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Abseits ist, wenn der Schiri herumfuchtelt
von Ute Parsch
Ich habe Physik studiert und 1992 im Fachbereich Astrophysik mein Diplom erworben. Nach der Geburt meines Sohnes musste ich allerdings meine berufliche Tätigkeit unterbrechen. Mitunter schreibe und kommentiere ich im Web, meist zum Thema Homöopathie, aber auch zu anderen pseudowissenschaftlichen Themen. Im Moment bin ich an der Erstellung eines umfassenden Online-Nachschlagewerkes zum Thema Homöopathie, der Homöopedia beteiligt.
Dieses Jahr hatte ich einfach Lust auf einen nicht ganz so ernstgemeinten Artikel. Deswegen gehe ich einmal der Frage nach, ob man auf dem Mond eigentlich vernünftig Fußball spielen könnte. Das Alltagsleben auf dem Mond oder dem Mars, wie es manche Internetnutzer scheinbar in den nächsten Jahren erwarten, wäre nicht so einfach, wie man es sich im Enthusiasmus ausmalen mag. Ich hoffe, Ihr habt beim Lesen des Artikels genauso viel Spaß, wie ich beim Schreiben.
Abseits ist, wenn der Schiri herumfuchtelt
Auf gutefrage.net stellen fast wöchentlich User Fragen in der Art „Werden wir bald eine feste Raumstation auf dem Mond oder dem Mars haben?“, „Wird es bald für jeden möglich sein, zum Mond zu fliegen?“ oder auch „Wo kann man sich dafür bewerben, den Mond oder den Mars zu besiedeln?“. Es scheint also fast, als würden die jugendlichen Frager fest davon ausgehen, dass in allernächster Zukunft Ferienhäuser auf dem Mond stehen werden und man dann – zumindest wenn einem das nötige Kleingeld zur Verfügung steht – seinen Urlaub im All verbringen kann. Insofern eigentlich höchste Zeit, sich einmal Gedanken über die Freizeitgestaltung zu machen. Wie sieht es mit einer unserer beliebtesten Sportarten dort oben aus: Kann man auf dem Mond eigentlich vernünftig Fußball spielen?
Der Mond ist bekanntlich deutlich kleiner als die Erde. Aufgrund seiner geringeren Masse übt er auf seiner Oberfläche nur etwa ein Sechstel der irdischen Schwerkraftanziehung auf die Fußballer aus. Natürlich ist das auch der Grund, warum die Astronauten der Apollo-Missionen so wunderbare große Sprünge machen konnten. Mit derselben Muskelkraft können wir bei geringerer Schwerkraft einfach viel höher springen. Entsprechend kann man auf dem Mond auch einen Ball viel höher werfen oder schießen.
Nun kann man hier auch Auswirkungen auf die Weite der Schüsse erwarten: Ist die Höhe, die ein Ball auf seiner Flugparabel erreicht, größer, fliegt der Ball auch weiter. Wer jetzt aber denkt, dass man halt auf dem Mond lediglich das Spielfeld zu vergrößern bräuchte, um ein halbwegs ähnliches Spielgefühl zu bekommen wie auf der Erde, der irrt sich gewaltig.
Neben der geringeren Schwerkraft wird sich auch die fehlende Atmosphäre auf das Spielgefühl auswirken. Und den Unterschied zwischen schwerer und träger Masse sollten sich die Spieler auch bewusst machen.
Schauen wir die Effekte doch einmal genauer an und beginnen mit dem letzten: Wenn uns jemand auf der Erde einen schweren Völkerball zuwirft (sofern er es überhaupt schafft), dann rechnen wir aufgrund der Weise, wie sich der Werfer abplagt, schon mit einem schweren Geschoss, das uns dann auch entsprechend leicht umwirft. In völliger Schwerelosigkeit kann aber auch ein massereicher Völkerball einfach durch den Raum gleiten. Etwas Schwebendes assoziieren wir intuitiv mit „leicht“. Der Völkerball kann uns aber dennoch umwerfen: Die träge Masse ist immer noch dieselbe und der übertragene Impuls ist nicht einfach zu vernachlässigen, nur weil ein Gegenstand schwerelos ist.
Auf dem Mond sind Bälle und Spieler zwar nicht schwerelos, das Spielgefühl ändert sich aber doch durch diesen Effekt: Während ein Ball höher steigt und merklich langsamer wieder zu Boden sinkt, wird ein scharfer, flacher Schuss eine ähnliche Geschwindigkeit haben, wie gewohnt. Das gilt natürlich auch für kunstvoll waagrecht eingeflogene Blutgrätschen. Foulen geht also wunderbar, während es das veränderte Flugverhalten der Bälle für die Spieler schwer macht, abzuschätzen, wo ein Ball wieder herunter kommt.
Auch beim Schuss selber muss der Spieler umdenken. Denn anders als auf der Erde fliegen die Bälle auf dem Mond wirklich saubere „Wurfparabeln“ . Auf der Erde ist das wegen des Luftwiderstandes nicht so. Der kann zwar bei schweren Kanonenkugeln die Kurve des Geschosses praktisch nicht verändern, doch sind Kanonenkugeln im Fußball als Spielgerät aus gutem Grunde unüblich. Fußbälle sind mit knapp 450g bei knapp 70 cm Umfang sehr viel anfälliger für die Bremswirkung in der Luft. Deswegen kommen Weitschüsse deutlich früher wieder auf den Boden zurück, als man es mit einer ohne Luftwiderstand gerechneten Flugkurve erwarten würde.
Unter anderem hat das Einfluss auf den optimalen Abschusswinkel, den ein Spieler dem Ball mitgeben muss, damit dieser möglichst weit fliegt. Ohne Luftreibung liegt dieser Winkel bei 45°. Mit Luftreibung muss der Torwart den Ball zum Beispiel beim Abstoß tatsächlich etwas flacher schießen, etwa 36,5°, um die größtmögliche Reichweite zu erreichen. Am Mond wird er sich hier also einen anderen, etwas steileren Abschuss antrainieren müssen.
Ganz so weit, wie man wegen der geringeren Schwerkraft vielleicht erwarten könnte, werden die Spieler die Bälle dann aber doch nicht schießen könne, denn es ist ungleich schwerer als auf der Erde, die gleiche Wucht in den Schuss zu legen. Der Spieler hat beim Schuss ja nur ein Standbein – mit dem anderen Bein holt er aus und schießt. Allein um die Bewegung ausreichend schnell und ausholend ausführen zu können, braucht der Spieler einen sicheren Halt, einen guten „Grip“ im Boden. Nicht umsonst haben Fußballschuhe Stollen und trotzdem passiert es selbst erfahrenen Spielern, dass sie gerade dann wegrutschen, wenn ein Schuss besonders scharf werden sollte.
Auf dem Mond wäre dieses Risiko wegen der geringeren Schwerkraft um ein Vielfaches höher, denn durch sein geringeres Gewicht hat der Spieler bei gleicher (kleiner) Standfläche weniger Halt auf dem Boden. Beim Mondfußball werden die Spieler deshalb bei Weitschüssen, Eckbällen, Freistößen oder Elfmetern viel leichter ins Rutschen kommen und den Schuss verziehen. Das sorgt dafür, dass sich das Spiel eher auf kurze Pässe verlagern wird und das Spielfeld in der Praxis deswegen wahrscheinlich gar nicht so viel größer sein müsste als auf der Erde. Gerade die verringerte Schwerkraft, die es den Spielern ermöglicht, phänomenal hohe Pässe zu schlagen, nimmt ihnen gleich wieder diese Fähigkeit zum Teil.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum sich das Spiel auf dem Mond taktisch anders gestalten muss. Schuld hieran ist wieder die fehlende Luft: Ein im Flug rotierender Ball erzeugt auf der Erde einen Druckunterschied in der an ihm vorbeiströmenden Luft. Das ist es, was die Bananenflanke so schön krumm macht. Auf dem Mond fehlt dieser Effekt völlig. Auch ein perfekt angeschnittener Ball wird sich auf dem Mond beim Freistoß nicht um die Mauer der Gegenspieler herum ins Tor zirkeln lassen. Der sich drehende Ball kann einfach keine Druckunterschiede erzeugen, die ihn von seiner geraden Bahn ablenken würden. Die Spieler können sich abmühen, wie sie wollen: Ihre Schüsse fliegen geradeaus, auf dem Mond gibt es nur „Gurkenflanken“. Auch hier wird sich die Angriffstaktik also verändern müssen. Torwarte allerdings dürfen unter ihren Helmen aufatmen: die gefürchteten „Flatterbälle“ werden auf dem Mond natürlich auch nicht vorkommen. Das „Flattern“ kommt bei Bällen mit zu glatter Oberfläche zustande, bei denen der Luftwiderstand um eine kritische Schussgeschwindigkeit herum stark von der genauen Geschwindigkeit abhängt. Das stört natürlich die gleichmäßige Bewegung des Balles durch die Luft – und kann Torhüter und Verteidiger schon irritieren. Auf dem Mond ohne Atmosphäre passiert das zur Freude der verteidigenden Mannschaft nicht mehr.
Die fehlende Atmosphäre sorgt allerdings für weitere praktische Probleme für das Spiel und die Stimmung im Stadion.
So hat es der Schiedsrichter nicht leicht auf dem Mond, denn ohne Atmosphäre ist es für ihn kaum möglich, sich Gehör zu verschaffen. Weder kann er im Raumanzug sein Pfeifchen zum Mund führen, noch hätte dies mangels sich ausbreitender Schallwellen irgendeinen Effekt. Will man es vermeiden, dass der Schiri jedes Abseits nur durch wildes Herumfuchteln anzeigen kann, wird man ihm die Möglichkeit geben müssen, auf elektronischem Weg das Trillern der Pfeife in die Helme der Spieler und Zuschauer zu melden. Gelingt dies, bleibt ihm nur noch die Herausforderung, gelbe und rote Karten mit den dick gepolsterten Handschuhen des Raumanzugs aus der Brust- bzw. Hosentasche zu fummeln.
Das Problem des fehlenden Luftschalls teilt der Schiedsrichter mit dem Trainergespann am Spielfeldrand und mit dem gesamten Publikum. Wer einfach aus irdischer Gewohnheit seine Vuvuzela mitbrachte und dem nun erst im Stadion auffällt, dass er wegen des Raumanzuges gar nicht hineinpusten kann, dem bleibt nur der Blick in die „Röhre“. Wirklich besser ergeht es aber auch den Zuschauern nicht, die bis hierhin mitgedacht hatten und sich ein Presslufthorn
besorgt hatten. Das Geräusch entsteht zwar, es breitet sich aber wegen des rapide abfallenden Drucks nicht wirklich aus. Die Stille im Meer der Ruhe wird auch durch den enthusiastischsten Torjubel der Menge nicht wirklich gestört.
Insgesamt wäre Fußball im Freien auf dem Mond also doch ein taktisch ganz anders aufzubauendes Spiel und nicht zuletzt wegen der fehlenden Stimmung im Stadion doch irgendwie auch recht fade. Dass allein die sportliche Betätigung im Raumanzug eine Herausforderung darstellt, haben wir hierfür noch gar nicht betrachtet. Ein Weg, der viele der genannten Mängel beseitigt, wäre es, den Mondfußball zur Hallensportart zu erklären. Man könnte auf Raumanzüge verzichten und hätte neben der Stimmung und dem Trillerpfeifchen auch die gekrümmten Flugkurven der Bälle zurück. Die Bälle fliegen wegen der geringeren Schwerkraft immer noch anders als gewohnt und der schlechtere Halt auf dem Boden macht es den Spielern immer noch schwer. Aber vielleicht könnte das, hat man sich erst einmal eingespielt, ja auch den besonderen Reiz des Mondfußballs ausmachen?
Als Sportarten im Freien – „an der frischen Luft“ trifft es auf dem Mond nicht wirklich – eignen sich halt auf dem Mond doch eher einige Leichtathletikdisziplinen, vor allem solche wie Weitsprung, Hochsprung, Kugelstoßen oder Speerwurf. Daneben böte sich auch noch Schach an, wenn Mutti sagt „Jungs, geht doch draußen spielen!“ Immerhin bietet der Raumanzug auch Spielern, die ihre Mimik nur schlecht im Griff haben, einen Weg zum Pokerface und wir hier somit zum echten Vorteil.
Es mag absurd erscheinen, sich überhaupt vorzustellen, auf dem Mond Fußball spielen zu wollen. Schließlich machen die Raumanzüge allein sportliche Betätigung recht schwierig. Im Prinzip ist allerdings bereits der Gedanke an permanente Besiedelung von Mond, Mars oder gar Exoplaneten unvernünftig. Genau das ist aber die Vorstellung, die durch nicht wenige populärwissenschaftliche Medien geistert und die bei Manchen den Eindruck erweckt, die Suche nach Exoplaneten diene gar keinem anderen Zweck, zumindest langfristig.
So faszinierend die Vorstellung der Expansion der Menschheit auf andere Himmelskörper auch erscheinen mag, eine wirklich realistische Einschätzung der sich ergebenden Schwierigkeiten blenden diese Visionen in aller Regel aus. Bemannte Raumfahrt dient nicht wirklich der Eroberung neuer Lebensräume, noch ist sie ein Weg, neue Welten erst einmal zu entdecken. Das kriegen wir mit unbemannten Sonden oder technisch ausgefeilten Beobachtungsinstrumenten erheblich besser, billiger und ungefährlicher hin.
Nicht wenige Physiker haben sich später einmal für das Fach entschieden, weil sie die Abenteuer von Kirk, Spock & Co in ihrer Jugend begeistert haben. Irgendwann fängt man dann an, Bücher zu lesen über das Weltall und seine Erforschung. Die Astronomie wiederum ist ein tolles Einfallstor von Interesse an Naturwissenschaft ganz allgemein. Und allein deshalb hat der Traum von der Erschließung neuer Welten seine Daseinsberechtigung. Ein anderer Grund ist, dass Projekte wie die ISS nur in internationaler Gemeinschaftsarbeit realisierbar sind. Bemannte Raumfahrt steht deshalb auch für den Traum vom Zusammenwachsen der Menschheit.
Träumen muss erlaubt sein. Deshalb ist es nicht wichtig, wie absurd die Vorstellung ist, zu versuchen, auf dem Mond ein geregeltes Alltagsleben zu führen, samt Freizeitbeschäftigung und Sport. Es ist nicht wichtig, wie unrealistisch eine solche Vision ist – sondern wofür sie steht und was sie als Vision leisten kann.
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