Der Oktober war ein Monat für Romane. Ich habe nur zwei Sachbücher gelesen (und von einem werde ich gar nicht erst berichten, aber dazu später mehr). Die Romane dagegen waren vielfältig und allesamt sehr empfehlenswert. Es gibt alte Nazis, neue Nazis, Riesenroboter und eine Stop-Motion-Revolution!
Nazis mit Computern
Andreas Eschbach hat ja immer ziemlich gute Ideen für seine Romane. Und diese Ideen setzt er üblicherweise auch sehr lesenswert um. In seinem aktuellen Buch “NSA” geht es um das dritte Reich. Und Computer.
Es ist eine alternative Geschichte und sie spielt in einer Welt, in der damals Charles Babbage seine erste mechanische Rechenmaschine nicht nur – wie in der echten Realität – theoretisch entworfen, sondern auch in echt und einsatzbereit gebaut hat. Die Entwicklung der Computer startete also schon ein wenig früher. Und das technologisch innovative Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehört zu den führenden Nationen. Es gibt Mobiltelefone, es gibt Heimcomputer, es gibt ein dem Internet ähnliches Netzwerk und es gibt einen entsprechenden Geheimdienst, der sich der Überwachung dieser Netze und Gerätschaften widmet. Das “Nationale Sicherheitsamt” bzw. NSA.
Für die sich entwickelnden Nationalsozialisten ist das natürlich alles sehr praktisch und mit der Machtübernahme startet auch eine noch totalere Überwachung der Menschen als sie in der Realität stattgefunden hat. Das ist die Ausgangssituation von Eschbach Buch und die Protagonisten sind Mitarbeiter des NSA die dagegen ankämpfen müssen, das ihre Behörde aufgelöst und in die restlichen Nazi-Geheimdienste integriert wird. Was also tun? Am besten man zeigt den Nazis, was man mit der Auswertung von Daten alles anstellen kann…
Und genau das passiert dann auch. Hauptpersonen sind eine junge Programmiererin und ein Analyst des NSA. Beide sind keine überzeugten Nazis; die Programmierin ist die 1930er Version eines Computergeeks, ohne viele soziale Kontakte, immer die Außenseiterin, die sich nur beim Schreiben von Computerprogrammen richtig wohl fühlt. Und der Analyst (und Freizeit-Stalker) will einfach nur nicht in den Krieg ziehen. Wenn beide ihre Jobs behalten wollen, müssen sie den Nazis zeigen, dass die Computerarbeite den Zielen des deutschen Reichs dienen kann…
Das wird allerdings genau dann kompliziert, als sich eine Liebesgeschichte zwischen der Programmiererin und einem Deserteur entwickelt. Sie hilft ihm, sich zu verstecken; muss aber andererseits Algorithmen entwickeln, um versteckte Personen aufspüren zu können.
Das Buch ist wirklich gut; wie üblich von Eschbach flüssig und flott geschrieben. Die Handlung ist originell und die Ausgangssituation der Computer-Nazis spannend. Für meinen Geschmack war das Buch aber ein klein wenig zu unausgewogen. Während am Anfang alles noch sehr detailliert erzählt wird, geht es am Ende viel zu schnell. Eschbach führt ein großes Element nach dem anderen ein: Die Entwicklung der Atombombe. Die totale Überwachung der Bürger. Den Holocaust. Dazu noch die Geschichten in die die Protagonisten verwickelt sind. Und man fragt sich, wie er das alles zu einem befriedigenden Ende bringen will. Tut er dann aber auch nicht. Das Ende kommt schnell und es kommt sehr überraschend. Vielleicht ist es sogar ein gutes Ende für diese Geschichte. Vielleicht hätte man aber noch viel mehr daraus machen können. Ich empfehle euch, selbst zu urteilen. Das Buch ist auf jeden Fall lesenswert.
Menschen und Grenzen
Mit seiner Hitler-Parodie “Er ist wieder da” hat Timur Vermes ja einen ziemlich großen Erfolg gehabt. In seinem aktuellen Buch “Die Hungrigen und die Satten” hat er ein anderes aber doch wieder ähnliches Thema genau so tragisch-komisch abgehandelt wie damals die Nazis. Die Ausgangslage: Europa hat sich erfolgreich vor den flüchtenden Menschen aus Afrika verbarrikadiert. Die Außengrenze ist quasi mitten nach Afrika verlegt worden; niemand kommt auch nur mehr in die Nähe des Mittelmeers und die gigantischen Flüchtlingslager sind bequem außerhalb der Sichtweite der Menschen in Europa.
So lange jedenfalls, bis ein Fernsehsender auf die Idee kommt, seine etwas einfältige Reality-TV-Moderatorin für eine Dokumentation dorthin zu schicken. Dort trifft sie einerseits auf das elend des Lagers. Und andererseits auf einen – im Buch namenlosen – Flüchtling. Der die Gunst der Stunde und die Macht der Medien erkennt. Und einen nie gesehenen Flüchtlingsmarsch nach Europa organisiert, begleitet von den Medien und live im Fernsehen zu sehen. Eine Viertelmillion Menschen machen sich auf den Weg unter der Prämisse, dass alles besser ist als das Elend des Status Quo. Was sich daraus entwickelt ist einerseits unvorstellbar, andererseits erschreckend realistisch. In Deutschland bekommen die Politiker Panik; die Grenzen werden noch dichter gemacht, als sie es schon sind. Und die Tragik nimmt ihren Lauf…
Das Buch von Vermes ist auf vielen Ebenen bemerkenswert. Da ist einerseits der fatalistische Pragmatimus der flüchtenden Menschen. Andererseits das naive aber durch seine überraschende Ehrlichkeit doch mächtige Mitgefühl der Fernsehmoderatorin, die im Laufe des Buchs immer mehr zur sympathischsten Protagonistin wird. Es gibt den Zynismus der Medien und der Politik und trotzdem ist kaum jemand im Buch ein schwarz/weißes Zerrbild. Das Ende der Geschichte zeichnet sich ab, ist dann aber doch erschreckend brutal und gleichzeitig doch irgendwie hoffnungsvoll. Auch diesen Roman kann ich auf jeden Fall empfehlen!
Eine Revolution in Stop-Motion
Nach all der aktuellen Politik tut vielleicht ein wenig Science-Fiction gut, die nichts mit der gegenwärtigen Welt zu tun hat. Und da ist “The Freeze-Frame Revolution” von Peter Watts genau richtig.
Es handelt von der menschlichen Besatzung eines Raumschiffs, das durch die Galaxie fliegt um dort eine Art von “Sternentor” zu bauen; also die Infrastruktur mit der Menschheit schneller als das Licht von Stern zu Stern fliegen kann. Nur das man von dieser Menschheit kaum etwas mit bekommt. Die Besatzung ist sein Millionen von Jahren unterwegs; sie verbringt Jahrzehntausende im künstlichen Tiefschlaf und wird von der künstlichen Intelligenz die das Projekt steuert, nur ab und zu und kurz für bestimmte Aufgaben aufgeweckt. Man baut Tor um Tor und hört nichts von der Menschheit für die man das macht. Ab und zu kommen komischen Dinge und Wesen aus den frisch geöffneten Sternentoren, aber wenn es sich dabei um die fernen Nachfahren der Menschen handeln sollten, geben sie sich nicht zu erkennen.
Die ganze galaktische Infrastruktur ist aber sowieso nur der Rahmen für die eigentliche Geschichte. Die handelt von den Menschen an Bord, die immer öfter Zweifel an der Authorität der künstlichen Intelligenz entwickeln. Nur: Wie überwirft man das Regime eines quasi allmächtigen und allwissenden Gegners wenn man noch dazu nur alle paar tausend Jahre für ein paar Monate “lebendig” ist? Wie organisiert man eine Revolution, wenn von den tausenden Menschen an Bord nie mehr als ein paar Dutzend gleichzeitig aktiv sind? Genau das beschreibt Peter Watts und er beschreibt es packend und hervorragend. Sollte man gelesen haben!
“The Freeze-Frame Revolution” gehört zum “Sunflower-Zyklus”, der neben diesem Buch noch aus den Kurzgeschichten “The Island”, “Hotshots” und “Giants” besteht. Die gibt es aber nicht gesammelt bzw. eigenständig. Man findet sie in den Sci-Fi-Anthologien “The New Space Opera 2”, “Reach for Infinity” und dem Clarksworld Magazine 96. Und eine fünfte Geschichte findet man überhaupt nur dann, wenn man “The Freeze-Frame Revolution” sehr aufmerksam liest…
Das Buch funktioniert aber auch sehr gut als Einzelwerk; also keine Sorge!
Was ich sonst noch so gelesen habe
- “Kill ’em All” (auf deutsch: “Kill ’em All”) von John Niven. Die Bücher von Niven habe ich im Juli schon besprochen und “Kill ’em All” ist die Fortsetzung von “Kill your friends”. Das Buch kann man aber auch unabhängig davon lesen; wieder geht es um die bemerkenswerten Machenschaften im Musik-Business und wieder hat sich mein Repertoire an englischen Schimpfworten dramatisch erweitert!
- “Only Human” (auf deutsch: “Giants – Die letzte Schlacht”) von Sylvain Neuvel. Die Serie über die gigantischen Alien-Roboter die auf der Erde aus dem Boden gegraben werden, haben ich ebenfalls schon früher besprochen. “Only Human” ist der dritte Band und immer noch sehr gut aber nicht mehr ganz so packend wie die ersten beiden Bände.
- “Einstein, Freud und Sgt. Pepper: Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts” (im Original: “Stranger Than We Can Imagine: Making Sense of the Twentieth Century”) von John Higgs ist genau das: Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es geht quer durch alle Themenbereiche: Quantenmechanik, sexuelle Revolution, Mondlandung, Postmodernismus, Ayn Rand, Kubismus, Chaostheorie, und so weiter. Higgs liefert viel und viele überraschende Verbindungen zwischen all diesen unterschiedlichen Phänomenen. Und zeigt, was das letzte Jahrhundert wirklich so besonders gemacht hat. Hab ich sehr gerne gelesen und kann es empfehlen.
Was noch kommt
Ein Sachbuch das ich im Oktober gelesen habe, hat mich wirklich extrem begeistert. So sehr, dass ich diesem Buch eine eigene Serie von Artikeln widmen möchte – die vermutlich gegen Jahresende hier im Blog erscheinen werden. Bis dahin dürft ihr gerne raten, was für ein Buch das ist (es ist eine Neuerscheinung…) – oder mir wie immer eure eigenen Buchtipps nahelegen!
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