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One Golden Shot

Einleitung

Scaramanga: Nick Nack! Tabasco!

So fängt ein James Bond Film mit Roger Moore an, der dieses Jahr gestorben ist.
Sein James Bond ist sicherlich der des Gentleman, während Dainel Craig eher der Mann fürs Grobe ist.
Moores zweiter Film als Bond, Der Mann mit dem Golden Colt, ist sicher kein cineastisches Meisterwerk,
und auch bei Bondfans nicht sonderlich beliebt:

Zwischen 2011 und 2012 wurde von den Besuchern der James-Bond-Fanseite MI6-HQ.com über die besten Bond-Filme abgestimmt,
wobei Der Mann mit dem goldenen Colt Platz 18 von 22 Filmen erreichte. Wikipedia

Im Film soll James Bond Scaramanga umbringen, der einen goldenen Colt als Waffe benutzt, die nur eine Kugel geladen hat.
Ein Grund für die negative Rezeption des Films waren auch die Kung-Fu Elemente.
Der erste Bond mit Roger Moore, Leben und Sterben lassen, war fast ein Blacksplotation Film.
Der Mann mit dem Gold Colt klaute ausgebieg aus dem Martial Arts Genre, und enthielt unter anderem eine lächerliche
Szene in dem zwei Kämpferinnen ein ganzes Dojo mit dutzenden Kämpfern zusammenschlagen. Die Produzenten der James Bond Filme waren immer darauf bedacht den aktuellen Zeitgeist der Popkultur einzufangen. Dies erklärt unter anderem auch die Weltraumszenen in Moonraker, da Star Wars in der Zeit erschien, oder die Parcour Szenen in Casino Royale.

Ein relativ neues Freizeitvergnügen zu Beginn der Siebziger waren Autoshows mit Stunts und Demolition Derbys.
Ein besonders spektakulärer Stunt, der Astro Spiral Jump, wurde 1972 vom Rennfahrer Jay Milligan erfunden:

The US racing driver Jay Milligan conceived the stunt and even performed it in 1972 at the Houston Astrodome in an AMC Javelin, christening the stunt
‘The Astro Spiral Jump”. Milligan contacted the Bond producers with the stunt who promptly protected it preventing it appearing in any other preceding films.
Quelle

Das Auto fährt auf eine schiefe Rampe, hebt ab, dreht sich um die eigene Achse und landet auf einer schiefen Rampe am besten wieder auf den Reifen.
Das Fahrzeug dreht sich in der Luft um die eigene Achse.

Eine Skizze des Stunts (eigenes Bild)

Eine Skizze des Stunts (eigenes Bild)

Die Bondmacher patentierten den Stunt, um ihn später zu verwenden.
Er sollte am Drehort in Thailand durchgeführt werden. Doch wie sollte man den Sprung testen, ohne das Leben des Fahrers zu gefährden?
Man wandte sich an Experten die ihn simulieren sollten. Die Simulation dieses Stunts war ausschlagebend für die Verwendung im Film.

Stand der Simulation

Heutzutage wird fast alles im Ingenieurwesen am Computer entwickelt. Dies war 1970 sicher nicht so, da die notwendige Rechenleistung nicht vorhanden war.
Trotzdem wurde schon in den Vierzigern schon an Computern simuliert. Ein Beispiel sind Monte Carlo Simulationen, um thermonukleare Vorgänge zu modellieren.
Dies geschah im Zusammenhang mit der Entwicklung der Atombombe.
Monte Carlo Simulationen sind aber eher für stochastische Prozesse geeignet. Die Fahrt eines Autos gehört sicher nicht in diese Kategorie.
Etwas was damals mit der vorhandenen Rechenleistung unmöglich war, ist das Auto als ganzes zu simulieren.
Jeder Ingenieur, oder im Allgemeinen ein Naturwissenschaftler, der ein Modell aufstellt, macht sich darüber Gedanken, was wirklich wichtig ist.
Ein Beispiel ist die beliebte Aufgabe aus dem Mathematikunterricht, wann ein Zug der soundsoviel Kilometer pro Stunde fährt,
wann am Bahnhof ankommt. Natürlich kann man berücksichtigen, wie schwer der Zug ist, wann er hält, wo es Verspätungen gibt,
aber dies ergibt nicht immer Sinn. Wieso sollte man den Zug nicht als einen Punkt im Raum ansehen und die Durchschnittsgeschwindigkeit nehmen,
wenn das Ergebnis stimmt?
Das Modell für den Stunt ist sicher komplexer. Es sind auch keine Verspätungen von fünf Minuten erlaubt.
Die Komplexität eines Modells Computermodelle ist oft auch durch die Rechenleistung limitiert. Ein Modell ist immer ein Austausch zwischen Kosten und Nutzen.

Was für ein Auto musste simuliert werden? Es war ein AMC Hornet X Hatchback aus dem Jahr 1974. Sein Motor war vorne eingebaut
und es hatte einen Hinterradantrieb. Die Vorderräder waren einzeln und mit eigenen Dämpfern an der Radaufhängung aufgebracht.
Die hinteren Räder waren an einer gefederten Starrachse angebracht.
Wie bei seinem Vorgänger, dem Cavalier, war man auf eine symmetrische Anordnung und kompakte Bauweise bedacht.
Dies alles sollte beim Ersatzmodell Beachtung finden. Wikipedia Artikel zum Hornet.

Bild des verwendeten AMC Hornets (Urheber Morio, Creative Commons BY 3.0

Bild des verwendeten AMC Hornets (Urheber Morio, Creative Commons BY 3.0

Das HVOSM (Highway Vehicle Object Simulation Model) oder auch Auto

Die Anzahl der Verkehrstoten in Amerika stieg seit den Sechzigern kontinuierlich und erreichte im Jahr 1972 einen traurigen Rekord,
mit insgesamt 54589 Fällen Wiki .
Um die Entwicklung der Sicherheit voranzutreiben, griffen die Automobilhersteller auf Computermodelle zurück. Eines von diesen war das HVOSM.
Entwickelt wurde es von Calspan um den Ingenieur McHenry.
Unter anderem wurde in Experimenten eine seitliche Kollision eines Fahrzeugs mit einer Mauer simuliert.
Zur Bestätigung dieser Ergebnisse griff man auch auf Stuntfahrer zurück, um Testfahrten durchzuführen.
Anfang der Siebziger hatte diese Firma also schon Erfahrungen mit Stunts und entwickelte diese auch für Shows.
Calspan sollte also mit ihrem Know How und dem HVOSM den Stunt für den Film entwickeln.

Dieses Modell hat 15 Freiheitsgrade (FHG), umgangssprachlich 15 Richtungen in denen es sich bewegen kann.
Ein einfaches Beispiel: eine Murmel in einer 2D Ebene. Sie kann sich nur nach links oder rechts bewegen.
Um ihre Position zu bestimmen braucht man nur einen Ursprung und einen Abstand davon.
Da man dementsprechend nur eine Zahl braucht, gibt es nur einen Freiheitsgrad.
In der Mitte ist der Mittelpunkt des Autos, das sich in die drei Raumrichtungen bewegen kann und auch um alle Achsen drehen kann.
Dies ergibt sechs Freiheitsgrade. Die Reifen können sich durch um die eigene Achse drehen und bewegen sich auf einer Achse nach oben und unten.
Dies ergibt acht zusätzliche FHG, insgesamt 14. Die Aufhängung vorne hat durch die Federn die sich hoch und runter bewegen können, einen zusätzlichen FHG,
dies ergibt dann insgesamt 15, wie man hoffentlich aus der Skizze sehen kann.
Die Bewergung der hinteren Starrachse wird nicht bedacht. Diese und zusätzliche Annahmen helfen die Rechenzeit zu verringern.
Damit wurde das Fahrwerk simuliert.
Für die Reifen wurden zwei Modelle verwendet. Der Reifen wird als einfache Scheibe modelliert, wenn es keine Bodenunebenheiten gibt.
Falls es sie doch gibt, wird der Reifen als ein Ring von Federn modelliert, die sich durch die Unebenheiten zurückziehen können.

Skizze des Fahrwerks (eigenes Bild)

Skizze des Fahrwerks (eigenes Bild)

Das Auto wird also als starrer Körper mit 4 elastischen Reifen simuliert.
Mit diesem Modell werden die Eulergleichungen
gelöst, die die Bewegung eines starren Körpers beschreiben.
Das Äquivalent für eine Punktmasse ist die Gleichung F = ma, das in dieser Form auch oft Euler zugeschrieben wird.
Dieses Modell ist frei verfügbar PDF zu Fachartikel
Die genauen Gleichungen sind viel zu komplex um sie hier wiederzugeben.
Das Ergebnis musste auch am Computer dargestellt werden, die Computergrafik war Anfang der Siebziger aber erst in ihren Anfängen.

Zarte Anfänge der Computergrafik

In der Vektorgrafik werden Polygone benutzt, um Objekte auf dem Bildschirm darzustellen.
Ein Polygon ist eine geschlossene Figur, die aus geraden Linien besteht.
Das einfachste Beispiel ist ein Dreieck. Die Ecken der Figur wurden durch Punkte bestimmt, deren Position von Vektoren bestimmt wird.
Mehr als einfarbige Punkte und Linien hatte man im Computer üblicherweise Anfang der Siebziger nicht. Farbfernseher gab es schon,
aber die Rechenleistung war zu schwach um farbige Bilder zu erzeugen. Der erste CGI Effekt kann im alten Westworld betrachtet werden.
Dort wurden Computergrafiken in Farben erstellen, was aber Monate dauerte. Quelle

Die einfarbigen Grafiken für diese Simulation wurden durch Kathodenstrahlröhren (oder Braunsche Röhre) erzeugt.
Dies sind die Röhren im Röhrenbildschirm. Ein Elektronenstrahl wird durch ein Magnetfeld abgelenkt und trifft auf den Bildschirm,
wo der Benutzer dann das Bild sieht. Die Postion wird durch Vektoren bestimmt.
Dies wird zum Beispiel bei Oszillokopen benutzt, oder auch bei frühen Computerspielen.

Mit Hilfe dieser einfachen Technik gelang es eine Simulation dieses Stunts durchzuführen.

Was durch die Simulation raus gefunden wurde, war der genaue Aufbau der Rampe,
die notwendige Geschwindigkeit und dass das Fahrzeug leicht umgebaut werden musste:

The modeling called for a 1,460.06 kg (3,219 lb) weight of car and driver, the exact angles and the 15.86-metre (52 ft) distance between the ramps,
as well as the 64.36-kilometre-per-hour (40 mph) launch speed. Quelle

Durch diesen Test am Computer mussten keine gefährlichen zusätzlichen Tests am Filmset in Thailand durchgeführt werden.
Beim ersten Probelauf standen mehrere Rettungstaucher und Krankenwagen bereit.
Ein Unfall an dem Tag wäre ein enormer Rückschlag für die Produktion. Ähnlich wie beim Gegenspieler Scaramanga musste der eine Schuss treffen.
Zum Glück gelang der Stunt schon beim ersten Versuch (auf Youtube ist der Test zu finden).
Nach weiteren Testläufen war man sicher, dass kein Risiko für den Fahrer bestand.
Der geglückte Stunt landete im Film. Den Einsatz der Kolbenflöte (Sidewhistle) hat der Komponist John Berry später bereut:

Barry later regretted his decision, thinking the whistle “broke the golden rule” as the stunt was “for what it was all worth,
a truly dangerous moment, … true James Bond style”.The sound effect was described as “simply crass”.
Quelle

Ob Scaramangas fliegendes Auto im Film simuliert wurde, ist nicht überliefert.

Weiterentwicklung

Das HVOSM wurde weiterentwickelt und noch für viele weitere Simulationen verwendet.
Hier ist ein Beispiel, das einen Unfall zeigt.

Die Sendung Top Gear versuchte erfolgslos den Stunt nachzustellen. In diesem Jahr gelang dies Jaguar
mit dem E-Pace.

Das HVOSM war ein Vorläufer von heutigen modernen Mehrkörpermodellen, die hundertfach komplexer sind.
Begünstigt wurde dies auch durch die Explosion in der Rechenleistung.
In der Entwicklung und Produktion von Autos wird heutzutage fast alles simuliert. Dies reicht vom Design zur Auslegung bis hin zur Erprobung.
Aufwendige Crashtests werden größtenteils durch Simulationen ersetzt.

Simulation eines Crashtests (Bild ist gemeinfrei)

Simulation eines Crashtests (Bild ist gemeinfrei)

In welchem Film wird heutzutage nicht CGI angewandt? Natürlich auch in James Bond Filmen.
Wie in Spectre eher im Hintergrund
oder wie in Stirb an einen anderen Tag für die Monsterwelle, der Bond surfend entkommt.

Das Auto, das für den Stunt benutzt wurde, wird am amerikanischen Tag der Arbeit 2017 (4.9.) versteigert. Es wird geschätzt, dass er für günstige 350000
Dollar zu ersteigern sein wird.

Kommentare (14)

  1. #1 Cornelia S. Gliem
    5. Oktober 2017

    Okay. Schön anschaulich. Eigentlich genau richtig für einen blog-text. Mir fehlt nur am Anfang dir nennenwiresmal Genre- und thema-Nennung :-). Um was sollte es eigentlich gehen? Dass ein konkreter Stunt und seine Simulation vorgestellt werden soll, kam zunächst nicht richtig rüber.

  2. #2 Dampier
    5. Oktober 2017

    Trotz der
    ärgerlichen schlampigen Formatierung hat mir der
    Artikel gut
    gefallen.

    Ein Blogartikel, wie er sein sollte. Jemand erzählt einfach und frei von einem Thema, in dem er/sie sich recht gut auskennt. Fand ich lesenswert, trotz Abzügen in der b-Note (s.o.)

  3. #3 Dampier
    5. Oktober 2017

    In der Entwicklung und Produktion von Autos wird heutzutage fast alles simuliert. Dies reicht vom Design zur Auslegung bis hin zur Erprobung.

    Auch die Autowerbung ist heutztage fast 100% CGI.

  4. #4 Christian Berger
    5. Oktober 2017

    Schöner Artikel, wobei man natürlich sagen muss, dass man solche “Wireframe” Graphiken auch in Farbe machen konnte. Im Prinzip zeichnet man dafür Teile des Bildes getrennt, und hält immer einen Farbfilter vor die Kamera. Dann braucht man aber auch Farbfilm, was die Sache etwas teurer macht… ohne großen Vorteil.

    Was wirklich viel mehr Rechenleistung und besonders Speicher braucht ist die Dreiecke schattiert auszumalen.

  5. #5 Alderamin
    5. Oktober 2017

    Interessantes Stück Film- und Datenverarbeitungsgeschichte, danke dafür.

  6. #6 Stefan H.
    5. Oktober 2017

    Am Anfang dachte ich noch, dass es um eine goldene Kugel gehen würde und warum man mit einer goldenen Kugel aus einer goldenen Waffe kein Erfolg haben wird.

    Aber!! der Blog war interessant und verständlich geschrieben!

  7. #7 Franz
    5. Oktober 2017

    @dampier
    Auch bei Schauspielern ist CGI mittlerweile üblich, manchmal sogar beabsichtigt, wie zum Beispiel bei Rogue 1 mit Carrie Fisher, oder Guardians of the galaxy mit dem “verjüngten” Kurt Russel. Meist bemerkt man es aber nicht, außer dass alle Schauspieler mittlerweile aussehen wie Politiker auf den Wahlplakaten.

  8. #8 Dampier
    5. Oktober 2017

    Das mit den Freiheitsgraden ist mir noch nicht ganz klar.

    Die Reifen können sich durch um die eigene Achse drehen und bewegen sich auf einer Achse nach oben und unten.
    Dies ergibt acht zusätzliche FHG, insgesamt 14.

    Ist die Drehung der Räder denn für den Stunt wichtig? Kann man das nicht in der Rechnung vernachlässigen?

    Die Aufhängung vorne hat durch die Federn die sich hoch und runter bewegen können, einen zusätzlichen FHG, dies ergibt dann insgesamt 15

    Ich denk, alle vier Räder können sich aufgrund der Federung in der Vertikalen bewegen. Wo hat da die Vorderradaufhängung einen zusätzlichen Freiheitsgrad?

  9. #9 tomtoo
    5. Oktober 2017

    @Dampier
    Evtl. könnte da die Kreiselwirkung der Räder eine Roll spielen ? Ist aber nur so eine Idee.

  10. #10 GeHa
    Kärnten
    5. Oktober 2017

    Die sich drehenden Räder sind Kreisel die der sich dann in der Luft ebenfalls (1 x) drehenden Karosserie einen Drehimpuls mitgeben. Alle 4 zusammen sind keine vernachlässigbare Größe bei diesem Stunt.

  11. #11 Yeti
    5. Oktober 2017

    Gut, dass ich erstmal die Kommentare gelesen habe, sonst würde ich den Artikel nicht lesen. Ich versuch’s mal, trotz der fast unleserlichen Formatierung, da wird mir schwindelig.

  12. #12 Cornelia S. Gliem
    5. Oktober 2017

    Was stört denn einige meiner Vorredner an der Formatierung? 🙂 war doch alles gut lesbar.

  13. #13 PDP10
    6. Oktober 2017

    @Cornelia:

    Was stört denn einige meiner Vorredner an der Formatierung?

    Der Flattersatz. Kann man schon machen. Muss ja nicht immer alles Blocksatz sein … aber für fast jeden Satz ein eigener Umbruch nebst Absatz am Ende ist dann doch ein bisschen nervös.

    Trotzdem sehr interessanter Artikel. (Und sooo sehr hat mich persönlich die Formatierung nach ein paar Zeilen lesen auch nicht gestört. Aber ist schon ein wenig nervig.)

  14. #14 Joselb
    6. Oktober 2017

    @Dampier:

    Wo hat da die Vorderradaufhängung einen zusätzlichen Freiheitsgrad?

    Das hatte ich mich auch gefragt. Dafür fehlt mir dann auch noch die Möglichkeit zu Lenken, was für die Vorderräder einen (gekoppelten) Freiheitsgrad mehr ergibt. Ich vermute mal, mit dem 15. Freiheitsgrad war eigentlich die Lenkung gemeint.