Die Internationale Astronomische Union (IAU) veranstaltet ja gerade in Wien die weltgrößte Astronomie-Konferenz. Im Rahmen dieser Veranstaltung wird auch das 100jährige Jubiläum der astronomischen Vereinigung gefeiert (obwohl der offizielle Geburtstag erst am 28. Juli 2019 stattfindet). Deswegen dreht sich ein Teil der Vorträge auf der Tagung auch um die Geschichte der Internationalen Astronomischen Union. Die Geschichte der IAU ist im Allgemeinen eher nur für Astronominnen und Astronomen interessant. Aber eine Entscheidung der Organisation ist auch in der Öffentlichkeit massiv diskutiert worden: Die Aberkennung des Planetenstatus für Pluto!
Das wurde 2006 bei der IAU-Generalversammlung in Prag beschlossen und Ron Ekers, damals Präsident der IAU, hat in seinem Vortrag in Wien ein wenig davon erzählt, wie das alles abgelaufen ist. Schon im Vorfeld war nämlich alles sehr kompliziert. Bei der Generalversammlung davor, 2003 in Sydney, hatte man zum Beispiel beschlossen, dass die individuellen Mitglieder (also die einzelnen Astronomen) kein Stimmrecht mehr haben, sondern nur noch die jeweiligen nationalen Komitees der Mitgliedsländer. Das hat sich allerdings schnell als nicht so gute Entscheidung herausgestellt und bevor man in Prag die teilnehmenden Astronomen über irgendwas abstimmen lassen konnte, musste man diese Sache erst einmal wieder rückgängig machen.
Aber dass man entscheiden musste, was man zukünftig unter dem Begriff “Planet” versteht, war klar. Ron Ekers weist auch zu Beginn noch einmal deutlich darauf hin, dass solche Entscheidungen durchaus wichtig sind. Wissenschaft ist ein internationales Unterfangen und braucht eine Sprache, die alle verstehen. Und vor allem eine Sprache, bei der alle sich einig darüber sind, was sie bedeutet. Deswegen muss man sich einigen, wie Dinge benannt werden. Und genau da ist man 2005 auf ein Problem gestoßen.
Da wurde ein Himmelskörper entdeckt, der damals die vorläufige Bezeichnung “2003 UB313” trug. Das Ding brauchte einen richtigen Namen – aber welchen? Die Konventionen der Namensgebung für astronomische Himmelskörper unterscheiden sich je nach Typ. Ein Asteroid muss anders benannt werden als ein Komet oder ein Planet. 2003 UB313 war (nach damaligen Wissensstand) nun größer als Pluto. Muss es daher selbst zwingend auch ein Planet sein? Oder ist es vielleicht ein sehr großer Asteroid? Immerhin hat es sich auf eine Art und Weise bewegt, die man eher von einem Asteroid erwarten würde. Und befand sich in einer Region voller Asteroiden. Was aber auch für Pluto zutraf. Kurz gesagt: Es musste eine Entscheidung getroffen werden. Man musste definieren was der Begriff “Planet” bedeutet und was nicht und die IAU hat ihre Abteilung für Planetensysteme gebeten, einen entsprechenden Vorschlag zu machen.
Die hat gleich drei Möglichkeiten für eine Definition geliefert. Erstens könnte man einfach sagen, das alles ein Planet ist, was mehr Masse als Pluto hat. Zweitens könnte man eine neue Definition aber auch auf der Art und Weise basieren, in der sich ein Himmelskörper bewegt. Oder aber man legt die Form zugrunde und definiert alles als Planet was ausreichend rund ist. Im ersten Fall wäre Pluto weiterhin ein Planet. Im zweiten Fall nicht. Und im dritten wäre nicht nur Pluto weiterhin ein Planet sondern man müsste noch jede Menge weitere Himmelskörper als Planet bezeichnen die bisher “Asteroid” genannt wurden.
Das hat die Sache also nicht weiter gebracht weswegen ein zweites “Planet Definition Committee” eingesetzt wurde. Hier hat die IAU sich dann aber zu einem interessanten und sehr wichtigen Schritt entschieden. Anstatt nur Wissenschaftler dafür einzusetzen, hat man nun auch Historiker, Wissenschaftsautoren und Lehrer inkludiert. Denn, das wurde langsam klar, die zu treffende Entscheidung war nicht nur eine rein wissenschaftliche sondern auch eine kulturelle, die die Gesellschaft betrifft und interessiert.
Das war auch ein Grund, weswegen die Angelegenheit im Vorfeld der Konferenz in Prag nicht groß öffentlich diskutiert wurde. Gerade weil es ein gesellschaftlich so relevantes Thema war, musste man mit jeder Menge medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit rechnen. Damit das Komitee seine Arbeit in Ruhe erledigen konnte, wurde die Entscheidung, eine neue Planetendefinition zu beschließen, erst am Tag der Konferenzeröffnung bekannt gegeben.
Aber nicht nur die Öffentlichkeit, auch die restlichen Mitglieder der IAU (also die bei der Konferenz anwesenden Astronomen) erfuhren erst am ersten Tag der Konferenz davon. Und wenig überraschend kam es schnell zu großen Diskussionen. Das Komitee wollt es simpel haben (weswegen sich der erste Vorschlag für die neue Definition zum Beispiel auch nur mit Planeten des Sonnensystems beschäftigte und nicht mit Planeten anderer Sterne); in der ersten Version der Neudefinition ging es im Wesentlichen nur um die Form des Planeten. Alles was ausreichen rund ist, ist ein Planet. Also nicht nur Pluto, sondern auch 2003 UB313 und ein Schwung anderer größerer Himmelskörper die bisher als Asteroiden klassifiziert worden sind. Den meisten Astronomen war das aber zu wenig. Man muss auch die Dynamik berücksichtigen; die Art und Weise wie sich ein Objekt bewegt. Die reflektiert auch die Art und Weise wieder, wie es entstanden ist und dieses Wissen ist fundamental wenn man verstehen will, worum es sich bei einem Himmelskörper handelt. Die Planetologen dagegen interessierte das eher nicht so sehr, für sie waren Form und Struktur viel wichtiger als die Dynamik.
Man war sich zwar noch nicht einig über eine neue Definition aber man war sich einig, das der vorhandene Vorschlag modifiziert werden musste. Das tat man, und man teilte die endgültige Resolution in vier einzelne Resolutionen auf. Das ganze Paket auf einmal abzustimmen erschien angesichts der Unstimmigkeiten nicht durchführbar.
Die erste Resolution (“5A”) ist die, die wir heute als neue “Planetendefinition” kennen: Ein Planet muss groß genug sein, um unter seinem eigenen Gewicht eine runde Form angenommen zu haben. Außerdem muss er einen entsprechenden Einfluss auf seine Umgebung ausgeübt haben, so dass seine Umlaufbahn frei von anderen Kleinkörpern ist. Das ist bei Pluto nicht der Fall, weswegen er – und auch das ist Teil der Resolution 5A – als “Zwergplanet” bezeichnet werden soll. Diese Resolution wurde mit einer bequemen Mehrheit angenommen.
Nicht aber Resolution 5B, laut der sowohl “klassische Planeten” als auch “Zwergplaneten” unter dem Begriff “Planeten” vereint werden sollten. Und weil diese Resolution abgelehnt wurde ist Pluto seit 15:34 MESZ am 24. August 2006 kein Planet mehr. In einer dritten Resolution wurde darüber abgestimmt eine neue Klasse von “Pluto-ähnlichen” Himmelskörpern zu schaffen und die wurde mit 237:157 Stimmen (bei 17 Enthaltungen) angenommen.
In der vierten Resolution schließlich ging es um den Namen dieser neuen Klasse. Der Vorschlag lautete “Plutons”. Dagegen legten die Geologen aber sofort Einspruch ein, weil dieser Begriff dort schon belegt war. Also nahm man “Plutonians”, was bei der Abstimmung knapp (183:186 Stimmen) verlor, unter andere weil es dem Wort “Plutonium” zu ähnlich war. Erst zwei Jahre später führte man den Begriff “Plutoide” ein (worüber ich damals in einem Blog berichtet habe und an dem Begriff jede Menge zu meckern fand).
Die Entscheidung der IAU verurschte jede Menge Medienecho. Aber sie klärte das Problem mit den Definitionen und der Weg war frei, um 2003 UB313 zu benennen (er bekam den Namen “Eris”). Die Aufregung um Pluto hatte auch zur Folge, das bei der Generalversammlung in Prag mehr als doppelt so viele Journalisten dabei waren als üblicherweise bei diesen Konferenzen. Die berichteten aber nicht nur über Pluto. Eine Auswertung der IAU-Pressestelle ergab, das auch der Rest der dort präsentierten astronomischen Forschung deutlich mehr Medienecho erfuhr als normalerweise.
Pluto ist seit dem auf jeden Fall nicht weniger faszinierend geworden. Eher nur noch mehr, vor allem seit er 2014 von der Raumsonde New Horizons besucht worden ist. Und irgendwann werden sich auch noch die paar Astronomen und anderen Pluto-Fans beruhigt haben, die dem verlorenen Planetenstatus immer noch nachtrauern. Es war eine gute Entscheidung die die IAU damals getroffen hat. Und es war sehr interessant, in diesem Vortrag noch einmal alle Hintergründe präsentiert zu bekommen. Es kommt selten vor, dass eine astronomische Diskussion so viel Resonanz in der Öffentlichkeit findet und es ist gut, wenn das alles vernünftig dokumentiert und für die Nachwelt eingeordnet wird.
P.S. Warum ich die Klasse der “Zwergplaneten” für komplett entbehrlich halte, habe ich übrigens hier und hier erklärt
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