Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 264: Der Asteroid Phaethon
Am 11. Oktober 1983 untersuchte die Astronomen Simon Green und John Davies Aufnahmen die der Satellit IRAS gemacht hatte. IRAS steht für “Infrared Astronomical Satellite” und wenn dieser Name auch eher unoriginell ist, so beschreibt er doch ziemlich gut den Zweck dieses Geräts. Es war der erste Satellit, der das Universum im Infrarotlicht kartografieren sollte. Der größte Teil der Infrarotstrahlung kann die Atmosphäre der Erde nicht durchdringen; will man sie beobachten dann braucht man ein Teleskop im Weltall. Um diese Datenlücke zu schließen schickten die USA, die Niederlande und Großbritannien 1983 IRAS ins All. Um einen Katalog der Infrarotquellen zu erstellen, beobachtete IRAS die selben Regionen des Himmels mehrmals. Und beim Vergleich dieser Aufnahmen machten Green und Davies ihre Entdeckung.
Ein Stern oder eine Galaxie – beides übliche Quellen für Infrarotstrahlung – bewegen sich nicht am Himmel; zumindest nicht während der kurzen Zeit in der IRAS seine Aufnahmen machten. Aber ein Objekt hatte sich am Himmel deutlich bewegt. Das konnte nur bedeuten dass es sich um ein vergleichsweise nahes Objekt handelt. Um keinen fernen Stern, sondern einen Himmelskörper in unserem Sonnensystem. Einen Asteroid.
Asteroiden hatte man 1983 natürlich schon jede Menge entdeckt. Aber dieser war der erste, der von einem Teleskop gefunden wurde, das sich im Weltall befand. Und noch dazu ein sehr interessanter Asteroid. Seine Bahn brachte ihn erstaunlich nahe an die Sonne heran. Am sonnennächsten Punkt ist er nur noch knapp 21 Millonen Kilometer entfernt. Das entspricht nur dem 15fachen Durchmesser der Sonne; der Asteroid kommt unserem Stern mehr als doppelt so nahe wie der sonnennächste Planet Merkur. Näher als all die anderen der großen Asteroiden deren Bahnen gut genug bekannt sind, um ihnen einen Namen zu geben. Einen Namen hat auch dieser Asteroid bekommen und er passt zu seiner speziellen Beziehung zur Sonne: Phaethon, nach dem Sohn des griechischen Sonnengottes Helios.
Dem griechischen Mythos nach, musste Helios seinem Sohn einen Wunsch gewähren. Phaethon wünscht sich, einmal selbst den Wagen zu lenken mit dem Helios Tag für Tag die Sonne über den Himmel transportierte. Es kam wie es kommen musste: Phaethon verlor die Kontrolle über den Wagen und die Katastrophe nahm ihren Lauf. Die Erde ging in Flammen auf, alles verbrennt, ganze Städte und Völker werden zerstört. Zeus muss eingreifen und zertrümmert den Wagen mit einem Blitz und Phaethon fällt tot zur Erde.
Beim realen Phaethon muss man sich allerdings vorerst keine Sorgen um katastrophale Zerstörung machen. Obwohl der Asteroid zu den “potenziell gefährlichen Asteroiden” gezählt wird. Zu dieser Gruppe gehören alle Asteroiden die größer als 100 bis 150 Meter sind und deren MOID mit der Erde kleiner als 7,5 Millionen Kilometer ist. Mit MOID ist dabei die “Minimum Orbit Intersection Distance” gemeint. Das ist nicht der minimale Abstand zwischen Erde und Asteroid an sich. Sondern der minimale Abstand zwischen den beiden Umlaufbahnen. Anders gesagt: Man betrachtet die Umlaufbahn der Erde und die Umlaufbahn des Asteroids, sucht die beiden Punkte dieser Bahnen die einander am nächsten liegen und bestimmt den Abstand. Das ist ein wichtiger Punkt: Eine MOID von 7,5 Millionen Kilometern bedeutet NICHT, dass sich die beiden Himmelskörper auch tatsächlich auf 7,5 Millionen Kilometer annähern. Sondern nur, dass die Umlaufbahnen das zumindest prinzipiell ermöglichen. Aber Erde und Asteroid erreichen nur dann den theoretisch möglichen Minimalabstand, wenn sie beide zur gleichen Zeit an den entsprechend einander am nächsten liegenden Punkten ihrer jeweiligen Umlaufbahnen sind. Und das kann lange dauern…
7,5 Millionen Kilometer ist auch ein ziemlich großer Abstand – das entspricht knapp dem 20fachen der Distanz zwischen Erde und Mond. Und auch das Größenlimit von 100 Metern ist recht weit gefasst. Ein 100 Meter großer Asteroid kann zwar durchaus lokale Zerstörung verursachen, aber keine globale. Wenn ein 100 Meter großes Objekt zum Beispiel in Australien einschlägt, wird man davon in Europa kaum etwas spüren. Nur weil ein Asteroid als “potenziell gefährlich” klassifiziert ist, folgt daraus also noch lange nicht dass man sich akut Sorgen machen muss. Es sind einfach nur all die Asteroiden die wir langfristig im Auge behalten sollten, da sie im Laufe der Jahrhunderte vielleicht wirklich einmal gefährlich werden könnten.
Phaethon ist derzeit jedenfalls weit davon entfernt der Erde zu nahe zu kommen. Seine MOID mit der Erde beträgt zwar “nur” 2,9 Millionen Kilometer – was aber immer noch mehr als der 7fache Abstand zwischen Erde und Mond ist. So nahe ist er der Erde aber schon lange nicht gekommen. Im Jahr 2007 kam er in 18 Millionen Kilometer Abstand vorbei. Am 16. Dezember 2017 betrug der Abstand zwischen Erde und Phaethon 10 Millionen Kilometer. Und erst bei der nächsten nahen Begegnung im Jahr 2093 wird er sich der minimal möglichen Distanz von 2,9 Millionen Kilometer annähern. Wir müssen uns also keinerlei Sorgen machen, von Phaethon getroffen zu werden. Zum Glück – denn der Asteroid hat einen Durchmesser von 5 Kilometer! So ein großes Objekt würde bei einer Kollision definitiv eine globale Katastrophe verursachen; vergleichbar mit dem Massensterben das vor 65 Millionen Jahren beim Einschlag eines Kometen ausgelöst wurde, und zum Aussterben der Dinosaurier geführt hat.
Um Phaethon müssen wir uns keine Sorgen machen. Wir studieren ihn lieber – und da gibt es jede Menge zu sehen. Jedes Jahr im Dezember kann man ihn klaren Nächten den Sternschnuppenschauer der Geminiden sehen. Um den 14. Dezember herum sausen Sternschnuppen über den Himmel, die aus dem Sternbild Zwillinge zu kommen scheinen. Normalerweise sind die Verursacher dieser Meteorströme Kometen. Bei ihrem Flug um die Sonne ziehen sie eine Spur aus Staub hinter sich her und wenn die Erde diese Spur kreuzt gibt es verstärkte Sternschnuppenaktivität. Kometen sind ideale Staubproduzenten, weil sie viel Eis enthalten, das auftaut wenn sie sich der Sonne nähern. Dann wird es gasförmig, entweicht und reist dabei Gestein und Staub von der Oberfläche des Kometen mit sich.
Bei vielen Sternschnuppenschauern konnten die sie verursachenden Kometen identifiziert werden. Nicht aber bei den Geminidien. Hier hat man Phaethon als Verursacher in Verdacht. Asteroiden enthalten normalerweise viel zu wenig Eis als dass sie ausreichend große Mengen an Staub für einen Sternschnuppenschauer produzieren können. Phaethons Umlaufbahn passt aber so gut zu den Geminiden, dass eine Verbindung sehr wahrscheinlich erscheint. Wie Phaethon es genau schafft, den Staub ins All zu befördern ist aber noch unklar. Untersuchungen zeigen, dass seine Oberfläche aus festem Gestein besteht. Im Gegensatz zu vielen anderen Asteroiden deren Oberflächenmaterial eher locker ist und die man besser als “fliegende Geröllhaufen” beschreiben könnte, sieht Phaethon auf den ersten Blick nicht so aus als wäre er in der Lage für Sternschnuppen zu sorgen.
Man vermutet, dass Phaethon vielleicht nur ein Bruchstück eines ursprünglich größeren Objekts war. Und dass beim Auseinanderbrechen dieses größeren Dings entsprechend viel Geröll und Staub erzeugt wurde um so den Geminiden-Sternschnuppenschauer erklären zu können. Andere Astronomen vermuten, dass auch seine extreme Annäherung an die Sonne etwas damit zu tun haben könnte. So wie starke Hitze Risse im Erdboden oder beispielsweise dem Lehm ausgetrockneter Flussbetten erzeugt, könnte die starke Wärme der Sonne die Phaethon bei seinen Vorbeiflügen spürt dazu führen, dass sich Risse in seiner Oberfläche bilden aus denen Staub entkommen kann.
Phaethon bleibt ein faszinierender Himmelskörper. Seine relative Nähe zur Erde macht ihn zu einem guten Studienobjekt und früher oder später werden wir seine Geheimnisse sicher noch herausfinden. Und bis dahin schauen wir uns einfach jedes Jahr im Dezember die Sternschnuppen an, die er verursacht. Vermutlich.
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