Die letzten zwei Wochen habe ich auf der großen Astronomie-Konferenz in Wien verbracht und mich kaum mit den Dingen beschäftigt, die sonst noch so passiert sein. Deswegen kann ich mich auch jetzt erst einem wahren Paradebeispiel für meine Serie “Schlechte Schlagzeilen” widmen. Ausnahmsweise stammt sie nicht aus einer der einschlägigen Publikationen sondern vom eigentlich recht vernünftigen österreichischen Nachrichtenportal Futurezone. Dort titelte man letzte Woche “Kollidierende Gravitationswellen könnten Erde auslöschen” (WebCite).
Nun. Das klingt zweifellos spektakulär. Und besorgniserregend. “Gravitationswellen” sind ja an sich schon ein wenig mysteriös; immerhin hat man dieses Phänomen erst vor knapp zwei Jahren entdeckt. Gravitationswellen sind auch ziemlich bedeutend; dafür gab es 2017 den Physik-Nobelpreis. Und jetzt können die auf einmal kollidieren und dabei auch noch die Erde zerstören?!
Das zumindest entnimmt man der Schlagzeile bei Futurezone. Tatsächlich müsste eine korrektere Überschrift so lauten: “Ein Phänomen von dem man schon länger weiß das es existieren könnte; das aber auch extrem unwahrscheinlich ist wenn es denn existiert, könnte der Erde gefährlich werden, sofern es in der Nähe der Erde auftritt, was aber ebenfalls extrem unwahrscheinlich ist.” Oder man verzichtet einfach darauf, zwanghaft das Schicksal der Erde in dieses Stück Forschung zu quetschen. Denn in der Forschungsarbeit um die es geht wird eine etwaige Gefahr für die Erde nicht einmal ansatzweise besprochen. Die Arbeit der zwei theoretischen Physiker Frans Pretorius und William East trägt (frei übersetzt) den Titel: “Entstehung von schwarzen Löchern durch die Kollision von Gravitationswellen”. Was ja eigentlich als Schlagzeile durchaus spektakulär genug wäre, ohne gleich die Apokalypse mit inkludieren zu müssen…
Es geht dabei um folgendes: Gravitationswellen sind sich im Raum ausbreitende Verformungen in der Raumzeit. Ich habe das hier schon viel ausführlicher erklärt. Mittlerweile hat man dieses Phänomen mehrmals nachgewiesen und die Beobachtung von Gravitationswellen wird in der Zukunft eine wichtige Rolle für die Naturwissenschaft spielen. Will man sie vernünftig beobachten, muss man verstehen, wie sie sich verhalten und genau das tun Pretorius und East (ohne die Arbeit von Pretorius wäre der Nachweis von Gravitationswellen gar nicht möglich gewesen). Erste theoretische Untersuchungen über kollidierende Gravitationswellen gibt es schon seit den 1970er Jahren.
Ganz einfach gesagt entstehen Gravitationswellen, wenn sich eine beschleunigte Masse durch die Raumzeit bewegt. Dann verändert sich dadurch die Raumzeit, die Veränderungen breiten sich aus und genau diese sich ausbreitenden Veränderungen sind die Gravitationswellen. Je größer und schneller die beteiligten Massen, desto stärker die Gravitationswelle. Zwei schwarze Löcher, die einander umkreisen und miteinander kollidieren können zum Beispiel sehr starke Gravitationswellen erzeugen und genau auf solche Weise erzeugte Wellen waren es auch, die man vor ein paar Jahren das erste Mal messen konnte.
Pretorius und East haben nun untersucht was alles passieren kann, wenn zwei unterschiedliche Gravitationswellen im Raum aufeinander treffen. Sind sie stark genug, dann kann bei der Kollision ein Stück Raumzeit so stark zusammenquetscht werden, das ein schwarzes Loch entsteht. Und jede Menge Energie frei wird, die dann wieder als neue, starke Gravitationswelle abgegeben wird. So etwas zu wissen ist – wie gesagt – gut und wichtig, denn wenn wir in Zukunft immer mehr Gravitationswellen messen werden, dann möchten wir ja auch wissen, wodurch sie erzeugt worden sind. Deswegen sollten wir alle möglichen Mechanismen entsprechend untersuchen.
Das war – in sehr wenigen Worten – das, was Pretorius und East untersucht haben. Mit der Erde hat das alles nichts zu tun. Natürlich kann es rein prinzipiell möglich sein, das so ein Ereignis zufällig in der Nähe der Erde passiert. Aber das ist extrem unwahrscheinlich. Einmal braucht es dafür entsprechend starke Gravitationswellen und in der Nähe der Erde gibt es keine entsprechenden Quellen dafür. Und dann ist das Universum auch recht groß und die Chance das die Dinger sich gerade in der Nähe der Erde treffen, recht gering. Enorm gering. So gering, dass so etwas in den 4,5 Milliarden Jahren der irdischen Existenz ganz offensichtlich nicht ein einziges Mal passiert ist (denn es gibt uns ja noch).
Mir fällt kein vernünftiger Grund ein, warum man aus der interessanten Forschung von Pretorius und East eine apokalyptische Story machen sollte. Genau so gut könnte man eine wissenschaftliche Arbeit über Supernova-Explosionen mit “Explodierender Stern könnte die Erde zerstören!” überschreiben. Ja, könnte er. Aber da ist halt kein Stern in der Nähe der Erde, der explodieren kann. Und es ist enorm unwahrscheinlich, dass das irgendwann mal der Fall ist. Warum also darüber schreiben? Mit der Technik könnte man problemlos hunderte apokalyptische Artikel verfassen: “Wenn [etwas extrem gefährliches] in der Nähe passiert, dann ist das extrem gefährlich!”. Ja, eh! Aber so lange man sich nicht überlegt, wie wahrscheinlich es ist, dass so etwas passiert, dann macht das alles keinen Sinn!
Der Artikel in der Futurezone endet mit diesem Absatz:
“Ein Prozess, der Gravitationswellen erzeugen könnte, die stark genug wären, um [diese] düstere Prophezeiung wahr werden zu lassen könnte, ist nicht bekannt. Eine mögliche Zerstörung der Erde war auch nicht die Motivation der Arbeit der Physiker. Sie wollen zeigen, wie sich die Raumzeit bei sehr hohen Energien verhält.”
Liebe Futurezone: Wenn ihr das doch eh wisst – warum fangt ihr dann überhaupt damit an?
Mehr schlechte Schlagzeilen gibt es hier.
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