Heute geht es um Scheiben. Allerdings nicht um den Unsinn mit der flachen Erde. Sondern um das, was in der Frühphase bei der Entwicklung eines Planetensystems passiert. Wenn ein Stern aus einer großen Gas- und Staubwolke entsteht, dann bleibt normalerweise jede Menge Zeug übrig, das den jungen Stern in Form einer Scheibe umgibt. Aus diesen protoplanetaren Scheiben entstehen die Planeten. Später, wenn die Planeten entstanden sind, bleibt der “Bauschutt” übrig, also jede Menge Asteroiden und Kometen. Das nennt man dann eine Trümmerscheibe. Die Beobachtung sowohl von Trümmer- als auch von protoplanetaren Scheiben ist für die Astronomie enorm wichtig. Denn nur hier können wir direkt dabei zusehen, wie der komplizierte Prozess der Planetenentstehung abläuft. Bzw. können wir auch hier immer nur Schlaglichter auf diesen Prozess werfen; der ganze Vorgang dauert Millionen Jahre. Aber je mehr unterschiedliche Scheiben in unterschiedlichen Zuständen wir beobachten, desto vollständiger wird unser Bild.
Die erste (Trümmer)Scheibe haben wir 1984 beim Stern Beta Pictoris entdeckt. Beta Pictoris hat auch gezeigt, dass man durch eine Analyse der Staubverteilung sogar die Existenz von Planeten vorhersagen kann. Seit damals sind viele weitere Scheiben beobachtet worden – aber bei weitem nicht genug!
Vor allem Trümmerscheiben um M-Sterne sind schwer zu finden. Was schade ist, denn M-Sterne, also kleine, rot leuchtende Sterne, gehören zu den häufigsten Sternen im Universum und gerade dort erwartet man auch jede Menge zumindest potentiell erdähnliche Planeten zu finden. Damit Planeten entstehen, muss da zuerst aber mal eine Scheibe sein und wenn man die Scheiben sehen könnte, könnte man – wie bei Beta Pictoris – daraus die Existenz der Planeten ableiten. Wenn wir also nur wenig Trümmerscheiben um M-Zwerge entdecken, dann entweder, weil es wieder erwarten doch nur wenige davon gibt. Oder weil sie halt schwer zu entdecken sind.
Elena Sissa von der Sternwarte in Padua und ihre Kollegen haben nun aber genau so eine Trümmerscheibe entdeckt. Und eine ganz besondere noch dazu (“New disk discovered with VLT/SPHERE around the M star GSC 07396-00759” (pdf)). Es geht um den Stern mit dem schönen Namen GSC 07396-00759. Es handelt sich um einen jungen, knapp 24 Millionen Jahre alten roten Zwergstern, der sich etwa 240 Lichtjahre von uns entfernt befindet. Unmittelbar in der Nähe dieses Sterns befindet sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit der Doppelstern V4046 Sgr. Genauer gesagt: Die Existenz von V4046 Sgr ist unbestritten, aber es ist nicht ganz klar, ob der auch physisch mit GSC 07396-00759 zusammen ein Dreifachsystem bildet oder nicht. Aber alles was man bis jetzt weiß, deutet stark darauf hin.
Bei V4046 Sgr hat man schon früher eine Scheibe beobachtet; eine junge, protoplanetare Scheibe aus der immer noch Zeug auf den Stern fällt. Die Scheibe, die Sissa und ihre Kollegen nun bei GSC 07396-00759 entdeckt haben, ist aber ganz anders. Es ist, wie schon gesagt, eine Trümmerscheibe und die sind älter. Die gibt es erst, nachdem sich die protoplanetare Scheibe aufgelöst hat, die Planeten entstanden sind und von der Entstehungsphase übrig gebliebenen Asteroiden durch wechselseitige Kollisionen jede Menge interplanetaren Staub erzeugt haben. Denn genau dieser Staub ist es, den man direkt beobachten kann. Der Staub wird durch die Strahlung des Sterns erwärmt, gibt diese Wärme wieder ab und das kann mit Teleskopen beobachten. Und aus der Art und Zusammensetzung der Strahlung dann sogar berechnen, wie groß die Staubkörner sind und wie ihre chemische Zusammensetzung aussehen muss. Unter anderem dadurch kann man auch zwischen protoplanetaren und Trümmerscheiben unterscheiden, denn der Staub dort zeigt unterschiedliche physikalische und chemische Eigenschaften.
Der rote Zwerg hat also eine Trümmerscheibe, auf die wir von der Erde aus gesehen fast genau “edge on” blicken; also direkt auf deren Kante. Ihre Ausdehnung beträgt 70 Astronomische Einheiten – das entspricht dem 70fachen Abstand zwischen Erde und Sonne und damit in etwa dem Bereich, der bei uns von den Planeten und dem an die Planeten anschließenden Kuiper-Asteroidengürtel gefüllt wird. Die Entdeckung der Trümmerscheibe an sich ist schon eine coole Sache und ihre genauere Beobachtung wird uns in Zukunft vielleicht verraten, ob sich darin auch Planeten befinden. Aber wirklich faszinierend ist die Sache mit dem Doppelstern nebenan. Wenn GSC 07396-00759 und V4046 Sgr tatsächlich gemeinsam ein Dreifachsystem bilden, dann sollte man auch davon ausgehen, dass sie zur gleichen Zeit entstanden sind und die Entwicklung zeitlich vergleichbar abgelaufen ist.
Eine protoplanetare Scheibe und eine Trümmerscheibe stellen aber zwei ganz unterschiedliche Entwicklungsstadien eines Planetensystems dar. Es ist höchst überraschend, beide Zustände zur gleichen Zeit in einem einzigen Mehrfachsternsystem zu beobachten. Das ist in etwa so, als würde man einem Zwillingspaar vorgestellt, das aus einem Teenager und einem Baby besteht.
Vielleicht haben die beiden Sterne ja doch nichts miteinander zu tun (was aber jede Menge andere Beobachtung eben nahelegen). Vielleicht müssen wir aber die Vielfalt der Scheiben noch deutlich besser verstehen als bisher. Die Astronomie ist hier wieder einmal gleichzeitig faszinierend und frustrierend. Die Prozesse die wir verstehen wollen, dauern viel zu lange als das wir einfach dabei zusehen könnten. Bei uns im Sonnensystem sehen wir den Endzustand; anderswo im Universum können wir den Anfang beobachten. Wir haben nur Einzelbilder und müssen daraus irgendwie den kompletten “Film” zusammensetzen. Das Bild das uns V4046 Sgr und GSC 07396-00759 geliefert haben, scheint nicht zur bisherigen Handlung zu passen. Irgendwo in der Geschichte muss sich noch ein schöner Plot-Twist verbergen, denn die Astronomen hoffentlich bald finden werden!
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