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Anders denken
von Mirko.
Sorry, ich bin nur ein Laie, der sich in der Freizeit gern mit Astronomie und dem “was die Welt, in ihrem Innersten zusammenhält”, beschäftigt.
Mit meinem Artikel möchte ich Euch anhand eines Beispiels aus diesem Themenkomplex dazu aufrufen, keine Furcht davor zu haben, quer zu denken bzw. Querdenkern eine Chance zu geben. Fachlicher Hintergrund ist ein bißchen (aber nicht wirklich) die Dunkle Materie, aber vermutlich ist das nicht der einzige Artikel dieses Jahr dazu.
Astrophysiker haben sich irgendwie keinen Gefallen getan mit den Begriffen Dunkle Materie und Dunkle Energie. (Und neulich beschrieb ein geschätzter Astronom – Wer wohl? – in seinem Podcast sogar auch noch einen “Dunklen Fluß” :-o) Während der Begriff für Materie aber sehr genau beschreibt, was damit gemeint ist, gilt für die beiden anderen Begriffe eher die wenig schmeichelhafte Interpretation, dass die Wissenschaftler bezüglich der Ursachen der beobachteten Phänomene im Dunklen tappen.
Ich möchte aber heute nur über die Dunkle Materie sprechen, oder besser über Alternativen zu der Theorie bezüglich Menge und (Aus-)Wirkung. Das steht zwar im krassen Widerspruch zu dem, was zum Beispiel besagter Astronom (wie die Mehrheit der sich damit befassenden Astronomen/Physiker) propagiert, hat aber meines Erachtens seine Berechtigung. Grundsätzlich hege ich keine Zweifel an der Existenz von “dunkler Materie”. Die vorhergesagte Menge, um zum Beispiel die Rotationskurven von Galaxien damit zu begründen, ist aber nach meinem Verständis bisher nicht bewiesen. Ich möchte ausdrücklich auch nicht infrage stellen, dass sie die wahrscheinlichste Ursache ist. Als Laie ist das für mich einfach eine Frage der Wahrscheinlichkeit – die meisten Experten gehen davon aus.
Warum also trotzdem dieser Artikel von einem Laien? Zum einen, weil es auch namhafte Experten gibt, die an alternativen Theorien arbeiten. Und zum anderen, weil ich dafür plädieren möchte, Querdenkern immer eine Chance zu geben. Ich weiß, dass Wissenschaftler immer wieder mit Theorien von Möchte-Gern-Experten zu kämpfen haben. Diese möchte ich ausdrücklich nicht unterstützen. Mir geht es um wissenschaftliche Arbeiten, die nur einfach nicht mainstream in der Fachwelt sind. (Das positive Beispiel dafür ist natürlich immer Einstein. Aber es sollte schon klar sein, dass es immer unwahrscheinlicher wird, dass umfassende Theorien von Einzelpersonen entwickelt werden können.)
Konkret beziehe ich mich auf den Artikel “Doubting Darkness” aus dem englischsprachigen Journal “Cern Courier” in der Ausgabe Mai 2017. In dem Artikel geht es um den holländischen Physiker Erik Verlinde. Er lehrt an der Amsterdamer Universität, hält aber zum Beispiel auch Vorträge am CERN. Ich denke, er hat genug Reputation, um ihn nicht als Spinner abzutun. Außerdem basieren seine Theorien auch auf den Arbeiten anderer, ebenfalls namhafter Physiker.
Wie der Titel erahnen lässt, zweifelt Verlinde an der Theorie zur dunklen Materie. Darf ich auf die noch einmal kurz eingehen? Entwickelt wurde sie hauptsächlich wegen des Widerspruchs zwischen beobachteten und berechneten Rotationskurven von Spiralgalaxien. Die äußeren Bereiche dieser bewegen sich deutlicher schneller als aufgrund der scheinbar vorhandenen Sterne (inklusive Planetensystemen) und Gaswolken berechnet wird. Zu erwarten wäre analog zum Beispiel den Planeten unseres Sonnensystems, dass sich Materie langsamer um das Zentrum bewegt, desto weiter sie von diesem entfernt ist. Die Berechnungen basieren auf den Keplerschen Gesetzen und dem Gravitationsgesetz von Newton.
Die Abweichungen könnten – vereinfacht ausgedrückt – 2 Ursachen haben: Entweder sind diese Gesetze da nicht gültig oder es ist mehr als die sichtbare Materie da. Letzteres anzunehmen, scheint leichter und ‘unsichtbare’ Materie ist halt dunkel.
Unsichtbar ist etwas, dass Lichtstrahlen weder selbst aussendet, noch in irgendeiner Weise reflektiert, bricht, absorbiert oder verdunkelt. Und zwar nicht nur das für das menschliche Auge sichtbare Licht, sondern elektromagnetische Strahlen jeglicher Frequenz.
Neben dieser “dunklen” Auswirkung gibt es inzwischen weitere Indizien für die Existenz dunkler Materie in dominierenden Mengen (fünfmal mehr als sichtbare Materie).
Noch gibt es aber keinen eindeutigen Nachweis für Dunkle Materie, obwohl man sich unter anderem am CERN große Mühe gibt. Und da kommt Verlinde wieder ins Spiel. Seine Theorie setzt an der anderen der beiden obengenannten möglichen Ursachen an – dass die Theorie zur Gravitation für die beobachteten Galaxien nicht gilt. Oder genauer, nur für nahe Distanzen.
Sind diese Zweifel an Newton und auch an der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) erlaubt? Ja! Wir wissen, dass die ART im subatomaren Bereich problematisch ist. Auch bei schwarzen Löchern stößt sie an Grenzen (obwohl selbige witzigerweise erst durch die ART selbst vorausgesagt wurden). Der genannte Artikel aus dem “Cern Courier” gibt neben diesen Argumenten weitere Hinweise, die gegen eine massive Wirkung durch unsichtbare Materie sprechen. Zum Beispiel deuten entsprechende Messungen auf eine direkte Relation der Menge sichtbarer Materie und der Rotationsgeschwindigkeit der Galaxien hin, was schwer (aber nicht unmöglich!) zu erklären ist, wenn diese nur ein Sechstel der wirksamen Masse ausmacht.
Verlinde stellte dem die Theorie einer “emergenten” Gravitation gegenüber. Es gibt dafür keine leichtverständliche deutsche Übersetzung. Gemeint ist aber, dass die Gravitation nicht fundamental, sondern abhängig von der Entropie im Universum ist. ist Damit kratzt er sehr an Einstein. Dass die Gravitation nicht fundamental sei, wird doch als Sakrileg empfunden. Wie wir wissen, ist Einstein gut belegt – nicht zuletzt durch den vor kurzem gelungenen Nachweis von Gravitationswellen. Verlinde widerspricht der ART auch nicht grundsätzlich, sondern behandelt sie als Spezialfall für nahe Distanzen, wo die Anziehung (schon nach Newton) proportional 1/r² ist. Für weite Entfernungen bzw. nur noch schwache Beschleunigung soll sie aber nach Verlinde nur noch proportional 1/r sein.
Diese Theorie passt sehr gut zur Beobachtungen des Gravitationslinseneffekts, die von einer niederländischen (Zufall? 😉 Forschergruppe bei über 30‘000 Galaxien gemacht wurden.
Es gibt aber natürlich auch Kritikpunkte (und zwar nicht nur in dem zitierten Artikel). Verlindes Theorie hat mathematische Schwächen (nicht, dass ich die erkennen würde), er selbst gilt anderen Kollegen als etwas vorschnell. Gewisse Überlegungen bezüglich Quantenkohärenz sprechen ebenfalls gegen Verlinde. Nach seiner Theorie müsste diese gerochen werden, was bisher nie beobachtet wurde. Im Juni 2017 stellte ein Physiker der Princeton University fest, dass die Theorie auch nicht zu dem beobachteten Rotationsverhalten speziell von Zwerggalaxien passt. Diese Information ist so neu, dass ich sie nur einfach wiedergeben kann. Ist sie korrekt? Ist Verlindes Arbeit damit am Ende? Das kann ich nicht beurteilen.
Aber ich hatte die Theorie auch nur als Beispiel herangezogen. Forschung muss offen sein für alternative Theorien, sonst schränkt sie sich selbst ein. Einstein hatte bei der ART das Glück, dass im Rahmen einer Sonnenfinsternis ziemlich schnell ein positiver und eindrucksvoller Beleg seiner Theorie gefunden werden konnte. Wer weiß, wie lange die ART sonst ignoriert worden wäre? Noch einmal: Dunkle Materie ist eine sehr gute und wohl die wahrscheinlichste Erklärung für eine Reihe beobachteter Phänomene, aber momentan nicht die Einzige. Es muss also erlaubt sein, über mehrere Alternativen nachzudenken. Wobei diese ausreichend wissenschaftlich unterlegt sein und sich Kritikern und Experimenten bzw. Beobachtungen stellen müssen. Es ist sehr menschlich, (besonder den eigenen) Hypothesen bzw. Theorien zu “glauben”. Aber genau da muss sich jeder Wissenschaftler und jeder Fan selbst disziplinieren und versuchen, subjektive Einschätzungen objektiven Gegebenheiten unterzuordnen. Unter dieser Maßgabe ist es meines Erachtens erlaubt und notwendig, auch gegen den Mainstream zu denken.
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