Es gibt zwei große Fragen! Ok, genau genommen gibt es einen ganzen Haufen große Fragen. Aber es gibt zwei, die für diesen Artikel hier relevant sind. Nämlich 1) Wie ist das Sonnensystem entstanden? Und 2) Ist es anders entstanden als andere Planetensystems?
Die kurze Antwort auf Frage 1) lautet: Früher mal war da eine große Wolke aus Gas und Staub, die unter ihrer eigenen Gravitationskraft kollabiert ist. So entstand die Sonne und aus dem restlichen Zeug der Wolke, das nicht zur Sonne wurde, entstanden die Planeten. Und auf Frage 2) antwortet man: Im großen und ganzen wahrscheinlich nicht.
Aber in der Astronomie will man so etwas natürlich genauer wissen. Und natürlich wissen wir auch viel genauer, wie der Prozess abgelaufen ist, der aus der großen Wolke zuerst die Sonne und dann die Planeten entstehen ließ. Viele Details sind aber noch offen – unter anderem diejenigen, die mit der Frage 2) in Verbindung stehen. Im großen und ganzen sind auch die anderen Sterne und ihre Planeten so entstanden wie unser Sonnensystem. Auch hier sind Staub- und Gaswolken kollabiert und haben sich zu Sternen und Planeten verdichtet. Aber die Planetensysteme die wir bis jetzt beobachtet haben, sind keine exakten Kopien des Sonnensystems. Es muss also Unterschiede in den Abläufen geben und die würden die Astronomen gerne verstehen. Und dazu verwenden sie Schwefel!
Es ist natürlich knifflig. Einerseits können wir nicht in die Vergangenheit schauen und beobachten, wie sich vor 4,5 Milliarden Jahren Sonne und Planeten gebildet haben. Andererseits können wir auch nicht zusehen, wie andere Planetensysteme entstehen. Aber das stimmt nicht ganz. Denn wir haben Informationen über das Material, das damals vorhanden war, bevor sich Planeten gebildet haben. Wir finden es noch heute in Form von Asteroiden und Kometen: Sie sind das übrig gebliebene Baumaterial aus der Zeit der Planetenentstehung und es hat sich seit damals kaum verändert. Und noch besser: Vor ein paar Jahren haben wir eine Raumsonde auf einem Kometen gelandet (bzw. eigentlich sogar zwei Raumsonden) und direkt vor Ort Messungen angestellt. Wir haben darüber hinaus auch Teleskope, die in der Lage sind, die Staub- und Gasscheiben um andere, gerade in Entstehung begriffene Planetensysteme, zu beobachten und chemisch zu analysieren. Und wenn man diese beiden Informationsquellen kombiniert, kann man interessante Ergebnisse erhalten.
Genau das haben Maria Drozdovskaya von der Universität Basel und ihre Kollegen getan (“The ALMA-PILS survey: The sulphur connection between protostars and comets: IRAS 16293-2422 B and 67P/Churyumov-Gerasimenko”). Sie haben das ALMA-Mikrowellen-Teleskop der Europäischen Südsternwarte in Chile benutzt, um den jungen Protostern IRAS 16293-2422 B zu beobachten. Dieser Stern (beziehungsweise dieser Teil eines Doppelsterns) ist schon öfter das Ziel der Astronomen gewesen. 2012 hat man dort Zuckermoleküle entdeckt (ich habe hier darüber berichtet und dort auch erklärt, wie man mit Mikrowellenstrahlung Moleküle beobachten kann). 2017 hat man dort große Mengen des giftigen Moleküls Methylisocyanat gefunden. Und Anfang des Jahres Chlormethan nachgewiesen. All diese Moleküle (man hat dort noch viel mehr gefunden) sind interessant, wenn man die Chemie eines entstehenden Planetensystems verstehen will. Und vor allem, wenn man wissen will, was später auf den jungen Planeten alles abgehen könnte. Viele der komplexen Moleküle in der Staub- und Gasscheibe von Protosternen wie IRAS 16293-2422 B sind Vorläufer für die chemischen Vorgänge, aus denen sich später einmal Leben entwickeln kann. Wenn die Bedingungen bei der Entstehung des Planetensystems also so sind, dass sich all diese Bausteine des Lebens schon in Staub- und Gasscheibe bilden können, dann stehen die Chancen gut, dass sie auch auf den Planeten selbst vorhanden sind.
Drozdovskaya und ihre Kollegen haben sich in ihrer Arbeit nun auf die schwefelhaltigen Moleküle konzentriert. Die sind vor allem deswegen interessant, weil sie uns etwas über die früheste Phase der Planetenentstehung sagen können. Es geht dabei vor allem um den Unterschied zwischen leicht flüchtigen und festen Bestandteilen der Staub- und Gasscheibe und der später daraus entstehenden Himmelskörper. Beobachtet man diffuse interstellare Wolken, dann findet man darin wesentlich mehr schwefelhaltige Moleküle als in den dichteren Kernen, aus denen Sterne und Planeten entstehen. Warum das so ist, ist noch nicht ganz verstanden, aber die Astronomen sind fest entschlossen, es heraus zu finden.
Drozdovskaya und ihre Kollegen haben mit ALMA einen ganzen Schwung schwefelhaltiger Moleküle entdeckt. Bei ihrer Analyse haben sie sich vor allem auf Schwefeloxid (SO), Schwefeldioxid (SO2), Schwefelwasserstoff (H2S) und Carbonylsulfid (OCS) konzentriert. All dieser schwefelige Kram konnte nicht nur bei IRAS 16293-2422 B nachgewiesen werden. Man hat diese Moleküle auch bei oben schon erwähnten Kometen entdeckt: 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, auf dem 2014 eine Sonde landete und der bis 2016 von der Rosetta-Sonde begleitet wurde. Der Vergleich zwischen Komet und Stern erlaubt Rückschlüsse auf die Bedingungen die zur Entstehungszeit des Sonnensystems geherrscht haben und die Unterschiede zum gerade in Entstehung begriffenen Planetensystem von IRAS 16293-2422 B.
Vergleicht man das Verhältnis von SO zu SO2, so findet man sowohl im Kometen als auch im fernen Stern annähernd gleiche Werte. Wenn wir davon ausgehen, dass die chemische Zusammensetzung des Kometen die Zusammensetzung der Staub- und Gasscheibe um die junge Sonne widerspiegelt, dann zeigt das, dass es durchaus Ähnlichkeiten in den dafür verantwortlichen Prozessen geben muss. Also der Art und Weise, wie der Stern mit seiner Strahlung die Verteilung von Atomen und Molekülen beeinflusst; wie Atome und Moleküle sich verbinden oder aufgespalten werden; wie Moleküle sich auf Staubkörnern sammeln; die Staubkörner zusammenklumpen, und so weiter. Andererseits hat man beim Verhältnis von OCS zu H2S große Unterschiede gemessen. Beim jungen Stern hat man deutlich mehr OCS als H2S gefunden; etwas, was man in unserem Sonnensystem so nicht festgestellt hat.
Was heißt das? Maria Drozdovskaya und ihre Kollegen vermuten, dass es etwas mit der UV-Strahlung zu tun hat. UV-Strahlung kann die Umwandlung von H2S zu OCS unterstützen. IRAS 16293-2422 B ist zwar ein ungefähr sonnenähnlicher Protostern – aber in der Nähe befindet sich noch ein weiterer Stern, der mit ihm ein Doppelsternsystem bildet. Der Abstand zwischen beiden Komponenten beträgt ungefähr 800 Astronomische Einheiten (also 800 Mal weiter entfernt als die Erde von der Sonne; ungefähr dort, wo sich bei uns die momentan fernsten bekannten Asteroiden befinden). Das ist schon ein Stück entfernt, aber der zweite Stern erzeugt trotzdem zusätzliche UV-Strahlung die es bei der Sonne – ein kosmisches Einzelkind – nicht gab.
Die UV-Strahlung, der ein gerade entstehendes Planetensystem ausgesetzt ist, hat also eventuell eine relevante Rolle für die sich dort entwickelnde Chemie. Und was die UV-Strahlung angeht, gibt es große Unterschiede in der Milchstraße. Unsere Sonne ist nicht Teil eines Doppelsternsystems (und damit in der Minderheit); andere Sterne gehören zu Drei-, Vier- oder Mehrfachsternsystemen. Manche Sterne sind Teil von Sternhaufen mit vielen nahen Nachbarn; andere sind weit entfernt von allen möglichen zusätzlichen UV-Quellen.
Die Arbeit von Maria Drozdovskaya und ihren Kollegen ist nur ein Anfang. Teleskope, mit denen wir die Chemie anderer Sterne im Detail beobachten können, gibt es noch nicht so viele. Und die Landung auf 67P/Tschurjumow-Gerassimenko war ebenfalls ein (vorerst) singuläres Ereignis. Es wird in Zukunft noch viel mehr Daten geben, die wir auswerten können. Irgendwann werden wir genauer verstehen, was damals im Detail passiert ist, als die Planeten des Sonnensystems entstanden sind. Und wir werden genauer verstehen, wie die Planeten anderer Sterne entstehen. Wir werden die Unterschiede in der Chemie verstehen und vielleicht auch verstehen, was dass für Auswirkungen auf die potentielle Entstehung von Leben haben kann. Dann wissen wir vielleicht auch, ob sich bei IRAS 16293-2422 B irgendwann Leben entwickeln kann (aber wenn, dann hat es vermutlich weniger Schnupfen als wir Menschen).
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