In einem Buch mit jeder Menge Wissenschaftsgeschichte bin ich kürzlich auf ein interessantes Zitat von Albert Einstein gestoßen. Gut, von ihm existieren jede Menge Zitate und selbst wenn man sich auf die authentischen beschränkt, sind die meisten davon interessant. Aber in diesem Fall fand ich es erstaunlich, dass Albert Einstein schon 1947 ein Problem der Berichterstattung über Wissenschaft angesprochen hat, das auch heute immer noch sehr akut ist.
Die Vorgeschichte selbst ist ebenfalls ziemlich interessant; ihr werde ich mich aber irgendwann in Zukunft genauer widmen. Es ging um ein physikalisches Problem, das die Physiker der damaligen Zeit ziemlich untrieb: Die große Vereinheitlichung aller physikalischen Theorien. Das heißt, die Suche nach einer umfassenden Theorie mit der sich Gravitation und Elektromagnetismus (inklusive der Quantenmechanik) gleichermaßen und einheitlich beschreiben lassen. Damit beschäftigte Einstein sich in den Jahrzehnten vor seinem Tod. Aber nicht nur er – auch Erwin Schrödinger arbeitete Ende der 1940er Jahre daran. Und im Januar 1947 schrieb er Einstein, dass er erfolgreich war. Einstein war nicht so sehr davon überzeugt, Schrödinger verkündete seine Entdeckung trotzdem der Öffentlichkeit.
Daraufhin schrieb die New York Times einen Artikel darüber und bat auch Einstein um einen Kommentar. Darin erklärte er, dass die “Entdeckung” von Schrödinger bestenfalls ein winziger Fortschritt ist und keinesfalls das Ende eines langen wissenschaftlichen Forschungsprozess. Und er führte weiter aus:
“As an incidental remark I want to stress the following. It seems undesirable to me to present such preliminary attempts to the public in any form. It is even worse when the impression is created that one is dealing with definite discoveries concerning physical reality. Such communiqués given in sensational terms give the lay public misleading ideas about the character of research. The reader gets the impression that every five minutes there is a revolution in science, somewhat like the coup d’etat in some of the smaller unstable republics. In reality one has in theoretical science a process of development to which the best brains of successive generations add by untiring labor, and so slowly leads to a deeper conception of the laws of nature. Honest reporting should do justice to this character of scientific work. “
(Ich hab leider noch nicht die exakte Referenz des Artikels gefunden, aber genug verlässliche Sekundärquellen – wenn jemand die Primärquelle kennt, wäre ich dankbar)
Einstein spricht hier einen wichtigen Punkt an: Revolutionäre Geistesblitze die die gesamte Wissenschaft von heute auf morgen über den Haufen werfen, sind selten (und es ist ein wenig ironisch, das gerade Einsteins eigene Arbeit ein Beispiel dafür ist). Normalerweise ist Wissenschaft ein langsamer Prozess, bei dem man Schritt für Schritt das Unbekannte zum Bekannten macht. Selbst nach jahrelanger Arbeit hat man vielleicht gerade mal ein kleines neues Detail herausgefunden; ein kleines Stück der Welt ein klein bisschen besser verstanden als zuvor. Aber wenn ausreichend viele Forscherinnen und Forscher lange genug unermüdlich weiter arbeiten entsteht aus diesen Wissensstückchen vielleicht irgendwann mal ein neues Weltbild.
Einstein hat absolut recht, wenn er fordert, dass ehrliche Berichterstattung diesen Prozess widerspiegeln sollte. Wissenschaftsjournalismus sollte nicht den Fehler begehen, jede Entdeckung zur Sensation zu erheben. Und für die Wissenschaft gilt das gleiche: Man sollte ehrlich sein und die gewonnenen Erkenntnisse so darstellen, wie sie sind und sie nicht wichtiger nehmen, als es gerechtfertigt ist. Natürlich ist es schwer, in der modernen Welt der Medien dem Drang der Dramatik zu widerstehen. Ein Artikel der mit “Sensation!” beginnt wird vermutlich viel öfter gelesen als einer der mit “Hurra! Wir verstehen ein kleines Detail der Welt jetzt ein bisschen besser als vorher!”. Aber zweiteres passiert in der Wissenschaft sehr viel öfter als Ersteres.
Der Drang, nur über Sensationen zu berichten oder unspektakuläres zur Sensation zu erheben, ist stark. Den spüre ich bei meiner Arbeit genau so wie vermutlich alle anderen die über Wissenschaft berichten. Nicht (nur) unbedingt weil man damit die Leserzahlen erhöhen will. Sondern oft auch einfach nur, weil die eigene Faszination für die Wissenschaft mit einem durchgeht… Und oft genug erliegt man diesem Drang. Aber man sollte sich zwingen, dagegen anzukämpfen. Und der Welt die Wissenschaft stattdessen so zu präsentieren, wie sie wirklich ist. Nur weil nicht jede Entdeckung eine gewaltige Sensation ist, folgt daraus ja nicht, dass sie uninteressant ist! Ganz im Gegenteil. Wissenschaft IST faszinierend. Und wenn man sie auf die richtige Art und Weise vermittelt, dann muss man gar nicht hochstapeln und irgendwelche Sensationen erfinden.
P.S. Sowohl Albert Einstein als auch Erwin Schrödinger lagen mit ihren Vereinheitlichungsversuchen übrigens daneben. Dieses Problem ist bis heute ungelöst. Sollte es allerdings einmal gelöst werden, wäre das etwas, das man ohne schlechtes Gewissen als “Revolution” bezeichnen kann.
Kommentare (25)