Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 257: Können Monde Monde haben?
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um die Hill-Sphäre. Weil das aber nicht so aufregend klingt habe ich der Episode einen anderen Titel gegeben: Können Monde Monde haben? Das ist genau eine von den Fragen die man sich so gut wie nie stellt – aber stellen sollte! Denn die Antwort führt zu jeder Menge interessanter Astronomie.
Wenn wir an einen Mond denken, dann haben wir meistens ein ziemlich klares Bild im Kopf. Vermutlich ist es das Bild DES Mondes; also des Himmelskörpers der unsere Erde umkreist. Die anderen Planeten unseres Sonnensystems haben aber – mit Ausnahme von Merkur und Venus – ebenfalls Monde, wie ich in den Folgen 15 und 16 schon erklärt habe. Aus astronomischer Sicht ist die Sache allerdings gar nicht so klar wie man denken würde. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit war ja noch nicht einmal ordentlich definiert was das Wort “Planet” bedeutet. Das hat man erst 2006 getan, wie ich in Folge 90 schon ausführlich erzählt habe. Aber das Wort “Mond” ist immer noch ohne offizielle Definition.
Wir müssen also bei dem bleiben was wir intuitiv darunter verstehen. Ein Mond ist ein Himmelskörper der einen Planeten umkreist. Und wir können uns vermutlich auch darauf einigen dass dieser Himmelskörper nicht allzu klein sein darf. Der Saturn beispielsweise wird nicht nur von mehr als 60 bekannten Monden umkreist sondern auch von unzähligen größeren und kleinen Eis- und Gesteinsbrocken die seine Ringe bilden. Aber vermutlich würde niemand auf die Idee kommen all diese Millionen an Teilchen als “Monde” zu bezeichnen. Wo genau die Grenze zwischen “Mond” und “Kleinkram der zwar auch einen Planeten umkreist aber nicht unbedingt ‘Mond’ genannt werden sollte” zu ziehen ist, ist natürlich unklar. Vermutlich macht es auch gar keinen Sinn eine fixe Grenze zu ziehen. Es gibt ja auch keine fixe Grenze zwischen Asteroiden, Zwergplaneten, Planeten, braunen Zwergen und Sterne. All diese Himmelskörper stellen eher eine Art Kontinuum dar dem wir aus unserem menschlichen Kategorisierungsdrang halt ein paar fixe Gruppen aufgezwungen haben.
Aber egal: Wir stellen uns unter einem Mond im folgenden einfach einen ausreichend großen Himmelskörper vor der einen Planeten umkreist. Und dann lautet die nächste Frage natürlich: Unter welchen Umständen ist es überhaupt angebracht von “umkreisen” zu sprechen? Denn die Gravitationskraft wirkt immer in alle Richtungen. Der (Erd)Mond wird von der Erde angezogen weswegen er sich um die Erde herum bewegt. Aber der Mond zieht auch die Erde an, nur halt eben wesentlich schwächer weil er weniger Masse hat. Im Endeffekt umkreist hier nicht ein Objekt das andere – sondern beide umkreisen ihren gemeinsamen Massenmittelpunkt.
Wir können uns eine riesige Balkenwaage vorstellen: In der einen Waagschale liegt die Erde; in der anderen Mond und der ganze Balken ist knapp 400.000 Kilometer lang; reicht also von der Erde bis zum Mond. Würde sich der Drehpunkt des Balkens genau in der Mitte zwischen Erde und Mond befinden, dann würde natürlich die Waagschale mit der Erde sofort nach unten sinken weil die Erde viel schwerer ist (Und ja, ich weiß dass das so nicht funktioniert weil es ja Gravitation braucht damit irgendwas in der Waagschale nach unten sinkt und es gibt in unserem Gedankenexperiment nichts was diese Gravitationskraft ausübt. Aber es ist ja nur ein Gedankenexperiment!). Die Erde ist 81 Mal schwerer als der Mond – insgesamt wiegen die beiden Himmelskörper also 82 Mondmassen. Wir müssten also den Abstand zwischen Erde und Mond nehmen, ein Zweiundachtzigstel dieses Abstands berechnen und den Drehpunkt genau in dieser Distanz vom schwereren Körper, also der Erde platzieren. Dann wäre die Waage im Gleichgewicht und dieser Punkt wäre auch der Massenmittelpunkt des Erde-Mond-Systems.
Führt man die entsprechende Rechnung durch dann sieht man, dass dieser Punkt genau 4700 Kilometer vom Mittelpunkt der Erde entfernt liegt. Oder anders gesagt: Er befindet sich 1700 Kilometer unter der Erdoberfläche. Dieser Punkt im Inneren der Erde wird also sowohl von der Erde als auch vom Mond umkreist. In der Praxis führt das dazu dass die Erde ein wenig hin und her wackelt während der Mond sich tatsächlich um die Erde herum bewegt. Bei anderen Himmelskörpern ist das aber nicht so. Wenn wir den Zwergplanet Pluto betrachten dann heißt es im Allgemeinen dass er von seinem Mond Charon umkreist wird. Pluto hat aber nur knapp die 8fache Masse von Charon. Und der Massenmittelpunkt des Pluto-Charon-Systems liegt 1200 Kilometer außerhalb von Plutos Oberfläche. In diesem Fall wird Pluto nicht von Charon umkreist sondern beide bewegen sich tatsächlich um einen Punkt herum der zwischen ihnen im Weltall liegt.
Aber tun wir mal so als würde es diese Komplikation nicht geben. Wir haben nämlich noch genug andere Komplikationen mit denen wir uns beschäftigen müssen. Zum Beispiel der Sonne: Während die Gravitationskraft der Erde unseren Mond auf seine Bahn um den Planeten herum zwingt ist da ja auch noch die Sonne! Die hat viel mehr Masse als die Erde, ist aber aus Sicht des Mondes auch viel weiter weg. Auch die Sonne zieht mit ihrer Gravitationskraft am Mond; aber nicht stark genug um ihn vom Einfluss der Erde befreien zu können. Wäre der Mond weiter von der Erde entfernt, dann wäre der Einfluss unseres Planeten schwächer und der der Sonne stärker. Irgendwann wäre der Punkt erreicht an dem es nicht mehr für eine Umkreisung der Erde reicht und der Mond unabhängig von ihr um die Sonne kreisen würde.
Und damit sind wir bei der Hill-Sphäre! Sie hat ihren Namen vom amerikanischen Mathematiker George William Hill der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts intensiv mit der Bewegung von Himmelskörpern beschäftigt hat. Ein Resultat dieser Arbeit war eine Formel mit der sich quasi der gravitative Einflussbereich eines Himmelskörpers beschreiben lässt. Die Hill-Sphäre umfasst die Umgebung eines Körpers in der dessen Gravitationskräfte stärker ist als die eines anderen Körpers mit größerer Masse. Oder, um es etwas klarer auszudrücken: Die Hill-Sphäre der Erde ist genau die Region in der die Anziehungskraft der Erde stärkeren Einfluss ausübt als die Anziehungskraft der Sonne. Die Grenze dieser Region hängt natürlich von den Massen der Erde und der Sonne ab aber auch von der Zentrifugalkraft die von der Bewegung der Erde um die Sonne herrührt.
Im Fall der Erde beträgt der Radius der Hill-Sphäre ungefähr 1,5 Millionen Kilometer. Der Mond ist knapp 400.000 Kilometer von der Erde entfernt; liegt also noch weit innerhalb der Hill-Sphäre. Wenn wir nun wissen wollen ob auch der Mond selbst einen Mond haben könnte, dann müssen wir nur die Hill-Sphäre des Mondes berechnen. Also die Region um den Mond rund herum wo seine Anziehungskraft die der Erde überwiegt. Der entsprechende Abstand beträgt ungefähr 60.000 Kilometer. Das muss aber trotzdem nicht zwangsläufig bedeuten das jeder Himmelskörper der sich weniger als 60.000 Kilometer vom Mond entfernt befindet automatisch auch um den Mond herum kreist.
Denn im Endeffekt geht es bei dieser Frage ja um die gravitative Anziehungskraft zwischen drei Körpern. Und wie ich in Folge 175 der Sternengeschichten schon erklärt habe, lässt sich dieses Dreikörperproblem mathematisch nicht exakt lösen. Die Berechnung der Hill-Sphäre ist also immer nur eine Näherungslösung. Ein Mond der den Mond umkreist – wäre das dann ein Mondmond? – wäre nicht lange stabil. Seine Umlaufbahn würde schnell gestört, auch durch die Gezeitenkräfte und nach ein paar hunderttausend Jahren würde der Mondmond mit dem Mond zusammenstoßen. Dort wo Planeten weiter weg von der Sonne sind ist die Sache einfacher. Neptun zum Beispiel ist selbst vergleichsweise massereich und die Sonne ist weit weg. Er kann seine Umgebung viel einfacher gravitativ dominieren als die kleine und sonnennahe Erde. Die Hill-Sphäre des Neptun ist riesig und seine Monde können ihn auch noch in großer Entfernung umkreisen. Und wenn die Monde weit weg von Neptun sind, dann können auch deren Hill-Sphären groß genug sein um stabile Umlaufbahnen für Mondmonde zu ermöglichen. Aber auch das ist nur Theorie – bis jetzt haben wir auch bei Neptun keine Monde entdeckt die Monde umkreisen.
Übrigens: Was für Monde und Planeten gilt, gilt auch für Menschen und Raumschiffe. Jeder Körper hat eine Hill-Sphäre, auch ein Space Shuttle oder eine Sojus-Kapsel. Dass hier ein Astronaut aber “Mond” spielt wird trotzdem nicht vorkommen. Denn die Hill-Sphäre eines Space-Shuttles ist in der Nähe der Erde nur 1,2 Meter groß und damit deutlich kleiner als das Shuttle selbst. Da müsste das Raumschiff schon weit hinaus ins All und weit weg von allen anderen großen Massen fliegen damit ein Astronaut es wie ein Mond umkreisen könnte.
Rein astronomisch und physikalisch spricht nichts gegen Monde die Monde haben. Im Universum umkreisen sich jede Menge Dinge. Wir haben Planeten die Sterne umkreisen; wir haben Sterne die andere Sterne umkreisen; es gibt Galaxien die einander umkreisen; es gibt Asteroiden die von kleineren Asteroiden umkreist werden, und so weiter. Warum soll da nicht auch mal ein Mond einen anderen Mond umkreisen, die beide einen Planeten umkreisen der einen Stern umkreist? Und ich bin mir sicher, dass wir so etwas früher oder später auch entdecken werden. In unserem Sonnensystem oder irgendwo anders – aber es würde mich sehr überraschen wenn so eine Konstellation nicht irgendwo da draußen existieren würde!
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