Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 313: Die Entdeckung von Eris
Eris ist die griechische Göttin der Zwietracht und des Streits. Und selten war das mythologische Vorbild für den Namen eines Himmelskörpers so passend wie hier. Als das Objekt entdeckt wurde, das heute den Namen “Eris” trägt, hat das zwar nicht so wie im überlieferten Vorbild einen Krieg ausgelöst. Aber Streit und Zwietracht gab es jede Menge.
Alles fing im Oktober 2003 an. Die amerikanischen Astronomen Mike Brown, Chad Trujillo und David Rabinowitz waren auf der Suche nach Asteroiden im Kuipergürtel. Also der großen Region voller Asteroiden im äußeren Sonnensystem hinter der Bahn von Neptun, von der ich schon in Folge 174 erzählt habe. Sie waren in der Vergangenheit erfolgreich und hatten einige große Brocken entdeckt. Und auch im Oktober 2003 hatten sie ihr Teleskop auf ein beeindruckendes Objekt gerichtet. Allerdings ohne es zu merken.
Asteroiden im Kuipergürtel sind schwer zu finden. Sie sind weit weg und sie sind klein. Sie reflektieren nur wenig Sonnenlicht und sind kaum zu sehen. Außerdem bewegen sie sich enorm langsam. Je weiter entfernt von der Sonne, desto geringer ist die Geschwindigkeit mit der sich ein Himmelskörper bewegt. Ohne Bewegung ist ein Asteroid aber auf einer Fotografie nicht von einem Stern zu unterscheiden. Man sieht ja immer nur einen Lichtpunkt. Erst wenn sich einer der Punkte vor dem Hintergrund bewegt weiß man, dass man es mit einem Asteroid zu tun hat.
Auf den ersten Bildern war Eris zwar zu sehen – aber in dem kurzen Zeitraum den die Aufnahmen abdeckten, war die Bewegung nicht sichtbar. Erst als man die Bilder später erneut ausgewertet hatte, fand man den Himmelskörper. Das war am 5. Januar 2005. Die drei Astronomen wollten aber nicht gleich an die Öffentlichkeit gehen sondern erst noch weitere Daten sammeln. Dann aber merkten sie, dass ihre Beobachtungsergebnisse zwar noch geheim waren. Aber das Teleskop mit dem sie arbeiteten schrieb ein öffentlich einsehbares Protokoll ins Internet. Darin stand zwar nichts von irgendwelchen Entdeckungen. Aber man konnte dort sehen, wann es wie lange auf welchen Bereich am Himmel gerichtet war. Für die meisten Menschen ist das irrelevante Information. Aber für andere Astronomen die ebenfalls auf der Suche nach fernen Asteroiden waren, kann das ein wertvoller Hinweis sein. Wenn die Konkurrenz immer wieder einen bestimmten Punkt am Himmel am beobachtet, dann ist dort vielleicht was interessantes zu sehen und es könnte sich lohnen, dort einmal selbst nachzusehen.
Damit ihnen bei ihrer Entdeckung niemand zuvor kommen konnte, entschieden sich Mike Brown und seine Kollegen also am 29. Juli 2005 dazu, ihre Beobachtungen zu veröffentlichen. Kurz zuvor waren sie nämlich auf genau diese Art und Weise in eine Kontroverse um die Entdeckung eines anderes Himmelskörpers geraten. Spanische Astronomen hatten die Entdeckung eines großen Asteroids im Kuipergürtel verkündet, den Brown und seine Kollegen schon seit 2004 kannten, aber noch nicht publik gemacht hatten. Diesmal aber wollten sie die ersten sein – und waren es auch.
Der neu entdeckte Asteroid bekam die für Asteroiden übliche provisorische Bezeichnung, die sich aus Jahreszahl der Entdeckung und diversen anderen Buchstaben und Zahlen zusammensetzt: 2003 UB313. Aber Astronomen geben ihren Lieblingsobjekten gerne auch intern “richtige” Namen. Brown und seine Kollegen dürften damals wohl Fans der Fantasy-Fernserie “Xena – Die Kriegerprinzessin” gewesen sein, denn mit diesem Namen – “Xena” – bezeichneten sie von da an das Objekt.
Im Oktober fand man bei weiteren Beobachtungen heraus, das Xena von einem Mond umkreist wurde. Solche “Asteroidenmonde” oder “Doppelasteroiden” sind nicht ungewöhnlich, im Fall von Xena war es aber eine wichtige Entdeckung. Denn dank der Beobachtung der Bewegung von “Gabrielle” – wie der Begleiter von Xena natürlich inoffiziell genannt wurde – konnte man die Masse von Xena bestimmen. Und die war größer als die des Pluto!
Der neu entdeckte Asteroid war also größer als der damalige Planet Pluto! Das stellte die Astronomen vor ein Problem. Wenn Xena größer ist als Pluto, musste man diesen Asteroid nicht eigentlich auch als Planet bezeichnen? Als den “Zehnten Planet” des Sonnensystems, so wie es die Medien natürlich sofort getan haben? Andererseits verhielt sich Xena exakt so wie es von einem Asteroid im Kuipergürtel zu erwarten war. Es war ein Himmelskörper inmitten anderer Asteroiden, in einer Region des Sonnensystems in der man die Existenz eines riesigen Asteroidengürtels schon lange vermutet und ebenfalls lange vor der Entdeckung von Xena nachgewiesen hatte. Ein Himmelskörper, der genau dort war, wo Asteroiden sich befinden sollen und alle Eigenschaften eines Asteroiden hatte.
Dazu kam: All das traf eigentlich auch auf Pluto zu. Schon länger waren sehr viele Astronomen der Meinung, es wäre viel besser, Pluto nicht mehr als Planet zu bezeichnen sondern als Asteroid. Und damit einen Fehler zu korrigieren, den man damals im Jahr 1930 bei seiner Entdeckung gemacht hatte. Damals wusste man noch nichts vom Asteroidengürtel in dem sich Pluto und Xena – und noch ein paar andere große Asteroiden die man mittlerweile entdeckt hatte – befanden.
Es gab nun also zwei Möglichkeiten. Entweder man macht Xena zu einem Planeten. Und mit ihr dann fairerweise noch einen ganz Schwung anderer bisheriger als große Asteroiden klassifizierte Objekte. Oder man erklärt Pluto selbst zum Asteroid. Es gab Diskussionen, es gab Streit und es gab Zwietracht. Über die Kontroverse habe ich ja schon in Folge 90 der Sternengeschichten mehr erzählt. Am Ende löste man das Problem im Sommer 2006 durch eine Abstimmung. Ein Grund für die Kontroverse war ja, das bis dahin keine wissenschaftliche exakte Definition des Begriffs “Planet” existiert hat. Also war auch schwer zu sagen, was nun genau als Planet bezeichnet werden soll und was nicht. Also entwickelte eine Kommission von Astronomen so eine Definition und man stimmte beim Treffen der Internationalen Astronomischen Union in Prag darüber ab. Das Resultat: Pluto ist kein Planet, sondern das, was astronomisch eigentlich immer schon sinnvoller war: Ein großer Asteroid im Kuipergürtel. Ebenso wie Xena.
Und nachdem das endlich geklärt war, konnte man Xena bzw. 2003 UB313 endlich auch einen vernünftigen und offiziellen Namen geben. Die Entdecker eines Asteroiden dürfen Namen vorschlagen, die aber erst von der Internationalen Astronomischen Union akzeptiert werden müssen. Mike Brown hätte eigentlich gerne den Namen “Lila” verwendet, ein Begriff der in der hinduistischen Kosmologie vorkommt aber passenderweise auch der Name seiner Tochter ist. Um keine neue Kontroverse aufkommen zu lassen entschied man sich dann aber doch für klassische Namen aus der griechischen Mythologie. Das wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn Asteroiden kann man auch nach realen Personen, Ländern, Städten oder allen möglichen anderen Dingen benennen. Aber weil Xena schon so lange als potentieller Planet diskutiert wurde, wollten Brown und seine Kollegen auch den Namen einer griechisch-römischen Gottheit wählen, so wie bei den restlichen Planeten. Man schlug “Eris” vor, ein Göttername der bisher weder für einen Planeten noch für einen Asteroid vergeben war und als Göttin des Streits und der Zwietracht passte er auch wunderbar zum Thema.
Aus “Gabrielle” der Begleiterin der Fernseh-Xena und dem Mond von Eris wurde nun offiziell “Dysnomia”. Die ist im griechischen Mythos die Tochter von Eris und repräsentiert die Gesetzlosigkeit. Aber wenn man genau schaut, haben Mike Brown und seine Kollegen hier noch ein paar versteckte Bezüge untergebracht. Denn die Schauspielerin, die in der angesprochenen Fernsehserie die Kriegerprinzessin Xena spielt, hieß Lucy Lawless. Und “Lawless” heißt auf englisch nichts anderes als “gesetzlos”. Die ersten beiden Buchstaben von Dysnomia sind laut Brown ein Hinweis auf den Namen seiner Frau Diana. Damit wiederum bezieht er sich direkt auf Pluto. Der wurde unter anderem so benannt, weil dessen erste beide Buchstaben PL die Initialen des Astronomen Percical Lowell sind, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Suche nach unbekannten Himmelskörpern im äußeren Sonnensystem angestoßen hatte. Und als der amerikanische Astronom James Christy 1978 einen Mond des Pluto entdeckte, nannte er ihn nicht nur aus mythologischen Gründen “Charon” sondern auch, weil die ersten vier Buchstaben identisch mit denen des Namens seiner Frau Charlene waren.
Natürlich gibt es über Eris noch viel mehr zu erfahren als nur die versteckten Hinweise bei der Namensgebung. Diese ferne Welt am Rand des Sonnensystems ist ein faszinierender Ort – aber den schauen wir uns in der nächsten Folge der Sternengeschichten genauer an.
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