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“The most beautiful things we can experience is the mysterious. It is the source of all art and science”
Albert Einstein
Eine rein persönliche Annäherung an Schrödingers Katze – ohne Gurke
Von Azira
Mit Abbruch des Chemiestudiums habe ich meine naturwissenschaftliche Laufbahn beendet und bin in den Dienstleistungssektor gewechselt. Erst als Buchhändlerin und jetzt als Assistentin in einer Bank (in einer deutschen Großstadt, EZ < 1 Mio.), zudem spiele ich seit ca. 30 Jahren Fantasy-Rollenspiele.
Unabhängig davon, ob meine Beobachtung das Giftfläschchen zerstört oder nicht – wir vergiften unseren Planeten. Gerne möchte ich mit Euch mein rein persönliches Gedankenkonglomerat – Fubarit sozusagen – zu diesen Themen teilen, auch möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass wir die Grenzen der Welt, in der wir leben, erkennen und respektieren – wenn auch nur kurz gen Ende.
Ich bin kein Formeltier, aber das seiend Nichtsein fasziniert mich. Während des Studiums versuchte ein Kommilitone mir den ‘Nichtzustand‘ näher zu bringen: Es ist nur real, wenn es beobachtet wird – bis dahin befindet sich alles im Zustand unendlicher Möglichkeiten. Seither beäuge ich die Wand in meinem Rücken aus den Augenwinkeln heraus äußerst skeptisch, aber ich lebe im Makrokosmos und der Maurer hat ganze Arbeit geleistet – diese Wand steht. Wie ist das also mit dem Baum, der unbeobachtet im Wald umfällt? Über diesen muss ich evtl. bei meiner nächsten Wanderung klettern, er materialisiert sich nicht erst liegend, weil ich zufällig seinen Pfad kreuze. Mich tangiert das wenig, für andere Menschen könnte dieser Zustand jedoch das Ende der Wanderung bedeuten. Der umgestürzte Baum hat in unserer Welt direkte Auswirkungen. Es gibt Konsequenzen seiner Existenz, unabhängig davon, ob ihn jemand Fallen sah oder nicht: Er liegt im Weg. Die philosophische Frage, ob dies bereits seine im Keim angelegte Bestimmung war, möchte ich hier nicht erörtern.
Wie stelle ich mir also eine lebend/tote = untote = Zombiekatze vor? Die simple Antwort ist: Gar nicht. Egal, ob ich zu diesem Thema einen naturwissenschaftlichen oder philosophischen Ansatz wähle, das Nichtwissen ist.
In unserer Welt liegt der Baum mit all seinen Konsequenzen. Das Leben findet nicht in der Welt der Elementarteilchen statt; Quanten überleben sozusagen nicht den Sprung in unsere Realität. Alles bleibt da, wo es ist, es muss nicht erst beobachtet werden, um einen definierten Zustand einzunehmen bzw. real zu sein. Für den ’normalen’ Menschen ist also die Vorstellung einer lebend/toten = untoten = Zombiekatze realitätsfern. Wie sich demnach einem Gedankenexperiment annähern, das nichts mit dem täglichen Leben gemein hat und vor allem: warum sollten wir dies tun?
Neben den drei klassischen Antworten: ‘Warum nicht‘, ’Weil wir es konnten’ und ‘Wer sollte es sonst tun‘, ist meine Antwort: Es interessiert mich und ich möchte das Wirrwarr in meinem Kopf in Struktur bringen und in klare Gedankengänge gießen. Meine persönlichen Annäherungsversuche erfolgten bisher
– mit Phantasie – wie Robert A. Wilson in seiner Trilogie [1] oder neueren Datums Blake Crouch [2]
– mit Poesie: Er verschwand vor unseren Augen,
entführt von uralter Magie;
schon lange redete er von ruhenden Mächten,
die wir gebannt durch Verehrung der Technik.
Für diese war kein Platz zwischen Atomen und Quanten.
Erst mit der Katze fanden wir wieder den Weg.
Er lächelte, wenn er so sprach.
Mir scheint, es ist ihm gelungen:
Sein Zustand verdichtete sich ein einer anderen Welt.
– mit Mathematik/Formeln: „Doch die Variablen variieren zu viel und die Konstanten sind nicht so konstant, wie sie scheinen.“ [1]
– mit populärwissenschaftlicher Literatur – wie z.B. John Gribbin [4]
– mit stiller Akzeptanz: Hier gibt es Etwas, das ich nie verstehen werde.
Nun ja, das trifft für mich auch auf den Großteil der menschlichen Verhaltensweisen zu. Wie kommt es sonst, dass ein durchschnittlich gebildeter Mensch den von uns verursachten Klimawandel leugnet oder die Evolution verneint? Doch genug des Anthropozäns und diverser Verschwörungstheorien. Man muss wissen: Chemtrails gibt es wirklich, die Erde ist flach und Homöopathie wirkt.
Wie nähere ich mich also der lebend/toten = untoten = Zombiekatze? Ich muss das ‘Es ist, es ist nicht‘ akzeptieren. Alles ist eine große Wolke voller Möglichkeiten: „Nichts ist real, ehe wir es nicht betrachten, und es hört auf real zu sein, sobald wir nicht mehr hinschauen.“ [4]
Also erst, wenn ich mich entscheide, in Aktion zu treten, kollabiert die Wolke zu einem Pfad. Solange aber niemand beobachtet, was ich tue, bleiben wir eine Wolke? Zweigen dann hier die Multiversen ab: Alles was möglich ist, wird passieren? Jede Entscheidung jedes Menschen erschafft ein neues Universum – schier unendliche Möglichkeiten, nur begrenzt durch die endliche Anzahl der Menschen?
Ist dies jetzt ein positiver Gedanke à la „Und täglich grüßt das Murmeltier“ [5] – irgendwo, irgendwie, irgendwann wird durch die Summe der Entscheidungen von rund 7,5 Mrd. Menschen ’Alles gut’?
Möglich ist es, aber unser Problem ist, egal ob die Katze lebt oder nicht und wir den Baum überwinden, wir haben nur diesen einen Planeten. Eventuell haben wir es in anderen Zuständen geschafft, mit der Natur in Einklang zu leben, vielleicht gibt es sogar das Paradies! Doch das ändert nichts daran, dass wir im Hier und Jetzt leben und versuchen sollten, unser blaues Juwel für künftige Generationen zu erhalten. Wir leben in der Besten aller Welten – und auch der Einzigen für uns – unabhängig von tausenden gefundener Exoplaneten.
Könnten wir aber erkennen, ob wir in einer Parallelwelt leben, in der mich z.B. der Baum zur Umkehr zwang? Hier ist meine rein subjektive Antwort: Nein! Noch gibt es keinen Kubus à la Crouch, der uns den Zugang zu (hypothetischen) Paralleluniversen ermöglicht [2].
Unser Leben findet in der atomaren Welt statt – Umweltgifte und Atomraketen inklusive. Was wir sehen, ist – unabhängig vom Betrachter und dessen Zustand.
Ich wünsche mir natürlich, dass sich die Ausgangsbeobachtung zu einer lebenden Katze verdichtet und die Menschheit ihren selbst gefällten Baum aus dem Weg schafft: Keine überfluteten Inseln, ein stabiler Golfstrom, der für unser wohltemperiertes Klima sorgt und keinen atomaren Winter.
Rein persönlich arbeite ich täglich daran, den Baum-Hindernis-Parcours zu meistern und konstatiere, dass ich nicht mal mein Leben verstehe, geschweige denn die Welt, unser Universum oder gar Multiversen.
Zum Ausklang ein Essay, wie die Hauskatze, abstammend von der ägyptischen Falbkatze, das Leben des Menschen in der heutigen Welt verändert hat…
…doch die Hauskatze will Futter, hier und jetzt – MIAU!
[1]
Robert Anton Wilson
Schrödingers Katze. Aus dem Amerikanischen, Trilogie. Rowohlt, Reinbek 1984
Das Universum nebenan. 1984, ISBN 3-499-15287-8;
Der Zauberhut. 1984, ISBN 3-499-15382-3;
Die Brieftauben. 1985, ISBN 3-499-15476-5;
[2]
Blake Crouch
Dark Matter Pan Books; 2017, ISBN-10: 1509853782
[3]
…as Magical Mr. Mistoffeles.“
T.S. Eliot
Old Possums Katzenbuch, Suhrkamp Verlag, 14. Auflage 1990
[4]
John Gribbin:
Auf der Suche nach Schrödingers Katze, Piper (1996), ISBN-10: 3492213537
[5]
Und täglich grüßt das Murmeltier (Originaltitel: Groundhog Day): US-amerikanische Filmkomödie aus dem Jahr 1993.
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