Ein großes Problem mit der Geschichte ist die Tatsache, das man immer erst hinterher weiß, was man früher falsch gemacht hat. Als man im Jahr 1801 einen bis dahin unbekannten Himmelskörper zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter entdeckte, nannte man ihn “Ceres” und bezeichnete ihn als “Planet”. Erst ein paar Jahrzehnte später konnte man sich zu der Erkenntnis durchringen, dass es sich nicht um einen Planeten handelte, sondern eine ganz neue Art von Himmelskörpern, nämlich das, was wir heute “Asteroiden” nennen. Den gleichen Fehler den man im 19. Jahrhundert gemacht hatte, machte man im 20. Jahrhundert noch einmal. Man fand einen Himmelskörper außerhalb der Neptunbahn, nannte ihn “Pluto” und führte ihn fortan als neunten Planet des Sonnensystems. Wieder dauerte es einige Jahrzehnte bis die Astronomen feststellten, dass auch hier die Klassifiktion als Asteroid wissenschaftlich deutlich sinnvoller ist.
Die Entscheidung, Pluto nicht mehr als “Planet” zu bezeichnen wurde im Jahr 2006 von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) bei ihrer damaligen Generalversammlung in Prag getroffen. Und sie gehört vermutlich zu den Aktionen der weltweiten Astronomenvereinigung, die in der Öffentlichkeit am meisten Aufsehen erregt hat. Mit ähnlich spektakulären Ereignissen ist bei der derzeit stattfindenen Generalversammlung in Wien allerdings nicht zu rechnen. Über fünf Resolutionen sollen die IAU-Mitgliedern am vorletzten Tag der Konferenz abstimmen. Heute Abend werden sie offiziell präsentiert: Eine beschäftigt sich mit dem “IAU Strategic Plan” für die Jahre 2020-2030. Darin wird festgelegt, was die IAU im nächsten Jahrzehnt so treibt und dementsprechen wichtig ist die Entscheidung für die Gesellschaft selbst. Die Öffentlichkeit wird sich aber eher nicht so sehr dafür interessieren; ebenso wenig wie für die zwei eher technischen Resolutionen, die sich mit der Definition astronomischer Koordinatensysteme beschäftigt. Außerdem zur Abstimmung kommt eine Empfehlung, sich verstärkt um die Aufbewahrung, Digitalisierung und wissenschaftliche Erforschung historischer Daten (alte Fotoplatten, Kataloge, und so weiter) zu kümmern.
“Resolution B4” betrifft dagegen wieder die Nomenklatur. So wie man damals 2006 beschlossen hatte, Pluto nicht mehr als “Planet” sondern als “Zwergplanet” zu bezeichnen, steht auch 2018 eine Namensänderung auf dem Programm. Beziehungsweise diesmal nur der Vorschlag einer Namensänderung. Es geht um das sogenannte “Hubble-Gesetz”. Damit wird eine fundamentale Eigenschaft unseres Universums beschrieben: Die Rate seiner gegenwärtigen Expansion. Wenn wir hinaus in den Kosmos schauen, dann sehen wir wie sich die fernen Galaxien von uns weg bewegen. Jede Galaxie entfernt sich von jeder anderen Galaxien (mit einigen Spezialfällen wo das nicht der Fall ist). Und zwar um so schneller, je weiter sie voneinander entfernt sind. Ich habe darüber anderswo schon mal mehr erzählt, aber diese Entdeckung durch den amerikanischen Astronomen Edwin Hubble zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen aller Zeiten. Der Kosmos ist nicht statisch, wie bis dahin eigentlich alle angenommen hatten, sondern dyamisch! Er dehnt sich aus; war früher kleiner als heute und wird in Zukunft größer sein als jetzt. Das bedeutete auch, das es einen Zeitpunkt in der Vergangenheit gegeben haben muss, in dem das Universum seinen Anfang gefunden hatte. Es musste das gegeben haben, was wir heute “Urknall” nennen. Die Entdeckung von Hubble – über die man hier mehr lesen kann – hat die Wissenschaft und unser Bild von der Welt revolutioniert.
Nur das eben nicht Edwin Hubble alleine war, der all das herausgefunden hat. Er hatte bei seinen Beobachtungen einen ganzen Schwung Mitarbeiter (bzw. waren diese “Mitarbeiter” oft die eigentlichen Beobachter). Aber von Vesto Slipher, Milton Humason & Co hört man heutzutage eher selten. So ungerecht ist die Geschichtsschreibung eben manchmal. Aber ein klein wenig mehr historische Gerechtigkeit soll durch die IAU Resolution B4 wieder hergestellt werden.
Der erste, der ein sich ausdehnendes Universum postulierte, das seinen Anfang an einem bestimmten Punkt in der Verangenheit hatte, war der belgische Astronom Georges Lemâitre. Er nutzte dazu Albert Einstein Relativitätstheorie leitete daraus ein sich ausdehnendes Universum ab (etwas was Einstein selbst nicht nur nicht getan sondern aus Prinzip abgelehnt hat). Lemâitre stellte fest, das in so einem Universum sich ferne Galaxien von uns weg bewegen müssen. Er sagte voraus, welche Resultate entsprechende Beobachtungen liefern sollten und glich das mit vorhandenen Beobachtungsdaten ab. Seine Veröffentlichung fand aber in einem eher obskuren Journal statt, das damals kaum jemand gelesen hatte weswegen seine Erkenntnisse von so gut wie allen Astronomen ignoriert wurden.
Erst 1928 – bei einer der ersten Generalversammlungen der IAU – trafen sich Lemâitre und Edwin Hubble und tauschten sich aus (obwohl man sich unter Historikern noch ein wenig streitet, ob das wirklich passiert ist). Ein Jahr später publizierte Hubble dann seine eigenen Beobachtungen; mit weiteren Daten die er 1931 über den Zusammenhang zwischen der Entfernung und der Geschwindigkeit von Galaxien veröffentlichte wurde daraus das “Hubble-Gesetz”.
Hubbles Beobachtungen waren es, die uns gezeigt haben, dass sich das Universum ausdehnt und das es das mit einer bestimmten Gesetzmäßigkeit tut. Aber schon vor Hubble hatte Lemâitre dieses Verhalten mathematisch beschrieben. Beide sollten entsprechend dafür geehrt werden und deswegen macht die IAU nun den Vorschlag, in Zukunft vom “Hubble-Lemâitre-Gesetz” zu sprechen, wenn man die Expansion des Universums beschreiben will.
Es würde mich überraschen, wenn die Abstimmung über diese Resolution ebenso umstritten abläuft wie damals die Debatte um Pluto. Es ist eine vernünftige Entscheidung; allerdings auch eine die die Öffentlichkeit vermutlich nicht ganz so stark beschäftigen wird. Aber vielleicht animiert die IAU-Resolution ja auch ein paar der Astronomen und Wissenschaftskommunikatoren in Zukunft etwas öfter über die historischen Hintergründe der Erforschung des Universums zu sprechen. Das kann nämlich nie schaden!
P.S. Damals (und heute immer noch) waren es ja vor allem die amerikanischen Astronomen die verärgert ob der vermeintlichen Ungerechtigkeit gegenüber Pluto waren. Immerhin war es der einzige “Planet” des Sonnensystems, der von einem amerikanischen Astronom entdeckt wurde. Und jetzt kommt die IAU um nach dem “amerikanischen Planeten” auch den berühmtesten amerikanischen Astronom einen Teil seines Ruhms abspenstig zu machen. Man könnte fast an eine Verschwörung glauben 😉
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