In der Astronomie passieren gerade großartige Dinge. Heute wurde eine phänomenale Entdeckung bekannt gegeben die – ohne zu übertreiben – eine neue Ära der astronomischen Erforschung des Universums einleitet. Und wer könnte besser davon erzählen als jemand der an dieser Entdeckung beteiligt war? Deswegen freue ich mich diesen Gastartikel von Christina Thöne, Astronomin am Instituto de Astrofisica de Andalucia, veröffentlichen zu können.
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Astronomen sind nicht gut darin, Geheimnisse für sich zu behalten, vor allem wenn sie wirklich aufregend sind. Schon Ende August gingen Gerüchte herum, eine neue Art von Gravitationswellen sei entdeckt worden, ausgelöst durch den Tweet eines Astronomen. Und dann brauchte man nur noch eins und eins zusammenzählen, wer einen Hinweis hatte musste z.B. nur die komplett öffentlichen Beobachtungslogbücher diverser Teleskope durchgehen um zu wissen, hier geht was ab und auch wo. Inzwischen pfeifen es wirklich schon die Spatzen von den Dächern, aber offizielle Stellen halten sich immer noch bedeckt, bis zum Ende des Presseembargos, wenn auch dieser Artikel online geht.
Passend dazu ging der diesjährige Nobelpreis für Physik an die Entdeckung der Gravitationswellen. Vor nicht einmal 2 Jahren erfolgte der erste Nachweis mit LIGO am 14.9.2015, nach vielen Jahrzehnten Forschung und Weiterentwicklung der Detektoren (die Bekanntgabe erfolgte aber erst ein halbes Jahr später). Die allgemeine Relativitätstheorie von Einstein war endgültig bestätigt und die Modelle waren so genau wie es nur irgendwie ging. Daraufhin folgten bisher noch weiter 2 bestätigte Ereignisse (inoffiziell gibt es aber noch viel mehr, deren Messgenauigkeit allerdings nicht den LIGO Standards entsprach).
Bei allen Ereignissen bisher handelte es sich um die Verschmelzung von zwei (stellaren) schwarzen Löchern, jeweils mit Massen so um die 20-30 Sonnenmassen. Das war auch so erwartet, da die Detektoren erstens für diese Art von Gravitationswellen besonders empfindlich sind und außerdem die Verschmelzung zweier schwarzer Löcher das lauteste Signal in dem empfindlichen Bereich aussendet. Und wie es aussieht passieren solche „Merger” auch gar nicht so selten, was vorher allerdings niemand wusste, die Hochrechnungen gingen weit auseinander.
Das Signal der Gravitationswellen ist natürlich toll, aber die Information relativ beschränkt. Man kann die Masse der beiden Objekte herausfinden und – das soll später noch wichtig werden – ihre Distanz. Deshalb haben sich die „elektromagnetischen Astronomen” schon länger an die LIGO Detektionen rangehängt und versucht in irgendeinem Spektralbereich etwas zu beobachten. Leider gab es da mehrere Hindernisse: Zum einen ist die Ortsgenauigkeit eines Ereignisses so ungenau dass man in den meisten Wellenlängen gar keine Chance hat etwas zu finden. Die sog. „errorbox”, eher eine Errorbanane, spannt sich über beide Hemisphären und hatte mit den beiden LIGO Detektoren eine Fläche von mehreren Dutzend Quadratgrad (die meisten größeren Teleskope beobachten Flächen von einigen Quadratminuten). Eine Gravitationswelle an sich hat keine Ortsinformation, diese erhält man nur durch Interferometrie, also wenn diese zu leicht verschiedenen Zeiten an verschiedenen Detektoren ankommt und man dadurch eine Richtung herausrechnen kann. Dazu hilft es verständlicherweise mehr Detektoren zu haben und deswegen hat sich auch mit der Fertigstellung des Advanced Virgo Detektors in Italien die Genauigkeit etwas verbessert.
Zum anderen gibt es ein physikalisches Problem mit der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher. Während die im Gravitationswellenbereich relativ hell sind, sind sie überall anders ziemlich dunkel. Zwei schwarze Löcher verschmelzen ohne irgendeine größere Explosion, weil im Normalfall kaum Materie um die schwarzen Löcher herum vorhanden ist, die noch irgendeinen letzten Todesschrei, sprich Photonen, von sich geben könnte.
Viel besser wäre es da die Verschmelzung zweier Neutronensterne zu beobachten (die ich im weiteren NS-NS Merger nennen werde). Diesen wird nämlich nachgesagt, eine von zwei Arten von Gamma-Ray Bursts (GRB) zu sein, nämlich die sogenannten „kurzen GRB” (< 2s Dauer im Gammabereich) und selbige haben einen sog. „Afterglow" in allen möglichen Wellenlängen und wohl auch so etwas ähnliches wie ein Supernova, eine sog. Kilonova (Florian hat darüber hier schon mal geschrieben als die erste Kilonova entdeckt wurde). Nur, Neutronensterne haben höchstens 2-3 Sonnenmassen (ansonsten würden sie zum schwarzen Loch werden) und bei der Verschmelzung ist demnach auch das Signal viel geringer. Die Rechnungen für die Häufigkeit solcher Ereignisse, die nahe genug wären um sie mit LIGO+Virgo entdecken zu können gingen weit auseinander. Noch im Februar hatte ich mich mit einem Theoretiker unterhalten, der meinte er würde den ganzen Sommer damit verbringen auf viel zu viele Gravitationswellenkonferenzen zu fahren, auf denen er allen erzählen müsse dass man diese NS-NS Mergers so schnell nicht finden wird. Ein sehr geschätzter Kollege, leider lag er… falsch. Leider für ihn, gut für die Astronomen.
Am 17. August diesen Jahres liefen die Mailboxen plötzlich heiß. Zumindest die von Leuten, die ein sogenanntes „memorandum of understanding” mit LIGO unterzeichnet hatten und die Nachrichten erhalten durften, und der Rest der interessierten Beobachter hat so seine Beziehungen. Es wurde schnell klar dass LIGO+Virgo tatsächlich einen NS-NS Merger detektiert hatten, genannt “GW170817” (nach dem Entdeckungsdatum am 17.08.2017), und das weniger als 3 Wochen nachdem Advanced Virgo auch online gegangen war. Oha, so schnell hatte damit niemand gerechnet! Die Errorbox war zwar mit 28 Quadratgrad wie immer riesig (allerdings wegen Virgo schon etwas kleiner), aber dieses Mal wusste man wonach man suchen musste, nämlich nach einer Art kurzem GRB in einer Galaxie. Als Bonus – und das stellte sich als entscheidend heraus – liefert das GW Signal ja auch noch eine Entfernung. Und die war 40 Megaparsec +/- ein paar (1 Parsec sind 3.2 Lichtjahre). Dies beschränkte die Anzahl der möglichen Galaxien in der Errorbox und der Entfernung auf 53. Das ist immer noch eine recht große Zahl, aber machbar, vor allem wenn man weiß welche Art von Galaxien man sich als erstes anschauen sollte. Nur 10h nach Messung der GW fand ein kleines 1m-Teleskop in Chile eine zuvor nicht detektierte Quelle in der Galaxie NGC 4993, Bingo! Eine elliptische Galaxie in einer Entfernung von 40 Mpc. WOW…!
Dann liefen nicht nur die Mailboxen sondern auch die Teleskope heiß. Die Position der Galaxie am Himmel war nicht die beste weil nur in der Dämmerung beobachtbar, aber plötzlich rissen sich alle um Dämmerungsbeobachtungen. Es wurde alles aufgefahren was nur irgendwelche Photonen sammeln kann, von Gamma bis Radio und sogar in den Neutrinodetektoren am Südpol und im Mittelmeer wurde noch nachgeschaut (allerdings nichts gefunden, dazu ist das Ereignis dann doch etwas weit weg).
Und tatsächlich: Der Fermi Satellit hatte einen kurzen, aber schwachen GRB detektiert, dessen Position und Zeit ziemlich gut mit der Gravitationswelle übereinstimmt (genaugenommen 1.7s nach der GW). Im optischen beobachtete man eine schöne Kilonova, allerdings viel schwächer als erwartet. Im Röntgen- und Radiobereich maß man erst ein mal gar nichts, dort wurde erst nach Wochen etwas detektiert. Alle diese Beobachtungen deuteten darauf hin, dass in diesem Merger die Achse des Jets nicht genau auf uns deutete, sondern wir das Ereignis von der Seite beobachtet haben. Man kann GRBs weit hinaus ins Weltall beobachten, allerdings nur wenn man direkt in den Jet schaut, ansonsten ist die Strahlung nicht stark genug. Dieser kurze GRB war der nächstgelegene jemals nachgewiesene, und trotzdem war das Signal extrem schwach. Das heißt, ohne die Detektion der Gravitationswelle hätten wir den GRB komplett verpasst! Vielleicht gibt es ja viel mehr davon im nahen Universum, bisher haben uns nur die “Trigger” der Gravitationswellen gefehlt.
Zum ersten Mal gelang es auch optische Spektren einer Kilonova zu beobachten und die haben selbst die Astronomen zum Staunen gebracht. Die Spektren zeigen sehr breite Linien, die eigentlich gar nicht mehr als Spektrallinien erkennbar sind, und die von Elementen stammen, die in der, und nur in der Kilonova gebildet werden, z.B. Cäsium und Tellurium. In Kilonovae ist der sogenannte r-Prozess wichtig für die Bildung von Elementen. r steht für „rapid”, also schnell, ein Prozess in dem „schnell” Neutronen in vorhandene Atomkerne angelagert werden (in ausgeworfenem Material aus Neutronensternen gibt es verständlicherweise viele Neutronen). Da diese Elemente normalerweise instabil sind, zerfallen sie sehr schnell und bilden die Elemente schwerer als Eisen, die in der Kernfusion alleine nicht möglich sind, z.B. so hübsche Elemente wie Gold oder Platin, oder aber noch schwere Elemente wie z.B. seltene Erden der Lanthaniden und Aktiniengruppe. Die breiten Linien in der Kilonova bedeuten außerdem dass das Material, das wir beobachten mit ca. 0.2c, also 20% der Lichtgeschwindigkeit, ausgestoßen wurde, das ist viel höher als in normalen Supernovae, wo die sog. „broad-line Ic” am Anfang vielleicht gerade mal an 0.1c heran reichen. Es geht also ganz schön rund in so einem Neutronensternmerger.
Die Galaxie, wie oben schon angedeutet, ist eine „alte” Galaxie mit wenig Sternentstehung und einer Sternenpopulation mit einem durchschnittlichen Alter von über 5 Milliarden Jahren. Ein Neutronenstern muss ja erst einmal durch eine Supernovaexplosion entstehen, in diesem Falle zwei davon. Der eigentliche Merger dauert dann auch noch einige Milliarden Jahre (auch hier gehen die Modelle auseinander) und in der Zwischenzeit ist es in der Galaxie eher ruhig geworden. Allerdings hat man kurze GRBs in allen möglichen Galaxien beobachtet, weil die meisten Galaxien, aktiv oder nicht aktiv, normalerweise auch einige alte Sterne aus der Anfangszeit ihrer Entstehung vor mehreren Milliarden Jahren haben. Neutronensterne gibt es also überall zu Genüge. NGC 4993 ist an sich eine recht interessante Galaxie, es wurden nämlich Reste von Spiralarmen darin gefunden (die man nur in bestimmten Emissionlinien sieht), was darauf hindeutet, dass sie irgendwann in der Vergangenheit mit einer anderen Galaxie verschmolzen ist.
Man kann mit dieser Entdeckung auch noch andere lustige Dinge anstellen, jetzt wo eine elektromagentische Quelle eindeutig identifiziert wurde, z.B. eine neue Berechnung der Hubblekonstante H0. Dazu braucht man im Prinzip nicht viel, nur eine Formel: v=H0*d. d ist die Distanz, v die Geschwindigkeit mit der sich das Objekt von uns entfernt. d kennen wir, wie oben erwähnt, von der GW selbst und v wissen wir auch weil wir die Galaxie kennen und deren Geschwindigkeit mit Hilfe von Emissions- und Absorptionslinien bestimmt werden kann. Nach diversen Korrekturen der Geschwindigkeit für lokale Rotation in der Milchstraße und unsere Bewegung hin zum „großen Attraktor” kann H0 bestimmt werden und, glücklicherweise, kam ein Wert heraus der sehr gut zu anderen Bestimmungen der lokalen Hubblekonstante passt, nämlich 70 km/s/Mpc.
Dies alles zusammen macht dieses Ereignis so besonders und begründet eine neue Ära der Astronomie, die „multimessenger Astronomie”. Die halbe Astronomenwelt ist seit Wochen wie ein Ameisenhaufen und postet zweideutige Hinweise auf Facebook. Es gibt Pressekonferenzen aller Orten, mein Postdoc und ich selbst wurde auch zu einer in Madrid eingeladen, haben aber aus verschiedenen Gründen dankend abgelehnt (wir sollten auch nur im Publikum sitzen), dafür machen wir heute public viewing im Institut. Die große Pressekonferenz ist bei der NSF (National Science Foundation) in Washington und wird live gestreamed, und nicht nur LIGO und Virgo kommen zu Wort, sondern auch einige Vertreter der „elektronmagnetischen Astronomen”, einige davon kenne ich persönlich, es wird also interessant.
Dabei ist die Beziehung mit den Gravitationsphysikern nicht immer einfach, weil Teilchenphysiker und Astronomen irgendwie verschieden ticken (muss man nicht verstehen). Die Astronomen haben schon lange gemerkt, dass es am besten für alle ist, Entdeckungen und Positionen so schnell wie möglich zu veröffentlichen, damit andere Gruppen dementsprechende Beobachtungen veranlassen könne. Deswegen wurden diverse virtuelle „Telegramme” etabliert (die bekanntesten sind die ATELs, „Astronomer‘s Telegram” und die GCNs, „Gamma-ray burst circular network”), die man sich auch bequem zumailen lassen kann. Die Gravitationswellenphysiker mögen so schnelle Dinge allerdings gar nicht, weil ja immer noch irgendein Fehler in der Analyse sein könnte und man das lieber in Ruhe nochmal durchgeht. Bei Objekten, die innerhalb von Stunden oder Tagen verglühen ist das natürlich unpraktisch. Das ganze wurde dann so „gelöst” in dem die interessierten Astronomen eben dieses „memomrandum of understanding” (kurz MoU) unterschrieben, in denen sie sich verpflichten, das sie die Gravitationswellendetektionen und die erhaltene Beobachtungsdaten unter Verschluss halten bis zur offiziellen Ankündigung und das selbst gegenüber anderen Astronomen. Das hat inzwischen so abstruse Formen angenommen, dass niemand auf den Publikationen, die heute um 16:00 auf einen Schlag publik werden (und in den letzten Wochen heimlich abgeschickt, referiert und akzeptiert wurden, teilweise unter etwas fragwürdigen Standards), weiß wen man wo denn jetzt wie zitieren darf und soll.
Das erstreckt sich sogar auf GCNs, auch die existieren schon, gehen aber alle auf einmal online (inzwischen weiß deshalb auch jeder, wenn mal wieder 100 GCN Nummern fehlen, was es geschlagen hat).
Wir hoffen schon seit einer Weile, dass die Gravitationswellenphysiker irgendwann ein bisschen entspannter werden und ihre Ergebnisse etwas unkomplizierter mitteilen, was ja eigentlich nur von Vorteil wäre. Aber darauf müssen wir wohl noch ein bisschen warten, genauso wie Florian darauf dass Gravitationswellen keine Schlagzeilen mehr verursachen , weil sie so normal sind. Aber heute gibt es erst mal sehr große Schlagzeilen und es wird gefeiert. Prost auf die Ära der Multimessenger Astronomie!
Mehr Informationen und Fachliteratur
- GW170817: Observations of Gravitational Waves from a Binary Neutron Star Inspiral, The LIGO Scientific collaboration and The Virgo Collaboration, 2017, Physical Review Letters
- The multi-messenger discovery and observations of a binary neutron star merger, B. P. Abbott et al. 2017, ApJL
- The emergence of a lanthanide-rich kilonova following the merger of two neutron stars, N.R. Tanvir et al. 2017, ApJL
- The environment of the binary neutron star merger GW 170817, A.J. Levan et al. 2017, ApJL
- Swift and NuSTAR observations of GW170817: detection of a blue kilonova, P. A. Evans et al. 2017, Science
- A gravitational-wave standard siren measurement of the Hubble constant, B.P. Abbott et al. 2017, Nature
- ALMA and GMRT constraints on the off-axis gamma-ray burst 170817A from theÿbinary neutron star merger GW170817, S. Kim et al. 2017, ApJL
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