Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 307: Sternzeit reloaded
Sternzeit. Das ist das, was die Leute bei Raumschiff Enterprise immer in ihre Logbücher diktieren. Aber so wie Raumschiff Enterprise nur Science-Fiction ist, ist auch die dort verwendete “Sternzeit” nur eine Erfindung der Drehbuchautoren. Aber es gibt eine echte Sternzeit und zwar die, die in der Astronomie verwendet wird. Ich habe schon vor langer Zeit, in Folge 5 der Sternengeschichten, kurz über die Sternzeit gesprochen. Da ging es aber um die Frage wie man anhand der Sterne die Zeit messen kann. Also um die Erstellung von Kalendern, Schalttagen, und so weiter. Die astronomische Sternzeit ist etwas ganz anderes.
Eigentlich ist es ganz einfach: Die Sternzeit ist der Stundenwinkel des Frühlingspunktes. Aber diese Definition hilft nicht viel, wenn man nicht weiß, was ein Stundenwinkel oder ein Frühlingspunkt ist. Also schauen wir uns das mal ein wenig genauer an. Wir müssen uns dazu ein wenig mit astronomischen Koordinaten beschäftigen und dem, was man “sphärische Astronomie” nennt. Sphärische Astronomie ist ein wenig seltsam. Wir tun dabei so, als wäre die Erde der unbewegte Mittelpunkt des Universums. Wir tun also genau so, als wäre all das falsch, was Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei, Johannes Kepler und all die anderen großen Wissenschaftler in den letzten Jahrhunderten herausgefunden haben. Natürlich wissen wir, dass die Erde NICHT das Zentrum des Universums ist und wir wissen, dass die Erde sich um ihre Achse dreht; dass sie sich um die Sonne bewegt, und so weiter. Aber in der sphärischen Astronomie geht es darum, wie der Sternenhimmel von der Erde aus beobachtet aussieht. Wenn wir zum Beispiel wissen wollen, wann die Sonne untergeht oder wann ein bestimmter Stern am Horizont aufgeht: Dann ist uns Astronomen durchaus klar, dass sich die Sonne nicht über den Himmel der Erde bewegt; ebenso wenig wie der Sternenhimmel sich in der Nacht um die Erde dreht. Aber von der Erde aus beobachtet sieht es für uns ebenso aus und es ist wesentlich praktischer, bei der Berechnung von Auf- und Untergangszeiten und so weiter so zu tun, als würden sich die anderen Himmelskörper tatsächlich so bewegen, wie sie es scheinbar von der Erde aus gesehen tun.
Die Grundlage der sphärischen Astronomie ist daher die sogenannte “Himmelskugel”. Wir stellen uns eine große Kugel vor, in deren Zentrum sich die Erde befindet. Und auf dieser Kugel spielt sich die ganze Astronomie ab. Auf dieser Kugel bewegt sich die Sonne; bewegen sich die Planeten und die Sterne. Wie weit die Himmelskörper wirklich entfernt sind interessiert uns hier nicht; es geht nur um den Eindruck, den sie von unserem Beobachtungspunkt auf der Erde aus erwecken. Die Himmelskugel hat vier wichtige Punkte: Da sind einmal der Himmelsnordpol und der Himmelssüdpol. Diese Punkte erhalten wir, wenn wir einfach den Nord- und Südpol der Erde auf den Himmel projizieren. Wir können uns eine lange Linie vorstellen, die durch die Erde hindurch; durch Nord- und Südpol verläuft und weiter in Richtung Himmel. Dort wo diese Linie auf die gedachte Himmelskugel trifft, sind die Himmelspole. Dann gibt es noch zwei weitere Punkte: Den Zenit und den Nadir. Der Zenit ist der Punkt, der sich direkt über unserem Kopf am Himmel befindet; der Nadir das Gegenstück auf der anderen Seite der Himmelskugel, also der Punkt direkt unter unseren Füßen.
Wo sich der Himmelspol am Himmel befindet hängt davon ab, wo auf der Erde wir beobachten. Himmelspol und Zenit bzw. Nadir sind im Allgemeinen nicht identisch. Wenn wir direkt am Nordpol stehen, dann liegt der Himmelsnordpol logischerweise schon direkt über unserem Kopf und fällt mit dem Zenit zusammen. Stehen wir aber am Äquator, dann sehen wir den Himmelsnordpol direkt am Horizont. Wie hoch der Himmelspol – und ich werde jetzt in Zukunft damit einfach immer den Himmelsnordpol meinen – am Himmel steht, wird mit der sogenannten Polhöhe beschrieben. Dazu brauchen wir noch ein weiteres Element, nämlich den Meridian. Wir markieren an unserem Beobachtungspunkt auf der Erdoberfläche die Himmelsrichtungen und ziehen dann einen gedachten Kreis, der von Norden über den Zenit nach Süden und über den Nadir zurück läuft. Wenn wir nun entlang dieses Kreises den Abstand zwischen Nordpunkt und Himmelsnordpol messen, kriegen wir einen Winkel der genau der geografischen Breite entspricht und Polhöhe genannt wird.
Das klingt vielleicht ein wenig verwirrend, wenn man es nur hört und nicht auch ein passendes Diagramm dazu sehen kann. Aber wenn man ein wenig darüber nachdenkt ist es tatsächlich nicht sehr kompliziert. Um zur Sache mit der Sternzeit zu kommen, brauchen wir nun allerdings noch zwei weitere Elemente in unserer Himmelskugel. Einmal den “Himmelsäquator”: Der ist recht simpel, dazu projizieren wir einfach den Äquator der Erde an den Himmel. Wo sich der genau befindet, hängt wieder von der Position auf der Erde ab. Am Nordpol fallen – wie schon gesagt – Himmelsnordpol und Zenit zusammen. Das gleiche gilt für den Horizont und den Himmelsäquator. Stehen wir dagegen direkt am Äquator der Erde, dann liegt der Himmelsnordpol am Horizont und der Himmelsäquator verläuft direkt von Norden hinauf senkrecht hinauf in den Himmel zum Zenit und wieder zurück nach unten direkt nach Süden.
Jetzt kommt noch eine letzte Komplikation dazu. Die Erde dreht sich um die Achse die durch ihren Nord- und Südpol verläuft. Diese Rotationsachse steht senkrecht auf die Ebene, die durch den Äquator bzw. den Himmelsäquator gebildet wird. Diese Achse steht aber NICHT senkrecht auf die Ebene, in der die Erde sich um die Sonne bewegt! Die Erdachse ist um etwa 23,5 Grad aus der Senkrechten geneigt. Das ist wichtig. Wenn wir zum Beispiel beobachten, wie sich die Position der Sonne im Laufe eines Jahres am Himmel der Erde verändert, dann sehen wir ja nicht wirklich wie sich die Sonne bewegt. Die Sonne bleibt immer im Zentrum des Sonnensystems. Es ist die Erde, die sich um sie herum bewegt. Die Bahn der Sonne am Himmel der Erde entspricht also in Wahrheit der Bewegung der Erde um die Sonne herum. Die scheinbare Bahn der Sonne findet daher also auch in genau der Ebene statt, in der sich die Erde um die Sonne bewegt. Diese Ebene nennt man “Ekliptik” und auch sie können wir auf unserer Himmelskugel einzeichnen. Da die Erdachse um 23,5 Grad aus der Senkrechten geneigt ist, sind auch Himmelsäquator und Ekliptik um 23,5 Grad zueinander geneigt.
Es gibt zwischen Himmelsäquator und Ekliptik also zwei Schnittpunkte. Der eine wird Frühlingspunkt genannt, der andere Herbstpunkt. Der Frühlingspunkt ist genau der Punkt, an dem die Sonne am Himmel steht, wenn der Frühling beginnt (das gilt jetzt nur für die Nordhalbkugel, für die Südhalbkugel der Erde muss man sich alles umgekehrt denken). Zu Frühlingsbeginn befindet sich die Sonne genau im Schnittpunkt von Himmelsäquator und Ekliptik. Oder vereinfacht gesagt: An diesem Tag fallen – von der Erde aus gesehen – Ekliptik und Himmelsäquator zusammen; die Erdachse steht genau senkrecht zur Ebene in der sich die Erde um die Sonne bewegt. Deswegen sind zu Frühlingsbeginn Tag und Nacht gleich lang. An fast allen anderen Tagen ist die Erde immer ein wenig zur Sonne hin bzw. von der Sonne weg geneigt. Die nördlichen Hemisphäre kriegt dann zum Beispiel mehr Licht ab, die Tage dauern länger als die Nächte während es auf der südlichen Hemisphäre umgekehrt ist. Nur nicht zu Frühlingsbeginn, der deswegen ja auch als “Tagundnachtgleiche” bezeichnet wird. Das ganze passiert nur noch ein weiteres Mal im Verlauf eines Jahres, nämlich dann wenn die Sonne im zweiten Schnittpunkt steht; dem Herbstpunkt.
Wir bleiben aber beim Frühlingspunkt. Den haben die Astronomen als Nullpunkt für eines ihrer wichtigsten Koordinatensystem ausgewählt. Denn es ist ja ein wenig problematisch, wenn man eindeutige Koordinaten für Himmelsobjekte wie Sterne angeben will. Von der Erde aus gesehen sehen wir, wie die Sterne abends über dem Horizont aufgehen, sich über den gesamten Himmel bewegen und dann wieder hinter dem Horizont verschwinden. Sie bewegen sich aber natürlich nicht wirklich um uns herum, wir haben nur diesen Eindruck, weil sich die Erde um ihre Achse dreht. Deswegen verwendet man in der Astronomie ein Koordinatensystem, das sich mit der Erde mitdreht und in dem sich die Koordinaten deswegen während der Erdrotation nicht verändern. Der Nullpunkt ist der Frühlingspunkt und die beiden Koordinaten die man verwendet um die Position eines Sterns anzugeben heißen “Rektaszension” und “Deklination”. Um sie zu bestimmen zieht man zuerst eine Kreisbogen entlang der Himmelskugel vom Stern direkt nach unten bis zum Himmelsäquator. Die Länge dieses Bogens, ausgedrückt in Grad, ist die Deklination. Die Deklination eines Sterns entspricht also seiner Höhe über dem Himmelsäquator. Von dort, wo der Kreisbogen mit dem die Deklination gemessen wird auf den Himmelsäquator trifft, misst man nun entlang des Himmelsäquators die Distanz bis zum Frühlingspunkt. Das ist die Rektaszension, die nicht in Grad, sondern in Stunden, Minuten und Sekunden angebeben wird. Der Frühlingspunkt selbst sitzt bei 0 Stunden. Von dort aus zählt man einfach einmal im Kreis um den Himmelsäquator herum, nur das eben die 360 Grad eines vollen Kreises hier 24 Stunden entsprechen.
Jetzt wissen wir, was der Frühlingspunkt ist: Der Schnittpunkt von Himmelsäquator und Ekliptik an dem Sonne zu Frühlingsanfang am Himmel der Erde zu sehen ist. Nun müssen wir noch herausfinden was der Stundenwinkel ist. Stellen wir uns vor, wir wollten Rektaszension und Deklination des Frühlingspunktes selbst angeben. Seine Deklination ist natürlich 0 Grad, er befindet sich ja genau am Himmelsäquator und auch seine Rektaszension ist 0 Stunden. Nicht überraschend, denn der Frühlingspunkt ist ja gerade der Nullpunkt des Koordinatensystems. Aber es handelt sich um ein mit der Erde mitrotierendes Koordinatensystem! Im Laufe einer Rotation der Erde um ihre Achse bewegt sich der Frühlingspunkt von der Erde aus gesehen einmal um den Himmel herum. Auch diese Bewegung kann man entsprechend beschreiben. Dazu messen wir nun den Abstand zwischen Frühlingspunkt und Meridian. Der Meridian ist, wie ich anfangs gesagt habe, der gedachte Kreis der von Richtung Norden über den Zenit und über den Nadir zurück läuft. Zenit, Nadir, Nord und Süd sind Punkte, die NICHT von der Erdrotation abhängen. Der Zenit ist immer genau über meinem Kopf; Norden ist immer Norden, und so weiter. Man kann sich den Meridian also als eine Kreislinie vorstellen, unter der sich der ganze Himmel hindurch dreht. Der Abstand zwischen Frühlingspunkt und Meridian ändert sich also im Laufe einer Erdrotation beständig. Und dieser Abstand ist nichts anderes als der Stundenwinkel.
Starten wir in dem Moment, in dem der Frühlingspunkt genau den Meridian meines Beobachtungsortes passiert. Dann ist der Stundenwinkel gleich 0 Stunden. Und wer sich erinnert: Ganz zu Beginn habe ich die Sternzeit als “den Stundenwinkel des Frühlinngspunktes” definiert. In diesem Moment haben wir also auch eine Sternzeit von 0 Stunden. In diesem Moment beginnt also ein neuer Sterntag. Wenn die Erde sich dreht, entfernt sich der Frühlingspunkt vom Meridian und der Stundenwinkel wächst. Wenn der Frühlingspunkt nach einer kompletten Drehung der Erde um ihre Achse wieder im Meridian ankommt, ist ein Sterntag vergangen. Die Sternzeit ist also tatsächlich eine “normale” Uhrzeit in der der Sterntag gemessen wird. Allerdings ist ein Sterntag ein wenig kürzer als unser normaler Tag. Ein Sterntag dauert keine 24 Stunden sondern 23 Stunden, 56 Minuten und 4,091 Sekunden. Denn die Erde bewegt sich ja auch um die Sonne herum. Unsere normale Zeit messen wir anhand der Sonne: Ein Sonnentag ist vergangen, wenn die Sonne wieder genau dort steht wo sie zuvor am Himmel zu sehen war. Beim Sterntag warten wir, bis die Sterne wieder dort sind, wo sie zuvor waren. Im Vergleich zu den Sternen ist die Sonne aber recht nahe. Und die Erde bewegt sich um die Sonne. Wenn sich die Erde einmal um sich selbst gedreht hat und wir die fernen Sterne wieder am gleichen Punkt sehen bzw. der Frühlingspunkt wieder den Meridian passiert, dann hat sich die Erde auch ein kleines Stückchen um die Sonne herum bewegt und muss sich deswegen auch noch ein kleines bisschen weiter drehen um diesen Unterschied auszugleichen so dass die Sonne wieder am gleichen Punkt zu sehen ist. Deswegen dauert der Sonnentag ein bisschen länger als der Sterntag.
Die Sternzeit haben sich die Astronomen aber nicht ausgedacht, weil sie Spaß an komplizierten Dingen haben! Sie ist recht praktisch für die konkrete Beobachtung von Sternen. In vielen Sternwarten gab und gibt es Uhren, die die Sternzeit anzeigen, also ein klein wenig schneller gehen als normale Uhren. Aber solche Sternzeituhren laufen dafür synchron mit der scheinbaren Bewegung der Sterne am Himmel der Erde. Für einen konkreten Beobachtungsort hat ein Stern auch immer eine fixe Zeit, an der er während seiner Bewegung über den Himmel den Meridian kreuzt. Das ist auch der Zeitpunkt, an dem er am höchsten über dem Horizont steht. Wer sich noch einmal die Himmelskugel ins Gedächtnis ruft die ich vorhin erklärt habe, wird leicht sehen, dass dieser Zeitpunkt der Rektaszension des Sterns entsprechen muss. Hat ein Stern etwa eine Rektaszension von 17 Stunden und 35 Minuten und befindet er sich genau im Meridian, dann muss zu diesem Zeitpunkt der Stundenwinkel des Frühlingspunktes ebenfalls 17 Stunden und 35 Minuten betragen. Oder anders gesagt: Kennt man die Rektaszension eines Sterns, dann kann man auf einer Uhr die die jeweils örtliche Sternzeit anzeigt, direkt ablesen, wann er seinen höchsten Punkt am Himmel erreicht.
In der Praxis muss man natürlich noch ein paar Korrekturen durchführen, weil die Erdachse ein wenig schwankt, die Sterne sich auch unabhängig von der Erddrehung bewegen, und so weiter. Aber die astronomische Sternzeit ist ein wichtiges Instrument wenn man verstehen will, was da am nächtlichen Himmel vor sich geht. Sie ist zwar ein wenig komplizierter als die komischen Zahlen die man in Raumschiff Enterprise zu hören bekommt. Aber dafür hat sie auch einen ganz konkreten astronomischen Nutzen!
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