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Künstliche Intelligenz, ein Job-Killer?
von Marc Schanz
Ich wette gerne mit Experten über ökonomische Themen. Mein Punktekonto beträgt derzeit 4:1 und dieser Beitrag soll mir den 5. Punkt sichern.
Welche Auswirkungen wird die künstliche Intelligenz haben? Über die Chancen und Möglichkeiten des Fortschritts muss man sich wenig Gedanken machen, sie werden genutzt werden. Mein Schwerpunkt sind daher die Gefahren des technologischen Wandels, insbesondere für die Arbeitswelt und neue Strategien zu ihrer Abwehr. Sich allein auf die unsichtbaren Hände des freien Markts zu verlassen, so wie es die Ökonomie derzeit propagiert, finde ich zu naiv.
Industrialisierung, Massenproduktion und Digitalisierung haben unsere Arbeitswelt revolutioniert, sie hat sich so grundlegend verändert, dass sie nichts mehr mit der vorindustriellen Subsistenzwirtschaft zu tun hat. Doch der technologische Fortschritt kennt keine Pause, virtual Reality und künstliche Intelligenz stehen bereits in den Startlöchern, um unsere Arbeit erneut grundlegend umzuwälzen. Gefühlt scheint sich der technologische Fortschritt immer weiter zu beschleunigen. Dieser Effekt zeigt sich in TV-Sendungen oder Kinofilmen, die erst wenige Jahre alt sind. Sie wirken durch die Verwendung smarter Geräte, die heute bereits hoffnungslos veraltet sind, merkwürdig anachronistisch. Konnte man Handies früher wirklich aufklappen? Ja, das habe ich sogar auch mal gemacht.
Wagen wir einen Blick auf die Arbeit nach den kommenden Umwälzungen. Wie wird sich durch die künstliche Intelligenz die Zusammenarbeit mit der Maschine verändern? Sicherlich, sie wird vor allem einfacher, menschlicher werden. Sprachbasierte Mensch-Maschine-Interaktion, die auf intelligenten Systemen beruht, gehört bereits heute zum modernen Leben und hat auch schon in der Berufswelt Einzug gehalten. Die künstliche Intelligenz wird neue Berufsfelder erschaffen, das Modellieren, Trainieren und Kontrollieren der KI-Programme wird neue Spezialisten benötigen. Die Produktivitätssteigerung durch diesen Technologiesprung wird jedoch zahlreiche Arbeitsplätze überflüssig machen. Die entscheidende Frage ist, welcher Prozess überwiegt, werden mehr neue Arbeitsplätze geschaffen als
vernichtet? Die derzeitige Mode in der Ökonomie sagt, der freie Markt löst solche Probleme durch seine geisterhaften Hände von allein. Alte Märkte verschwinden, neue entstehen, schaffen sich ihre Nachfrage selbst und alles wird gut. Laut diesem Dogma wird die künstliche Intelligenz die Arbeitswelt einfach nur bereichern. Dieses blinde Vertrauen in die Magie des Marktes könnte sich als ein verhängnisvoller Trugschluss herausstellen.
Die Nachfrage nach kostenfreier Arbeit ist unendlich, die Angebote für bezahlte Arbeit sind jedoch begrenzt. Menschen kämpfen auf dem Arbeitsmarkt um dieses begehrte und knappe Gut, während Maschinen ihre Fähigkeiten anbieten, um den Bedarf an bezahlter Arbeit zu senken. Hierdurch entsteht eine Konkurrenz-Situation zwischen Mensch und Maschine. Die Marktkräfte sorgen für eine möglichst effektive Produktion. Ein Unternehmen, dessen Stückpreis bei vergleichbaren Eigenschaften letztendlich näher bei Null ist, kann sich mit höherer Wahrscheinlichkeit am Markt durchsetzen. Da Arbeit einer der größten Kostenfaktoren darstellt, wird sie, falls es möglich ist, durch Investitionen in maschinelle Ausrüstung ersetzt, die sich langfristig immer rentieren.
Dieser Konkurrenzkampf zwischen Mensch und Maschine findet auf vielen Ebenen statt, Bauarbeiter konkurrieren mit Baumaschinen, Mechatroniker mit Fertigungsroboter und bald Taxifahrer mit autonomen Autos. Es ist es ein ungleicher Kampf, denn eine Maschine muss weder ein Haus bauen bzw. Miete zahlen, noch eine Familie ernähren, ein Freizeitleben führen oder für die Rente vorsorgen, sie muss nur wie gewünscht funktionieren. Dieser verlorene Kampf zeigt sich in einer immer weiter fortschreitenden Automatisierung: 1960 benötigte man für eine Jahresproduktion von ca. 500.000 Tonnen Stahldraht in etwa 1.000 Mitarbeiter, heute kann ein österreichisches Stahlwerk die gleiche Menge Stahldraht mit gerade einmal 14 Mitarbeitern herstellen.
Die technologische Fortschritt hat es geschafft, für fast jede physische Arbeit eine Maschine zu entwickeln. Für rein physische Tätigkeiten werden kaum noch Mitarbeiter benötigt, einzig noch zur Steuerung und Überwachung der Maschinen. Doch gerade dies wird sich bald ändern, dank der künstlichen Intelligenz werden demnächst viele Maschinen vollständig autonom arbeiten können, ein menschliche Eingriff wird somit überflüssig.
Beispiel einer hochautomatisierten Fertigung im Automobilbau mit vielen vollautomatisierten Abschnitten.
Zudem werden organisatorische Tätigkeiten, die bisher zu komplex für eine maschinelle Bearbeitung waren, mit Hilfe der künstliche Intelligenz problemlos und vor allem effektiv bewältigt werden. Diese neuen „künstlichen Mitarbeiter“ werden das Angebot an Arbeitskräften für Bereiche, wie Verwaltung, Finanzierung, Marketing, unternehmerische Tätigkeiten usw., schlagartig erhöhen. Ein einzelnes KI-Programm wird aufgrund seiner enormen Kapazitäten mit ganzen Abteilungen konkurrieren, ebenso wie eine Maschine bisher mehrere Arbeiter ersetzen konnte. Nach den strengen Gesetzen des Marktes führt eine solche Erhöhung des Angebots an Arbeitskraft zu einem sinken des Preises für die Arbeitstätigkeiten, d.h. der Lohn für Menschen wird in den Bereichen, in denen die künstliche Intelligenz Fuß fasst, zwangsläufig sinken, menschliche Arbeit wird durch steigende Konkurrenz durch die Maschine immer mehr entwertet. Bisher für den Menschen reservierte Arbeiten werden in Zukunft wesentlich effektiver von intelligenten Systemen erledigt werden. Technologisch sind demnächst Unternehmen ohne einen einzigen Mitarbeiter möglich und der Effizienzdruck der Märkte wird dafür sorgen, dass solche mitarbeiterfreie Unternehmen auch Realität werden. Wenn die Produktion gänzlich ohne menschliche Arbeit funktioniert, dann kann sie niemals die Nachfrage der eigenen Produkte über das Leistungsprinzip generieren, das ist eine logische Unmöglichkeit. An diesem möglichen und auch realistischen Extremfall erkennt man, dass das Vertrauen in den freien Markt, selbstständig für eine stabile Nachfrage sorgen zu können, ein gefährlicher Irrglaube ist. Zentrale Postulate der Neoklassik treffen für eine hoch automatisierte Wirtschaft nicht mehr zu.
Der freie Markt übt nicht nur einen ständigen Innovationsdruck aus, sondern zwingt zugleich zu einer effektiven Herstellung. Unternehmen sparen auf diese Weise Geld, Energie und andere Rohstoffe. Diese Art des Wirtschaftens ist auch gesamtgesellschaftlich effektiv, das Sparen von Ressourcen ist ein überaus willkommener Effekt. Für nahezu alle Kostenfaktoren liegt das gesamtgesellschaftliche und das unternehmerische Optimum bei Null. Das Erfolgsgeheimnis der kapitalistischen Marktwirtschaft ist der Druck, gute und zugleich billige Produkte herzustellen.
Doch die menschliche Arbeit unterscheidet sich in der Betrachtung der Effektivität grundsätzlich von anderen Ressourcen. Während für den Unternehmer das Optimum wie gewohnt bei Null liegt und der technologische Fortschritt immer näher an dieses Ziel gelangt, ist das Optimum für die Gesellschaft eine Vollbeschäftigung. Der freie Markt hilft mit seinem Zwang zur Reduzierung der Arbeit somit dem Unternehmer, während die Gesellschaft darauf hoffen muss, dass der tatsächliche Bedarf über dem der Vollbeschäftigung liegt. Dieser Punkt könnte jedoch in Europa bereits durchbrochen worden sein. Ein Indiz dafür ist die seit Jahren anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit, die selbst durch einen Aufschwung nicht mehr nennenswert sinkt. Das würde bedeuten, dass der freie Markt in Zukunft mit einer stetig steigenden Arbeitslosigkeit dafür sorgt, dass sich die Arbeitsmarktentwicklung immer weiter vom gesellschaftlichen Optimum entfernt.
Wenn in Zukunft nur noch Maschinen und intelligente Computer arbeiten müssen, können wir ja alle kollektiv Urlaub machen! Theoretisch wäre es durchaus möglich, in der Realität nicht. Sollten alle Güter ausschließlich maschinell erstellt werden, könnte die Nachfrage nicht mehr nach dem Leistungsprinzip gesteuert werden, da keine ausreichende Entlohnung menschlicher Tätigkeit vorhanden wäre. Ein Kollaps der Produktion wäre die unausweichliche Folge. Es handelt sich hierbei zum Glück noch um ein weit entferntes Schreckens-Szenario. Es gibt leider eine näher liegende, weitaus realere, aber ebenso heftige Gefahr. Es reicht aus, dass während eines Technologiesprungs der Prozess des Abbaus der Arbeitsplätze viel schneller verläuft als die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Folge wäre ein explosionsartiger Anstieg der Arbeitslosigkeit, die in einer gefährlichen, ökonomischen Abwärtsspirale münden kann. Eine dadurch ausgelöste flächendeckende Verarmung hat das Potential, eine Gesellschaft zu zerreißen. Dazu genügt ein Blick in die Geschichtsbücher oder man schaut sich eine drittklassige Hollywood-Dystopie an.
Ist dieser Horror alternativlos? Nein, natürlich nicht, denn die Aussagen betreffen nur den industriellen Sektor unter dem Worst-Case-Szenario eines unkontrollierten Kollapses. Außerdem ist es eine sehr eingeschränkte Analyse, die zahlreiche Effekte ausblendet, wie die nach gänzlich anderen Regeln funktionierende Selbstständigkeit. So gibt es auch positive Effekte, denn die maschinell erstellten Güter können durch den Wegfall menschlicher Arbeit wesentlich kostengünstiger produziert werden. Die Lohnsumme sinkt zwar, aber gleichzeitig steigt die Kaufkraft. Zudem können Strategien angewandt werden, die den negativen Entwicklungen entgegenwirken. Eine Möglichkeit besteht im Export der Arbeitslosigkeit, indem man die Produktion vom Ausland importiert und die zu viel erstellten Produkte als Überschuss exportiert. Die bewährte Lösung für innere Katastrophen ist und bleibt jedoch der Krieg mit einem externen Feind.
Ich möchte jedoch eine weniger destruktive, dafür eine etwas ungewöhnliche Strategie hinzufügen. Die Idee ist, die menschliche Tätigkeit bewusst ineffizient zu machen. Ineffizienz bedeutet nämlich nichts anderes, als den Ressourceneinsatz, in diesem Fall menschliche Arbeit, zu erhöhen und durch den künstlich gestiegenen Bedarf ihren ökonomischen Wert wieder zu steigern. Durch geschickte Manipulation kann die Zahl der Arbeitsplätze gezielt gesteuert werden, um wieder eine Vollbeschäftigung zu ermöglichen.
Schadet dieses Vorgehen nicht unserer Wettbewerbsfähigkeit? Wenn man es an der falschen Stelle macht, sicherlich. Wenn für ein Produkt die doppelte Anzahl an Arbeitsstunden benötigt wird, verteuert sich das Produkt entsprechend und es ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Daher sollte man den industriellen Sektor mit seinen Exporten nicht zur Ineffizienz zwingen, sondern es empfiehlt sich ein anderer Wirtschaftsbereich: Der Dienstleistungssektor mit seinem Fokus auf dem Binnenmarkt, der größtenteils nicht der Globalisierung ausgesetzt ist. Das Paradebeispiel einer ineffizienten und national agierenden Organisation ist der öffentliche Rundfunk, seine Funktion als Arbeitsbeschaffer ist zweifelsfrei, die Qualität seines Produktes weniger. Die Krönung ist jedoch, mit gezielten Ineffizienzen die Qualität der Dienstleistungen zu erhöhen. Wie soll das bitte gehen? Betrachten wir hierzu den Gesundheitssektor. Wenn 20 Patienten von zwei statt von einer Krankenschwester betreut werden, dann ist es ökonomisch ineffizient, bietet aber aus medizinischer Sicht eine qualitative Verbesserung. Ein hochwertiges Gesundheitssystem wiederum spart zum Beispiel Kosten durch eine Verringerung der krankheitsbedingten Fehlzeiten oder durch die Vermeidung von Behandlungsfehlern. Weitere Bereiche, die mit einer gezielter Ausweitung der Ineffizienz eine Qualitätsverbesserung erlauben, sind der Bildungs-, Wissenschafts- oder der Kultursektor. Ähnlich funktionieren auch der Sicherheitsbereich oder das Militär.
Die Frage aller Fragen lautet: Wie soll man diese Ineffizienzen finanzieren? Merkwürdigerweise wird diese Frage in Zusammenhang mit Kriegen, Militär und Sicherheitstechnik eigentlich nie gestellt, bei Fragen der Wissenschaft oder anderen zivilen Projekten steht sie immer auf Platz eins. Im Grunde stellt sich diese Frage nicht, denn gezielt provozierte Vollbeschäftigung ist ja nichts anderes als das Erzielen des gesamtgesellschaftlichen Optimums. Dieses ermöglicht die Produktion der meisten Güter und Dienstleitungen und verursacht die geringsten Kosten. Eine verhinderte Arbeitslosigkeit vermeidet unermessliche gesellschaftliche Schäden, die z.B. durch hohe Sozialausgaben oder steigende Kriminalität verursachen werden. Ob wir die zur Steuerung der Vollbeschäftigung notwendigen Ineffizienzen im zivilen oder militärischen Bereich einbauen, ist keine ökonomische, sondern eine rein gesellschaftspolitische Entscheidung.
Während der freie Markt für den industriellen Sektor segensreich ist, kann er für den Dienstleistungssektor zum Desaster führen. Der industrielle Sektor wird seine Effizienz weiter steigern, aber zukünftig als Jobmotor ausfallen. Im Gegenteil, die Zahl industrieller Arbeitsplätze wird bei gleichen oder vergrößerten Output sich rapide der Null annähern. Der freie Markt wird diesen Wandel mit seinen unsichtbaren Händen nicht orchestrieren, da er den Dienstleistungssektor nicht fördert, wie es im Grunde nötig wäre, sondern ihn ebenfalls zum Jobabbau mit einem einhergehenden Kollaps des Outputs zwingt. Nur ein Markteingriff, der gezielt den Dienstleistungssektor schützt und ihn bewusst ineffizient gestaltet, kann einen Arbeitsplatzkollaps kompensieren, wie ihn die künstliche Intelligenz verursachen kann.
Weitere Technologiesprünge stehen bevor und es sind alle Voraussetzungen vorhanden, dass sie extrem schnell und gewaltig über uns hinweg rollen werden. Die Infrastruktur zur Einführung der künstlichen Intelligenz ist mit der Cloud-Technologie bereits vorhanden, extrem skalierbar und nahezu weltweit per Knopfdruck verfügbar. Die Anpassung an die unterschiedIichsten Bereiche ist ja gerade eines der Features intelligenter Systeme, sie erwerben während der Lernphase die spezifischen Fähigkeiten für ihr Einsatzgebiet. Das Potential der Skalierbarkeit von KI-Systemen ist daher erschreckend groß.
Sollten die unsichtbaren Hände des Marktes keine Lust haben, den auf uns zukommenden Wandel für uns Menschen erträglich zu gestalten, wäre es eine überaus sinnvolle Strategie, sich darauf vorzubereiten, um im Fall der Fälle mit echten Händen anpacken zu können.
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