jede andere auch, vor Biologie haben die Menschen ja auch keine Angst. Von Verwandten hörte ich, dass sie überhaupt keinen Bezug zu Atomen haben. Klar, sie hatten in der Schule davon gehört, aber Atomphysik ist für sie gedanklich weit entfernt und viel zu kompliziert. Dabei geht es ja um Gleichungen und Formeln (die ich in meinem Buch übrigens gar nicht erwähne) und um abstrakte Dinge, die sie nicht sehen können. Zellen, die man mit bloßem Auge auch nicht sehen kann, sind da plötzlich viel sympathischer. Aber woran liegt das? Wieso ist Chemie für viele Menschen so ein Tabuthema?
Natürlich habe ich mein Buch auch in Schulen vorgestellt. Dort habe ich erfahren, dass immer mehr Schüler der höheren Stufen das Fach Chemie abwählen. Lieber belegen sie Biologie oder Physik. Steckt die Wurzel des Übels also in schlechten Chemie-Lehrern? Wohl kaum. Vielleicht aber eher im Lehrplan. Oder in den Möglichkeiten der Schulen. Schüler sehen von Atomen nur Zeichnungen, bestenfalls Modelle aus Kunststoff. Natürlich können sich diese nicht bewegen und so nur ein abstraktes Bild der Wirklichkeit darstellen. In Biologie kann man Zellen unter dem Mikroskop sehen, das funktioniert bei Atomen nicht. In der Chemie quält man Schüler lieber mit dem stöchiometrischen Rechnen oder dem Auswendiglernen von Gleichungen. All das gibt es in der Biologie nicht.
Die Schüler von damals erinnern sich also an angefärbte Zellen in Biologie und öde Gleichungen in Chemie. Dabei könnte man den Unterricht mit heutigen Mitteln viel anschaulicher gestalten und den Schülern viel mehr bewusst machen, welche Auswirkungen die unterschiedlichen Bindungstypen und die Elektronegativität auf unseren Alltag haben. Auch anschauliche Versuche mit verschiedenen Chemikalien können Schülern Angst machen, immerhin fliegt in Hollywood ein Reagenzglas schnell mal in die Luft. Und ich gebe es zu: Auch ich habe Chemie in der 10. Klasse abgewählt. Warum? Weil ich die Rechenaufgaben satt hatte und mir der Zugang zu diesem Fach gefehlt hat. Erst im Studium, als ich die Orbitale kennen lernte und den Zusammenhang zwischen dem Bau der Atome, den Bindungstypen und dem Funktionieren unserer Welt verstand, brannte ich wieder für die Welt der Atome. Vielleicht sollten die Lehrer von heute ihre Schüler also stärker für Atome und Chemie begeistern und den Unterricht anschaulicher gestalten. So gibt es vielleicht auch mehr Chemie-Studenten. Auf jeden Fall bleibt so mehr vom Stoff hängen und das Verständnis für Atomphysik steigt in allen Bevölkerungsschichten.
Ich hoffe, dass ich mit diesem Beitrag zum Nachdenken anregen kann und den ein oder anderen Chemie-Muffel motiviere, sich erneut mit dem Thema zu Beschäftigen. Diesmal aber ohne Zwang und ohne die Schrödingergleichung. Wer die Atome versteht, versteht auch unser Universum und kann sich unglaublich viele Vorgänge des Alltags herleiten. Warum brennt Holz? Warum schmilzt Eis und warum fühlt sich Metall kühl an? Setze dich mit Chemie auseinander und finde es heraus!
Hier findet ihr mein Buch.
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