Wissenschaft lebt von der Kontroverse. Man muss ab und zu auch mal anderer Meinung sein und diskutieren, sonst gibt es keinen Fortschritt. Deswegen gibt es ab heute eine neue Reihe hier im Blog: „Pro und Contra“. Und man kann bei jeder Menge Dinge dafür oder dagegen sein. Nicht, was die Fakten angeht. Aber Wissenschaft ist mehr als nur reine Fakten. Es gibt genug andere Dinge, die nicht zwangsläufig richtig oder falsch sind. Wo die eine Meinung ebenso interessant und potentiell vernünftig sein kann wie die andere. Das sind auch genau die Themen, bei denen eine sinnvolle Diskussion lohnenswert ist. Und genau solche Themen möchte ich in Zukunft immer wieder mal hier im Blog besprechen.
Den Anfang macht der am 27. Januar 2018 in Wien stattfindende „Ball der Wissenschaften“. Zum vierten Mal wird auf diese ganz spezielle Weise Wissenschaft gefeiert und kommuniziert. Aber kann man das mit so einer Veranstaltung überhaupt vernünftig tun? Soll man es tun?
Die „Contra“-Stimme kommt in diesem Fall von Ruth Grützbauch (Astronomin und Wissenschaftskommunikatorin); der „Pro“-Teil des Arguments von mir. Und natürlich freuen wir uns beide auf viele interessante Pro- oder Contra-Meinungen aus der Leserschaft!
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Contra Ball der Wissenschaft
von Ruth Grützbauch
Wissenschaft ist ein trockenes Unterfangen. Spaß und Unterhaltung stehen hier nicht nur nicht im Vordergrund, sondern sind der emotionslosen Rationalität der wissenschaftlichen Methode doch im Grunde entgegengesetzt. Wissenschaft und Kultur sind die Gegenpole zwischen denen sich das Gewebe der Gesellschaft aufspannt. Beim Wort Wissenschaft denken die meisten automatisch an überbelichtete Labors, dicke Brillen und strenge Konzentration und, obwohl wir es in unserer vermeintlich gleichberechtigten Gesellschaft oft nicht wahrhaben wollen, an weiße Männer in weißen Kitteln. Das popularisierte Bild von Wissenschaftlern á la Big Bang Theorie zeigt uns – wenn auch in satirischer Überzeichnung – die allgegenwärtige soziale Unfähigkeit und “Awkwardness” der Charaktere.
Moment mal. Wirklich?
Gut, irgendwie wird da schon ein Körnchen Wahrheit dran sein, aber natürlich wissen die meisten Leute, dass es sich dabei um alte Stereotypen handelt.
Nicht um sonst sind Studierende als Party-Animals verschrien und ForscherInnen waren ja auch mal jung. Wissenschaft und Kultur sind nicht zwei Gegenpole sondern Schwestern, die Säulen unserer Zivilisation, die als progressive Kräfte die Entwicklung unserer Gesellschaft vorantreiben.
Doch wissen das auch tatsächlich die meisten Leute?
Vielleicht, aber auf jeden Fall gibt es hier Nachholbedarf. Darum ist es eine gute Idee, ein großes kulturelles Event zu organisieren, um zu zeigen dass Wissenschaft von echten Menschen betrieben wird, Menschen die eben nicht emotionslose Roboter sind sondern genauso gerne in guter Gesellschaft sind und mit Freunden ein rauschendes Fest feiern. Welche Art von Fest haben sich die Organisatoren ausgesucht? Eine Konzertreihe vielleicht mit innovativen Ansätzen in neuer Musik und Medien? Etwas mit Theater oder Ausdruckstanz, um den Spaß an der kreativen Energie in der Wissenschaft zu zelebrieren, wie etwa beim ersten „Dance your PhD“-Event in Wien?
Nein, einen Ball. Die Königin der konservativen Abendunterhaltung, vollständig mit Dresscode und Eröffnung von jungen Paaren in schwarz und weiß. Und wo findet dieser Ball statt? Im elfenbeinernen Festsaal des Wiener Rathauses, mit Prunk und Pomp und teuren Eintrittskarten.
Es scheint mir als wäre das Konzept eines Balls nur schwer mit den Grundsätzen der Wissenschaft vereinbar. Wissenschaft ist für alle da, der Zugang soll niederschwellig und inklusiv sein, nicht elitär. Ihre Essenz ist offen und progressiv, nicht konservativ, sie ist kreativ, innovativ und modern, nicht altbacken und traditionell.
Ein gutes Beispiel für einen progressiveren Zugang zur Verbindung von Wissenschaft und Kultur ist das Blue Dot Festival, dass seit 2 Jahren jeden Sommer im britischen Jodrell Bank rund um eins der größten Radioteleskope der Welt stattfindet. Es ist ein großes, dreitägiges Musikfestival mit Camping, Gummistiefeln und großen Headlinern, das zehntausende Besucher anzieht. Während der drei Festivaltage gibt es dann aber neben der Musik auch jede Menge Wissenschaft, die den Leuten quasi nebenbei untergejubelt wird. Das Angebot reicht von Vorträgen und Diskussionen über Shows und Workshops bis zu Mitmachversuchen für Kinder. Es vermittelt einen gewissen Coolness-Faktor genauso wie die Begeisterung für Wissenschaft und deren zentrale Rolle in unserer Kultur.
Der Ball versteht sich auch als Kontrapunkt zum rechtsradikalen Akademikerball und will so lobenswerterweise die Aufmerksamkeit von dieser fürchterlichen Veranstaltung abziehen. Dazu hätte aber ein offenerer Ansatz auch besser gepasst. Tradition ist schließlich die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.
Pro Ball der Wissenschaft
von Florian Freistetter
Die Wissenschaft muss raus! Hinaus in die Welt, denn die scheinbare Trennung zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft ist der Grund für so viele Probleme. Für das Misstrauen, das immer mehr Menschen den Ergebnissen der Forschung entgegenbringen. Für „Fake News“ und „Alternative Facts“. Für Irrationalität, Rückwärtsgewandheit, Esoterik, und so weiter. Die Wissenschaft muss raus in die Welt und in die Gesellschaft. Oder besser gesagt: Man muss den Leuten vermitteln, dass Wissenschaft schon längst und schon immer Teil der Welt und der Gesellschaft ist.
Wissenschaftler dürfen nicht nur die komischen Leuten sein, die in den Medien irgendwelche kaum verständlichen Sachen sagen. Nicht die Leute, die in Filmen und Romanen die Welt zerstören und auch nicht die Leute, die zwar eh irgendwie nett, aber auch enorm seltsam, freakig und sozial unfähig sind. Denn das sind sie nicht. Forscherinnen und Forscher sind ganz normale Menschen und haben ganz normale Interessen. In ihrem Privatleben tun sie ganz normale Dinge.
Die Vorurteile gegenüber der Wissenschaft und denen die sie betreiben werden so lange nicht verschwinden, so lange die Gesellschaft weiterhin das stereotypische Zerrbild von schlecht angezogenen Menschen im Laborkittel vor Augen hat, wenn sie an Wissenschaft denkt. Das Zerrbild von Menschen, die nicht wissen, wie sie sich in der Öffentlichkeit benehmen sollen und Panik kriegen, wenn sie am „normalen“ Leben teilnehmen sollen.
Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in Zeitungen, Blogs, Büchern oder Podcasts verständlich an die Öffentlichkeit vermittelt werden. Es ist aber ebenso wichtig, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch aktiv in der Öffentlichkeit präsent sind und ebenso aktiv mit der Öffentlichkeit kommunizieren.
Eine Veranstaltung wie der Ball der Wissenschaft tut genau das. Er wird von Forscherinnen und Forschern besucht, von Studierenden – aber genau so von allen anderen die Lust auf eine klassische Wiener Ballnacht haben. Dort wird das getan, was man eben auf einem Wiener Ball macht. Man tanzt, man isst und trinkt, man feiert. Aber während man das alles tut, gibt es gleichzeitig auch jede Menge über Wissenschaft (und die Wissenschaftler selbst) zu erfahren. Der Ball der Wissenschaft ist ebenso eine große Party, wie ein Instrument zur Wissenschaftskommunikation und zum Abbau von Vorurteilen.
Braucht es dazu aber wirklich so eine „schnöselige“ Veranstaltung wie einen Ball? Eine konservative Feier mit strikter Kleiderordnung, klassischer Musik und jahrzehntealten gesellschaftlichen Konventionen? Nein, die braucht es natürlich nicht. Man kann Wissenschaft auch anders unter die Menschen bringen; kann Vorurteile anders abbauen. Aber die Wissenschaft ist vielfältig und ebenso vielfältig sind (und müssen) die Wege sein, sie zu vermitteln. Denn auch die Menschen sind verschieden und wenn man alle erreichen will, sollte man alle Wege nutzen, die zur Verfügung stehen.
Manche Leute gehen gerne tanzen. Manchen setzen sich lieber in die Kneipe und trinken ein Bier. Für die einen gibt es „Science in the Pub“ (mittlerweile schon fast überall); für die anderen den Ball der Wissenschaft. Je mehr Wissenschaft draußen in der Welt ist, desto besser!
Und natürlich ist ein klassischer Wiener Ball eine traditionelle und konservative Veranstaltung wohingegen die Wissenschaft selbst eher liberal und progressiv ist. Aber einerseits kann man auch das nutzen, um Stereotype zu durchbrechen: Auch Wissenschaftler sind in der Lage, sich schick anzuziehen und gediegen zu feiern. Andererseits spiegelt das aber auch ein wenig die Wissenschaft selbst wieder: Ein äußerlich formaler Rahmen hinter dem eine faszinierende, bunte und vielfältige Welt zu entdecken ist.
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So oder so: Ruth und ich werden den Ball nächste Woche gemeinsam besuchen. Und dann vielleicht hier davon berichten, wie es uns gefallen (oder nicht gefallen) hat. Wenn ihr auch am Ball seid: Kommt doch vorbei und erklärt uns, warum wir Recht haben – oder nicht!
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