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Ich sehe was, was du nicht siehst und es hat die Farbe „gold“ – es gibt Reis, Baby!
ein Artikel von Pterry
Ich bin Biochemikerin und habe kein eigenes Blog. Dafür mache ich jedes Jahr aus Spaß an der Freude hier beim Schreibwettbewerb mit. Ansonsten twittere ich unter moepern oder podcaste im Zellkultur-Podcast.
Diesmal schreibe ich über einen, der auszog um bunten Reis zu säen und damit Krankheit und Tod besiegen wollte, aber grünen Gegenwind erntete und es schaffte, dass alle sich dafür interessieren, welcher Reis in den umfallenden Säcken das eigentlich genau ist.
Dass man bestimmte „Krankheiten“ durch die Gabe bestimmter Nahrungsmittel „heilen“ konnte, stellte man bereits im 16. Jahrhundert fest. Damals führte der britische Schiffsarzt James Lind ein Experiment mit zwölf an Skorbut erkrankten Matrosen durch, bei dem er zeigen konnte, dass Zitrusfrüchte deren Vitamin-C-Mangelerscheinungen revidierten. 1991 kam Ingo Potrykus, ein Professor für Pflanzenwissenschaften an der ETH Zürich, auf die Idee, dass man das Problem des Vitamin-A-Mangels auf ähnliche Weise angehen könnte, nämlich in dem man einen entsprechenden genetisch veränderten Reis herstellt.
Vitamine sind essentielle Nahrungsbestandteile, die ein Organismus für das Ausführen lebensnotwendiger Stoffwechselfunktionen benötigt, die er selbst aber nicht oder nur teilweise bzw. aus mit der Nahrung aufgenommenen Vorstufen synthetisieren kann. Üblicherweise teilt man die Vitamine in zwei Gruppen ein: in wasserlösliche und fettlösliche Vitamine. Das oben genannte Vitamin C, die Ascorbinsäure, gehört zu den wasserlöslichen Vitaminen, die im allgemeinen dem Körper leichter zugeführt werden können und bei denen eine Überdosierung schwierig ist, da überschüssiges Vitamin ganz simpel durch den Urin wieder ausgeschieden werden kann.
„Manchmal kann so ein bisschen Urin ganz schön teuer sein.“ – Donald Trump [1]
Bei fettlöslichen Vitaminen, zu denen auch das Vitamin A gehört, ist das ein bisschen anders. Zum einen können sie vom Körper nur dann effektiv aufgenommen werden, wenn in der Nahrung wenigstens ein bisschen Fett enthalten ist. Zum anderen ist es bei bestimmten Ernährungsweisen einfach in zu geringen Anteilen überhaupt in der Nahrung enthalten. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen Reis die Haupternährungsgrundlage ist, gehört Vitamin-A-Mangel zu einem grundlegenden Problem.
Was macht Vitamin A im Körper überhaupt? Vitamin A oder auch allgemein Retinoide kommen im Körper in den Varianten Retinol, Retinal und Retinsäure vor, die sich, bis auf letztere, in einander umwandeln lassen. Die bekannteste Funktion ist wohl die Beteiligung von Retinal am Sehvorgang im Auge. In diesem Fall ist das Vitamin ein unverzichtbarer Bestandteil des Proteins, das Licht wahrnimmt und es in einen für unseren Organismus lesbares elektrisches Signal übersetzt. Retinal wirkt in diesem Fall im Prinzip wie ein Schalter, der durch ein Photon umgelegt wird und so das Signal aktiviert. Ein Mangel kann hier zu sukzessiver Erblindung führen, welche sich zunächst durch Nachtblindheit äußert und die im fortgeschrittenen Stadium unumkehrbar ist. Hier sind vor allem Kinder betroffen, von denen die meisten bei fortgesetzter Vitamin-A-Defizienz auch sterben.
„Sehen und Gesehenwerden hatten grundlegenden Einfluss auf die sexuelle Selektion im Tierreich.” – Ray Charles [1]
Eine zweite wichtige Funktion von Vitamin A übernimmt die Retinsäure während des embryonalen Wachstums. Ein Retinsäuregradient sorgt dafür, dass sich die anterior-posterioren Achse oder auch Längsachse korrekt ausbilden kann und dient dabei als Orientierung für wandernde Nervenzellen. Hier kann eine Vitamin-A-Unterversorgung von Schwangeren zu erheblichen Fehlbildungen der Säuglinge führen. Weitere Funktionen von Vitamin A betreffen unter anderem die Eisenaufnahme, das Immunsystem und die Herstellung von Sexualhormonen sowie auch Eizellen und Spermien, sodass ein Mangel auch mit verringertem Eisenspiegel, erhöhter Infektionsanfälligkeit sowie reduzierter Fruchtbarkeit einhergeht.
Um diesen Mangelerscheinungen entgegenzuwirken und die damit einhergehende Kindersterblichkeit zu reduzieren, kann man verschiedene Maßnahmen ergreifen wie z. B. die Verteilung von Vitamintabletten oder Bevölkerungsaufklärung. Die kosteneffizienteste Variante ist aber wohl die Biofortifikation, d.h. die Anreicherung von Mikronährstoffen wie Vitaminen durch Züchtung oder genetische Modifikation, da hier auch große Bevölkungsschichten erreicht werden können. Aus diesem Grund wurde der „Golden Rice“ entwickelt.
„Golden Rice“ erhielt diesen Namen wegen der Gelbfärbung der Reiskörner, die von der Produktion von Provitamin A aka β-Carotin in den Reiskörnern herrührt. β-Carotin kann im Stoffwechsel zerlegt werden, wobei zweimal Vitamin A entsteht. Es ist auch der Stoff, der z. B. Möhren ihre schöne orange Farbe gibt. Deswegen sagt man ja auch so gerne, dass Möhren „gut für die Augen sind“. Natürlich stellt die Reispflanze selbst auch β-Carotin her, aber eben nicht in den Reiskörnern, sondern in anderen Teilen der Pflanze, die nicht verzehrt werden. Acht Jahre brauchte das Team um Ingo Potrykus und seinen Kollaborationspartner Peter Beyer von der Universität Freiburg, um einen Prototypen des „Golden Rice“ herzustellen, der zusätzliche Gene aus der Narzisse und dem Bakterium Erwinia uredovora enthielt, die es dem Reis ermöglichten, β-Carotin im Reiskorn zu synthetisieren. In neueren Varianten wurden nicht benötigte Gene wieder entfernt (Golden Rice 1) und das Gen aus der Narzisse durch das entsprechende leistungsfähigere Gen aus Mais ersetzt (Golden Rice 2). Insgesamt enthält der Golden Rice nur zwei zusätzliche Gene aus Fremdorganismen, denn Gene aus dem Organismus selbst werden dafür nicht verwendet, solange man die genauen Regulationsmechanismen, d.h. in diesem Fall die Abschaltvorgänge im Reiskorn noch nicht herausgefunden hat. Im Prinzip hat man aber nur einen Stoffwechselvorgang wieder in Gang gesetzt, der normalerweise in der Reispflanze abläuft, nur im Reiskorn standardmäßig inkativ ist.
Im Nachhinein stellte sich das allerdings als das Einfachste am ganzen Projekt heraus. Denn einen genetisch veränderten Organismus auf den Markt zu bringen und im Freiland anzubauen ist mit erheblichen Hürden verbunden. Der Reis muss z. B. für unbedenklich erklärt werden, denn die genetische Modifikation könnte schädlich für Mensch und Umwelt sein, für die Herstellung wurden Patente verwendet, die nachträglich Kosten verursachen, von weiteren bürokratischen und gesetzlichen Vorschriften gar nicht erst zu sprechen. Potrykus und Beyer ließen sich zunächst ihren Reis patentieren und verkauften das Patent an die Firma Zeneca (jetzt Syngenta). In Kooperation mit dieser Firma sollte das Projekt weiterentwickelt werden. Um dem humanitären Zweck weiter dienlich zu sein, sollte der „Golden Rice“, so er denn angebaut wurde, nicht mehr als 10.000 Dollar Profit pro Jahr einbringen, ausschließlich in Entwicklungsländern angebaut werden und von dort nicht exportiert werden. Während der Weiterentwicklung und Lizenzierung wurden u.a. Marker und Antibiotikaresistenzen wieder entfernt, die für die ursprüngliche Herstellung benötigt worden waren. All diese Anforderungen verzögerten schon allein die Feldversuche um Jahre.
„Umweltaktivisten aller Länder, vereinigt euch. Ihr habt nichts zu verlieren außer eure Ketten. Und die Bäume, an die ihr euch festgemacht habt.” – Rainbow Warrior of the World [1]
Als Endgegner zu diesem Projekt stellte sich jedoch Greenpeace heraus. Großflächig wurden Bedenken in der Bevölkerung gegen genetisch veränderte Organismen im Allgemeinen und „Golden Rice“ im Besonderen geschürt. [2] Die von Seiten der Gegner vorgebrachten Argumente, die sich teilweise auf der Ebene „na, dann sollen sie doch richtiges Gemüse anpflanzen“ bewegten, konnten zwar weitestgehend entkräftet werden, sorgten aber für eine Restskepsis gegenüber dem „Golden Rice“. Auf der anderen Seite haben sich die Durchführenden des Golden-Rice-Projekts auch keinen Gefallen damit getan, in China eine Studie zur Vitamin-A-Versorgung durch den „Golden Rice“ nicht entlang der geltenden Ethikrichtlinien durchzuführen. Die Studie zeigte zwar erwartbar keine negativen Folgen des Verzehrs, da es auch eher schwierig ist, eine Vitamin A-Überdosis herbeizuführen, denn überschüssige Retinoide werden in die Haut eingelagert und negative Effekte wurden bisher nur im Tierversuch beobachtet, aber trotz allem hätte eine vollständige Dokumentation der Probandenaufklärung vorliegen müssen. Greenpeace nahm die Studie zum Anlass, ihren Bedenken mehr Gewicht zu geben. Ingo Potrykus zeigte sich enttäuscht über diese Einstellung und vertritt die Meinung, dass man die Verzögerung der Einführung seiner Erfindung in Menschenleben bezahlt.
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