Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
Mehr Informationen: [Podcast-Feed][iTunes][Bitlove][Facebook] [Twitter][Sternengeschichten-App]
Über Bewertungen und Kommentare freue ich mich auf allen Kanälen.
—————————————————————————————
Sternengeschichten Folge 253: Lithium
Lithium gehört zu einer sehr speziellen Gruppe von Elementen. Das Periodensystem der Elemente enthält derzeit fast 120 bekannte Elemente. 91 davon kommen natürlich vor; der Rest wurde künstlich von uns Menschen hergestellt. Aber nur drei davon gibt es schon seit das Universum entstanden ist. Und eines dieser drei ist Lithium.
Fangen wir wieder einmal beim Anfang an. Beim Urknall – oder besser kurz danach. Die gesamte Materie entstand damals (und wie das genau abgelaufen ist ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten). Atome oder chemische Elemente wie wir sie heute kennen gab es damals aber noch nicht. Dafür war es noch viel zu heiß und alles bewegte sich viel zu schnell. Es gab nur Elementarteilchen – zum Beispiel Quarks und Elektronen – die durch die Gegend sausten und sich nicht miteinander verbinden konnten. Erst eine Hundertstelsekunde nach der Entstehung des Universums war es so weit abgekühlt dass die Quarks sich zu Protonen und Neutronen verbinden konnten, also die Bausteine aus denen die Kerne der Atome bestehen. Am Anfang gab es noch gleich viele Protonen wie Neutronen – aber einzelne Neutronen sind instabil. Sie haben nur eine Halbwertszeit von 10 Minuten und wenn sie sich nicht mit Protonen verbinden, dann zerfallen sie. In dieser frühen Phase des Universums war es aber immer noch zu heiß als das Protonen und Neutronen sich zusammentun konnten. Erst eine Minute nach dem Urknall war es kühl genug – wobei “kühl” in diesem Fall etwa 60 Millionen Grad bedeutet – damit Deuterium entstehen konnte. Das ist ein Isotop des Wasserstoffs, also des simpelsten der Elemente.
Ich wiederhole vielleicht noch einmal kurz was ich in anderen Folgen der Sternengeschichten schon oft genauer erzählt habe: Die chemischen Elemente unterscheiden sich vor allem durch die Zahl der Protonen in ihrem Atomkern. Wasserstoff hat ein Proton, Helium hat zwei Protonen, und so weiter. Jedes Element hat eine eindeutige Anzahl von Protonen. Die Zahl der Neutronen in einem Atomkern kann variieren, solche Elementvariationen nennt man dann “Isotop”. Ein einzelnes Proton ist gleichzeitig der Kern eines normalen Wasserstoffatoms. Ein Proton und ein Neutron zusammen ist immer noch Wasserstoff, in diesem Fall aber eben der Kern von Deuterium oder “schwerer Wasserstoff”. Wenn sich ein Proton mit zwei Neutronen verbindet, dann erhält man den Atomkern eines weiteren Wasserstoff-Isotops, nämlich Tritium. Beliebig viele Neutronen kann man einem Atomkern allerdings nicht hinzufügen, denn irgendwann ist die Sache dann nicht mehr ausgewogen und der Kern zerfällt. Das ist das, was wir dann als Radioaktivität kennen: Ein chemisches Element wandelt sich in ein anderes chemisches Element um.
Nach der Bildung von Protonen und Neutronen bestand die gesamte Materie im Universum also quasi aus den Kernen von Wasserstoffatomen – denn nichts anderes ist ja ein einzelnes Proton – und jeder Menge freier Neutronen die sich einen Partner suchen müssen oder aber ziemlich bald zerfallen. Dann entstanden, wie schon gesagt, die ersten Atomkerne von Deuterium. Ab und zu fanden aber auch zwei Protonen und zwei Neutronen zusammen und die bildeten dann Helium, ein anderes chemisches Element über das ich in Folge 141 mehr erzählt habe. Und jetzt wurde es dann schon langsam knapp. Die noch freien Neutronen im jungen Universum wurden immer weniger; sie waren entweder schon mit irgendwelchen Protonen verbunden oder aber zerfallen. Die Phase in der ausreichend freie Neutronen vorhanden waren um relevante Menge an chemischen Elementen zu bilden dauerte gerade mal drei bis fünf Minuten. Das reichte neben Wasserstoff, Deuterium und Helium gerade mal für eine winzige Mengen des Elements von dem die heutige Folge handelt: Lithium! Für Lithium mit seinen drei Protonen und, je nach Isotop, drei bis vier Neutronen im Kern war gerade noch Zeit, aber dann war erstmal Schluss mit der Entstehung der Elemente. (Wenn man ganz genau sein will sind damals auch ebenso winzige Mengen von Tritium und Beryllium-7 entstanden die aber beides instabile Isotope und gleich wieder zu Helium und Lithium zerfallen sind)
Drei Viertel Wasserstoff, ein Viertel Helium und ein Hauch von Lithium: Das war die Grundaustattung des Universums. Aber verlassen wir kurz für einen Moment die Kosmologie und schauen zurück in unseren Alltag. Was bringt uns da das Lithium? Wasserstoff ist überall; in jedem Wassermolekül zum Beispiel. Über die Nützlichkeit des Heliums habe ich Folge 141 mehr erzählt. Mit Lithium konnte man aber vorerst wenig anfangen. Erstmal hat es bis zum 19. Jahrhundert gedauert bevor man es überhaupt entdeckt hat. In der Erdkruste macht Lithium nur 0,006 Prozent aus und in reiner Form findet es man gar nicht. 1817 entdeckte der Schwede Johan August Arfwedson im seltenen Mineral Petalit ein bis dahin unbekanntes Element; ein Jahr später fand der deutsche Chemiker Christian Gottlieb Gmelin ebenfalls das bestimmte Mineralsalze ein Element enthielten das bisher keiner kannte. Reines Lithium konnten dann die Engländer William Thomas Brande und Humphry Davy im gleichen Jahr isolieren. Es stellte sich als ein sehr weiches, sehr leichtes und silbrig-weißes Metall heraus. Bei Raumtemperatur ist es leichter als alle anderen festen Elemente. Man sollte es aber nicht unbedingt einfach so rumliegen lassen. Denn das Lithium reagiert so gerne mit anderen Elementen und tut das so heftig, dass es sich schon bei normalen Temperaturen an der Luft entzündet. Und weil es eben so reaktiv ist, findet man es auch nirgendwo in der Natur in reiner Form.
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wusste man mit dem Lithium nicht viel anzufangen. Man verwendete es als Schmiermittel und als Zusatzstoff bei der Herstellung von Glas. Erst als die USA während des 2. Weltkriegs merkten das man Lithium zur Gewinnung von Tritium benutzen kann änderte sich die Sache. Denn Tritium brauchte man für den Bau von Wasserstoffbomben und jede Menge Lithiumhaltiges Gestein wurde gefördert und verarbeitet. Ungefähr zur gleichen Zeit stellte der australische Psychiater John Cade fest das man Lithiumcarbonat anscheinend zur Behandlung von manisch-depressiven Patienten verwenden kann. Heute wird es auch bei bipolaren Störungen eingesetzt; es ist aber eine ziemlich knifflige Sache. Der Körper verträgt nur eine ganz bestimmte Menge; überschreitet man sie auch nur ein wenig, dann gibt es schwere Nebenwirkung. Warum genau das Lithium – das in der menschlichen Biologe ansonsten eigentlich keine Rolle spielt – bei psychologischen Erkrankungen wirken kann ist übrigens immer noch nicht genau verstanden.
Mittlerweile ist Lithium aber überall. Wir verwenden es heute hauptsächlich bei wiederaufladbaren Battieren, den Lithium-Ionen-Akkumulatoren. In Smarthphones, Laptops, elektrischen Fahrzeugen, und so weiter – überall spielt das Lithium eine wichtige Rolle; vor allem deswegen weil es so leicht ist. Lithium ist also wichtig – umso unangenehmer ist es, dass wir dieses Element immer noch nicht völlig verstehen. Und damit sind wir wieder zurück in der Astronomie.
Nach dem Urknall gab es – wie gesagt – nur Wasserstoff, Helium und Lithium. Alle anderen Elemente entstanden erst später durch die Kernfusion im Inneren der Sterne. Wenn die Astronomen heute ins Universum hinaus schauen, dann sehen sie dort direkt dass das auch richtig ist. Einer der eindrücklichsten Belege für die Richtigkeit der Urknalltheorie ist die sehr genaue Übereinstimmung der beobachteten Häufigkeit der chemischen Elemente im Universum mit der durch die Theorie vorhergesagten Menge. Nur beim Lithium ist die Sache ein wenig unklar. Das ganze nennt sich das “primordiale Lithiumproblem”: Wenn wir die ganz alten Sterne im Kosmos beobachten, also Sterne die mehr oder weniger aus dem Zeug bestehen das nach dem Urknall vorhanden war, dann sehen wir dort weniger Lithium als eigentlich vorhanden sein sollten. 2-3 mal weniger sogar und es ist immer noch nicht klar warum das so ist. Es könnte ein Beobachtungseffekt sein, denn wir können mit unseren Methoden nur die chemischen Elemente nachweisen die sich in den äußeren Schichten der Sterne befinden. Wir haben natürlich entsprechende Modelle mit denen man beschreiben kann wie sich die Elemente in einem Stern im Laufe der Zeit vermischen; wie viel von außen nach innen sinkt und wie viel von innen wieder nach außen aufsteigt. Und es gibt Hinweise, dass diese Modelle im Fall dieser alten Sterne nicht ganz korrekt sind und wir daher weniger Lithium messen als tatsächlich vorhanden ist.
Es könnte aber auch tatsächlich weniger Lithium vorhanden sein. Denn bei den Kernreaktionen im Inneren eines Sterns entstehen nicht nur neue Elemente, es können auch Elemente vernichtet werden. Und das gilt ganz besonders für das Lithium. Das kann zusammen mit einem Wasserstoffatom verschmelzen und zwei Heliumatome bilden. Dieser sogenannte “Proton-Proton-II”-Prozess findet schon bei besonders niedrigen Temperaturen statt und könnte der Grund sein, warum weniger Lithium da ist als wir gedacht hatten. So kann man unter anderem auch braune Zwerge von Sternen unterscheiden. Über die braunen Zwerge, diese Mitteldinger zwischen Planeten und Sterne habe ich schon in Folge 91 mehr erzählt. Sie enthalten ausreichend Masse und sind in ihrem Inneren ausreichend heiß das zwar kein Wasserstoff fusionieren kann, aber dafür ein wenig Deuterium. Sie sind außerdem meistens kühl genug so dass die Prozesse bei denen Lithium vernichtet wird, nicht stattfinden können. Braune Zwerge enthalten also tendentiell mehr Lithium als kleine Sterne und können so identifiziert werden.
Vermutlich müssen wir die ganzen kernphysikalischen Fusionsprozesse und die Vorgänge im Inneren der Sterne noch ein wenig besser verstehen um das Problem des fehlenden Lithiums verstehen zu können. Momentan sieht alles so aus als wäre das der Grund warum wir weniger sehen als vorhanden sein müsste. Es könnte aber natürlich auch sein, dass mit den ursprünglichen Annahmen etwas nicht stimmt und wir das Urknallmodell und die daraus abgeleitete Theorie der Entstehung der ersten Elemente ein wenig verändern müssen um alles zu erklären. Dann hätte uns das Lithium dabei geholfen einen völlig neuen Blick auf die Entstehung des Universums zu werfen. Und das wäre eine beeindruckende Leistung für ein auf den ersten Blick so unscheinbares Element.
Kommentare (20)