“Losgelöster Stern rast auf unser Sonnensystem zu” (WebCite) und
“Rogue star heading towards Earth and will bring APOCALYPTIC asteroid shower” (WebCite)
Diese beiden Schlagzeilen stehen exemplarisch für jede Menge Artikel in der deutschsprachigen und internationalen Presse. Aufregung ist angebracht: Ein Stern rast auf das Sonnensystem zu. Jawohl! Er “rast”. Und er kommt früher als erwartet. Außerdem ist er “losgelöst”, was wohl heißt, das absolut nichts ihn zurück oder aufhalten kann. Danach “prallt” er auf das Sonnensystem. Ach ja – und den Weltuntergang löst er auch noch aus. Tja.
Momentan macht die Astronomie wieder Schlagzeilen. Allerdings nicht so wie es eigentlich angebracht wäre. Also mit vernünftiger Berichterstattung über interessante Forschungsergebnisse. Dazu bräuchte es ja Wissenschaftsjournalismus und wer braucht das schon! Nein, Panikmache, Clickbait und hysterische Schlagzeilen sind viel besser – das kann man auch in den sozialen Netzwerken viel besser verbreiten; das gibt viel mehr Aufmerksamkeit und Klicks die man den Werbekunden verkaufen kann.
Aber bevor ich jetzt weiter meckere: Um was geht es denn? Nun, die “Neuigkeiten” aus der Astronomie sind nicht so dramatisch neu, wie man denken würde. Es geht um den Stern “Gliese 710”. Der bewegt sich auf das Sonnensystem zu. Das weiß man allerdings schon seit einigen Jahrzehnten – seit der Astronom Wilhelm Gliese damals seinen Sternkatalog er- und festgestellt hatte, dass dieser Stern unserem Sonnensystem nahe kommen wird.
Daran ist erst mal nichts außergewöhnlich. Alle Sterne bewegen sich. Nicht nur um das Zentrum unserer Milchstraße herum, sondern auch mit einer “Eigenbewegung” quasi irgendwo hin. Und da kommt es halt auch immer mal vor, das zwei davon ein wenig näher aneinander vorbei fliegen. Momentan ist Proxima Centauri mit einer Entfernung von ein wenig mehr als 4 Lichtjahren der uns nächst gelegene Stern. In ein paar 10.000 Jahren wird das ein Stern namens “Ross 248” sein. Danach “Gliese 445”. Und so weiter. Aber “nahe” heißt in dem Zusammenhang: Ein paar Lichtjahre weit entfernt. Und Gliese 710? Kommt uns in circa 1,4 Millionen Jahre nahe.
Was ist jetzt neu an der ganzen Sache und verursacht die ganze Aufregung? Ein Fachartikel mit dem Titel “An independent confirmation of the future flyby of Gliese 710 to the solar system using Gaia DR2” der nicht mal eine Seite lang ist und dessen Inhalt schon im Titel vorweg genommen wird. Zwei Astronomen von der Universität Madrid haben die Sache mit der Annäherung nochmal neu berechnet und bestätigt. Dabei haben sie die Daten der GAIA-Mission berückichtigt, die viel besser und genauer die Bewegung der Sterne unserer Milchstraße vermessen hat als je zuvor. Damit kommen sie auf ein Annäherungsdatum, dass ein wenig näher in der Zukunft liegt – 1,3 Millionen Jahre – und konnten auch die wahrscheinlich größte Annäherung an das Sonnensystem genauer berechnen als bisher. Die liegt bei 4300 Astrono mischen Einheiten. Das ist weit entfernt von der Sonne und der Erde; das ist weiter entfernt als alle bisher bekannten Himmelskörper des Sonnensystems. Das ist so weit entfernt, dass die Erde und die anderen Planeten des Sonnensystems dadurch nicht gestört werden. Es ist nahe genug, dass eventuell die Kometen der Oortschen Wolke gestört werden. Dann könnten ein paar von denen ins innere Sonnensystem gelangen und ein paar davon eventuell mit den Planeten dort kollidieren.
Oder nicht. Denn nur weil Kometen aus der Oortschen Wolke gestört werden, müssen die noch lange nicht auf der Erde landen. Und Gliese 710 könnte auch weiter entfernt am Sonnensystem vorbei ziehen. So exakt lässt sich die Bewegung eines Sterns über diese Zeiträume nämlich auch wieder nicht vorhersagen. Im Fachartikel selbst steht auch dass die maximale Annäherung 4300 Astronomische Einheiten betragen “könnte”; nicht dass das definitiv der Fall ist.
Zusammengefasst: Astronomen haben mit neuen Daten einen Befund bestätigt, der seit Jahrzehnten bekannt ist. Weder besteht eine akute Gefahr für die Erde, noch ist klar, das überhaupt irgendeine Gefahr besteht. An dieser Geschichte ist viel, das berichtenswert wäre. Man könnte davon erzählen, was wir dank der GAIA-Mission neues gelernt haben. Wie sich der Anblick unseres Nachthimmels im Laufe der nächsten Jahrmillionen verändern wird. Man könnte über die Dynamik der Milchstraße schreiben, über die Bedeutung von Sternkatalogen, und so weiter. Wie gesagt: Es gäbe jede Menge Gelegenheit für guten und interessanten Wissenschaftsjournalismus. Wenn denn da noch Leute wären, die sowas machen.
Ja, natürlich gibt es die spezialisierten Medien wie Spektrum der Wissenschaft oder bild der wissenschaft. Dort findet gute Arbeit statt. Aber das lesen die Leute, die auf so einen Panik-Clickbait eh nicht reinfallen. Ich würde mir vernünftige Berichterstattung über Astronomie auch in den anderen Medien wünschen. In den Tageszeitungen, in den Online-Redaktionen: Aber da wird mangels Wissenschaftsredaktion gar nicht über Astronomie berichtet oder nur sehr sporadisch und dann, wenn etwas passiert, was dann sowieso in allen Medien ist (Sonnenfinsternis, Start einer neuen Raumsonde, etc). Das Resultat: Die meisten Leute kriegen ihre “Informationen” über das Universum von Clickbait-Medien wie denen, die über den auf uns “zurasenden” Stern berichten und denen es nur um Hysterie, Drama und Klicks geht.
Man könnte fast froh darüber sein, dass die Wissenschaft in den meisten Redaktionen einen so geringen Stellenwert hat. Wenn ich mir denke, dass mit der Wissenschaftsberichterstattung das passiert, was derzeit in der Politikberichterstattung los ist – wo monothematisch fast ausschließlich über Flüchtende, den Islam und Terrorismus diskutiert wird – fängt es an mich zu gruseln.
P.S. Kann mir jemand erklären, was dieser Absatz in diesem Artikel (WebCite) bedeuten soll: “Gliese 701 ist ein „Rogue Star“. Solche Sterne sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich frei bewegen können, ohne dass sie durch die Schwerkraft ihres Systems aufgehalten würden.” Ich hab keine Ahnung, aus welcher Quelle diese astronomisch sinnlose Aneinanderreihung von Worten stammt…
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
Kommentare (27)