Der Mai ist demnächst zu Ende. Morgen dürfen noch alle ihren Namenstag feiern, die Mechthild heißen und dann geht es los mit dem Juni. Mit dem Juni kommt der Sommer, mit dem Sommer der Sommerurlaub und damit die Suche nach der passenden Lektüre! Für die Buchempfehlungen des Mai habe ich daher ein paar schöne Bücher zusammengestellt, mit denen man die Ferienzeit wunderbar verbringen kann.
Das Universum ohne Plan
“The Universe versus Alex Woods” (auf deutsch: “Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat” von Gavin Extence hat mich wirklich beeindruckt. Das Buch beginnt mit dem jungen Alex Woods, der das unerhörte Pech hat, von einem Meteoriten am Kopf getroffen zu werden. Dieses absurde und unwahrscheinliche Ereignisse macht ihn nicht nur zu einer kleinen Berühmtheit, es hat auch gesundheitliche Folgen. Alex leidet an epileptischen Anfällen, die sein Leben wenig überraschend ziemlich durcheinander bringen und beeinflussen. Trotz des Meteoriten und des “Universums” im Titel hat das Buch allerdings nicht mit Astronomie zu tun (obwohl eine Astronomin eine kleine Nebenrolle spielt).
Das macht aber nicht unbedingt etwas aus; es gibt durchaus auch hervorragende Bücher ohne Astronomie und dieses gehört definitiv dazu. Alex’ Leben entwickelt sich aufgrund seiner Krankheit auf seine ganz eigene Art. Er wird zu einem Außenseiter und tut sich – mehr oder weniger durch Zufall – mit einem anderen Außenseiter zusammen. Ein älterer, alleinstehender und ziemlich verbitterter und menschenscheuer Nachbar wird zuerst ein vorsichtiger Freund und dann eine Bezugsperson der besonderen Art. Gemeinsam diskutieren sie über die Literatur von Kurt Vonnegut, den Glauben an Gott, das Leben an sich und die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Am Anfang ist das Buch noch ein wenig ein Entwicklungsroman; später wird es zu einer Art Roadmovie und dort spielt sich auch thematisch der größte Brocken des Buches ab: Die Frage nach der Souveränität über den eigenen Tod. Sterbehilfe ist in Großbritannien (wo der Roman spielt) genau so heftig umstritten wie in Deutschland oder Österreich. Ebenso umstritten in der Schweiz, wo sie aber legal möglich ist und dorthin reist – aus Gründen die ich jetzt nicht darlege um allzu viele Spoiler zu vermeiden – Alex.
“The Universe versus Alex Woods” gehört zu den wirklich guten Büchern die ich in diesem Jahr gelesen habe und es ist ein hervorragendes Buch, um es im Urlaub zu lesen. Trotz all der schweren Themen ist das Buch selbst niemals schwer. Es ist voll mit Humor, was die Handlung aber nicht weniger tiefgründig macht. Im Gegenteil: Der leichte Tonfall von Gavin Extence macht das Nachdenken über das, was Alex erlebt, viel einfacher und angenehmer. Ich kann das Buch auf jeden Fall empfehlen.
Die Eroberung der Alpen
Wenn sich im Sommer die Touristen aus aller Welt wieder auf den Weg in die Alpen machen, ist sicherlich den wenigsten bewusste, wie seltsam ihr Verhalten vor noch gar nicht allzu langer Zeit den meisten Menschen erschienen wäre. Die Berge der Alpen waren kein Ort, an dem man sich freiwillig begibt. Berge im Allgemeinen waren unheimliche, unfreundliche und unnötige Orte. Die Wildnis der hohen Gipfel war philosophisch und religiös unerwünscht und vernünftige Menschen hielten sich davon fern. Noch bis weit in die Neuzeit hinein vermutete man auf den hohen Bergen ernsthaft die Existenz von Drachen und anderen Monstern. Und wie diese Drachen schließlich getötet wurden: Davon erzählt Fergus Fleming in seinem Buch “Killing Dragons: The Conquest of the Alps” (auf deutsch: “Nach oben: Die ersten Eroberungen der Alpengipfel”) ganz wunderbar.
Zeitlich reicht das Buch von der frühen Neuzeit bis fast in die Gegenwart; der Fokus liegt aber auf dem Goldenen Zeitalter des Alpinismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Davor gab es auch immer wieder Menschen, die die Berge bestiegen. Aber das war quasi nur aus wissenschaftlichen Gründen “erlaubt”. Ohne ein Thermometer, ein Barometer oder andere Messgeräte auf Berge zu klettern galt als frivol und verrückt. Niemand hatte einfach nur so, aus Vergnügen oder Abenteuerlust auf Berggipfel zu steigen. Auf hohe Berge wie etwa den Mont Blanc zu steigen erschien damals sowieso als unmöglich. Erst als der Kristallsucher Jacques Balmart Ende des 18. Jahrhunderts mehr oder weniger zufällig auf über 4000 Meter übernachtete und überraschenderweise nicht starb, dachte man ernsthaft über die Besteigung des Gipfels nach. Wenn man also in solchen Höhen doch überleben konnte, dann konnte man auch bis ganz nach oben klettern. Was dann auch geschah. 1786 wurde der Mont Blanc erstmals bestiegen – aber das, was wir heute “Bergsteigen” nennen, gab es da noch lange nicht.
“In fact there was no word for mountaineers, and those few who did climb to any height were considered to fall within an unclassified species of idiot.”
schreibt Fleming recht treffend. So richtig los mit dem Gipfelsturm geht es dann erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Und überraschenderweise sind es fast ausschließlich die Briten, die sich auf die Gipfel der Alpen machen. Urlauber aus England schwärmen in die Berge der Schweiz. Bzw. zu den Bergen der Schweiz, denn auf die Gipfel klettern die wenigstens. Aber immer mehr tun es und sie tun es nun nicht mehr aus wissenschaftlichen Forscherdrang, sondern einfach nur um es zu tun. Es werden die ersten Alpinvereine gegründet und wohlhabende Briten verlassen jedes Jahr im Sommer ihre gut bezahlten Jobs, um in den Schweizer Bergen unter primitivsten Bedingungen zum Gipfel zu gelangen. Es gibt ein regelrechtes Wettrennen um die wichtigsten Berge; allen voran das Matterhorn.
All das beschreibt Fleming in seinem Buch enorm anschaulich, enorm informativ und mit Details, die die Lektüre wirklich eindringlich machen. All diese irren Briten, die sich ohne wirkliche Rücksicht auf ihr Leben (oder das ihrer Schweizer Bergführer) über die Gletscherspalten und in die Steilwände der Alpen werfen; all die Absurdität des Bergsteigens und die gleichzeitige Entwicklung des Tourismus – darüber sollte man auf jeden Fall mal gelesen haben. Ich war besonders überrascht, das einer der Pioniere des alpinen Bergsteigens der (damals) extrem prominente Physiker John Tyndall war, dem um ein Haar auch die Erstbesteigung des Matterhorns geglückt wäre.
“Killing Dragons” liest man am besten im gemütlichen Liegestuhl auf einer Hotelterrasse mit Blick auf die hohen Berge der Alpen. Die Beschreibung der Entbehrungen und Gefahren der ersten Bergsteiger in Flemings Buch sind so anschaulich, dass man sie nicht unbedingt aus erster Hand nachvollziehen muss 😉
Flitterwochen im Turm zu Babel
Wie ein Urlaub so richtig gewaltig schief gehen kann, kann man in “Senlin Ascends” (auf deutsch: “Im Turm”, erscheint August 2018) von Josiah Bancroft nachlesen. Der Lehrer Thomas Senlin und seine junge Ehefrau sind frisch verheiratet und auf dem Weg zum Turm von Babel, wo sie ihre Flitterwochen verbringen wollen. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft und bevor sie den Turm betreten können, verlieren sich die beiden im Menschengewimmel aus den Augen. Senlin macht sich auf die Suche nach seiner Frau und beginnt damit eine Odyssee, die zu beschreiben Josiah Bancroft drei ganze Bände benötigt.
Die Welt des Buches sieht ein wenig nach dem viktorianischen England aus; gemischt mit ein wenig Steam-Punk. Der Turm zu Babel steht allerdings auch dort mitten in der Wüste und gleich bei der Stadt Ur; ein “Sumer” gibt es auch. Inwiefern das aber mit den Orten unserer realen Geschichte zu tun hat wird – zumindest in den ersten beiden Bänden – nicht erklärt. Religion spielt in Bancrofts Buch auch absolut keine Rolle. Es war zwar niemand so genau, wer den Turm gebaut hat und warum. Aber irgendwelche religiösen Mythen tauchen nicht auf. Der Turm ist da und voller Menschen. Jedes Stockwerk beherbergt ein “Ringdom”, eine Art eigene politische Einheit. Manchmal eher monarchistisch regiert; manchmal komplett anarchisch und manchmal weiß niemand so genau, wer eigentlich zuständig ist. Was Thomas Senlin bei der Suche nach seiner Frau aber sehr schnell merkt: Der reale Turm hat nichts mit dem zu tun, was sein Reiseführer beschreibt. Und wenn man einmal drin ist, ist es erstaunlich schwer, ihn wieder zu verlassen. Nicht aus irgendwelchen mystischen Fantasy-Gründen; die Eingangstür verschwindet nicht oder so. Aber es gibt Regeln, die keiner so genau kennt und gegen die man nicht verstoßen sollte. Man kann aus seltsamen Gründen Schulden machen und schnell als Sklave des Turms enden. Und so weiter…
Die Babel-Bücher sind meine absolute Empfehlung für den Mai! Bancrofts Bücher gehören mit zu den originellsten Fantasy-Werken, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Obwohl “Fantasy” vielleicht das falsche Genre ist. Es gibt keine Magie, keine Elfen, Monster, usw. Es ist eine Steam-Punkwelt, mit Luftschiffen, die den Turm hoch und runter fahren; es gibt Dampfmaschinen mit mysteriösen Aufgaben (die sich im Laufe des Buches langsam klären) und vor allem gibt es jede Menge Rätsel, die Thomas Senlin auf der Suche nach seiner Frau lösen muss. Dass diese Suche nicht so einfach ist, kann man ruhig verraten – denn das ist von Anfang an klar. Während Senlin im ersten Band noch durch die ersten vier Stockwerke des Turms stolpert und die seltsamen und verstörenden Ringdoms dort erforscht, landet er im zweiten Band aus Gründen (die ich der Spoiler wegen verschweige) als Piratenkapitän auf einem Luftschiff und macht sich auf die Suche nach der seltsamen “Sphinx”, die irgendwo und überall im Hintergrund wirkt. Dieser zweite Band – “Arm of the Sphinx” – endet mit einem ziemlich fiesen Cliffhanger, der aber einige Rätsel immerhin auflöst. Allerdings genau so viele neue Fragen aufwirft und das Genre der Serie ein wenig in Richtung Science-Fiction zu verschieben scheint. Wie es aber wirklich weiter geht werden wir wohl erst im dritten Band – “The Hod King” – erfahren, der leider erst im Dezember 2018 erscheint.
Historisches Betrinken
Das eine oder andere alkoholische Getränk darf man sich im Urlaub natürlich auch mal genehmigen. Und dazu passt das kleine, wunderbare Buch “A Short History of Drunkenness” von Mark Forsyth. Angefangen vom ersten Menschen der vergorene Brotteig mit Wasser mischte bis hin zur Neuzeit stellt sich Forsyth die Frage: Wie haben sich unsere Vorfahren betrunken? Angenommen, man würde sich plötzlich mitten in Mesopotamien vor vielen tausend Jahren wiederfinden: Wo geht es zur nächsten Bar; was gibt es dort zu trinken und welche Dinge sollte man unbedingt vermeiden? Wie sah ein Wikingerbesäufnis aus; wie haben es die alten Griechen und Römer so richtig krachen lassen? Gab es im Wilden Westen tatsächlich nur Saloons mit Schwingtür und Whiskey? Warum trinken die Russen alle Wodka? Und wie haben es die Moslems angestellt, sich trotz der strengen Vorschriften ihrer Religion einen vernünftigen Rausch anzutrinken? Unter anderem, in dem sie während des Trinkens laut schreien und was das soll, könnt ihr am besten selbst nachlesen.
So köstlich wie bei der Lektüre dieses Buchs hab ich mich schon lang nicht mehr amüsiert. Schon gar nicht, wenn es um ein Sachbuch geht. Aber Forsyth hat nicht nur einen sehr witzigen Stil. Er schafft es auch, all die alten Texte die er als Quelle benutzt, so einzubauen und zu übersetzen, dass es sich nicht im mindestens wie langweilige historische Quellenarbeit anfühlt. Lest das Buch!
Das Universum für Eilige
Wer nur ganz wenig Zeit und ganz wenig Platz im Gepäck hat, der sollte das Buch “Das Universum für Eilige” (im Original: “Astrophysics for People in a Hurry: Essays on the Universe and Our Place Within It”) von Neil deGrasse Tyson einpacken. Wer mein Blog regelmäßig liest, dem muss man Tyson nicht mehr groß vorstellen. Wer mein Blog regelmäßig liest, wird allerdings in Tysons Buch auch keine großen Neuigkeiten über die Astronomie finden. Das macht aber nichts – auch das schon Bekannte kann man durchaus nochmal lesen.
So geht es zumindest mir: Auch wenn ich über ein Thema schon zehn Bücher gelesen habe, muss das elfte dazu noch lange nicht langweilig sein. Denn jeder Autor und jede Autorin wirft einen eigenen Blick auf das Universum und findet Dinge, die andere nicht gefunden haben. Das gilt auch für Tyson, der in seinem kurzen Buch diverse Essays und Kolumnen zusammenfasst. Wer einen schnellen Überblick über all das kriegen will, was zwischen dem Urknall und heute passiert ist und was sich im Universum für Sachen abspielen, der ist mit diesem Buch gut bedient. Und wie gesagt: Dafür ist in jedem Urlaubsgepäck Platz!
Was ich sonst noch gelesen habe
Bis jetzt hab ich alles gern gelesen, was Tad Williams geschrieben hat. Egal ob Science-Fiction oder Fantasy; seine Bücher sind immer packend und die Welten, die er schafft, so eindringlich, das man sie nach Ende der Lektüre nur ungern verlässt. Besonders ungern habe ich damals die Welt von “Osten Ard” verlassen, in der die Serie “Das Geheimnis der großen Schwerter” gespielt hat. Netterweise kann man jetzt dahin zurück kehren, denn Williams hat neue Bücher geschrieben, in der er die Handlung der damaligen Serie ein paar Jahrzehnte später wieder aufgreift. Momentan gibt es zwei Bände (bzw. eines im Original): “Die Hexenholzkrone 1: Der letzte König von Osten Ard 1” und “Die Hexenholzkrone 2: Der letzte König von Osten Ard 1” (im Original “The Witchwood Crown: Book One of The Last King of Osten Ard”). Wer die alte Serie nicht gelesen hat, wird vermutlich wenig mit der “Hexenholzkrone” anfangen können (obwohl es vermutlich möglich ist, sie isoliert zu lesen). Und wer Tad Williams schon kennt, dem muss ich seine Bücher nicht extra empfehlen.
Das wars für den Mai. Ich freu mich schon auf den Sommer und meinen Sommerurlaub. Ich hab mich noch nicht entschieden, welche Lektüre ich einpacken werde. Aber es wird sich sicherlich etwas passendes finden und ich freue mich wie immer über eure sommerlichen Buchempfehlungen!
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