Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 320: Die gestreute Scheibe
Unter “gestreute Scheibe” kann man sich vermutlich vorerst nicht viel vorstellen. Vielleicht irgendwas seltsames zu essen oder so. Tatsächlich handelt es sich um eine sehr interessante und immer noch sehr unbekannte Region des Sonnensystems.
Man kann das Sonnensystem grob in vier Regionen einteilen. Da ist das innere Sonnensystem, mit den Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars. Dann folgt der Haupt-Asteroidengürtel und daran schließt das äußere Sonnensystem mit den Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun an. Hinter Neptun ist aber noch lange nicht Schluss. Verwirrenderweise wird das, was dann kommt, auch oft das “äußere Sonnensystem” genannt; hier aber in Abgrenzung zum “inneren Sonnensystem”, mit dem dann die Region der Planeten bezeichnet wird.
Wir wollen uns das, was sich hinter Neptun befindet aber sowieso genauer ansehen. Dieser äußerste Bereich des Sonnensystems lässt sich in drei Regionen unterteilen. Direkt hinter der Bahn des Neptun beginnt der Kuiper-Asteroidengürtel, über den ich schon in Folge 174 der Sternengeschichten gesprochen habe. Ganz außen, also diesmal im wirklich alleräußersten Sonnensystem, finden wir die Oortsche Wolke, deren Beschreibung ich mir für die nächste Folge der Sternengeschichten aufhebe. Heute soll es um das gehen, was sich zwischen Kuipergürtel und Oortscher Wolke befindet: Die gestreute Scheibe oder auch scattered disc.
Um zu verstehen, worum es sich dabei handelt, müssen wir aber trotzdem nochmal kurz zum Kuipergürtel zurück. Er beginnt direkt hinter der Bahn des Neptun, circa 30 Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde und reicht bis zu einer Entfernung die dem 50fachen Abstand zwischen Erde und Sonne entspricht. In dieser Region findet man jede Menge Asteroiden von denen Pluto der größte und bekannteste ist. Die Bahnen der Asteroiden im Kuipergürtel sind typischerweise von Resonanzen mit Neptun bestimmt. Das bedeutet, dass die Umlaufzeiten der Asteroiden in einem ganzzahligen Verhältnis zur Umlaufzeit von Neptun stehen.
Pluto ist ein gutes Beispiel dafür; in der Zeit in der er zwei Runden um die Sonne schafft, schafft Neptun genau drei. Man sagt, sie stehen in einer 2:3 Resonanz zueinander. Neben diesen “resonanten Kuipergürtelasteroiden” gibt es auch noch die “klassischen Kuipergürtelasteroiden”, die sich nicht in einer Resonanz befinden. Insgesamt haben die meisten Kuipergürtelasteroiden aber Umlaufbahnen, die eher kreisförmig sind und nicht zu stark gegenüber der Ebene geneigt, in der sich die Planeten befinden.
Dann gibt es aber auch Asteroiden, deren Bahnen stark von der Kreisbahn abweichen. Das bedeutet, das sonnenfernster und sonnennächster Punkt ihrer Umlaufbahn deutlich unterschiedliche Distanzen zur Sonne haben. Zum Beispiel der Asteroid Eris, über den ich in den Folge 313 und 314 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen habe. An seinem sonnennächsten Punkt ist er 38 mal weiter von der Sonne entfernt, am sonnenfernsten Punkt fast 100 Mal weiter entfernt als die Erde. Diese langgestreckte Bahn ist außerdem noch um 44 Grad gegenüber der Ebene der Planetenbahnen geneigt.
Asteroiden auf solchen Bahnen nennt man “Scatterd Disc Objects” oder SDOs und sie bilden die gestreute Scheibe. Zwischen Kuipergürtel und gestreuter Scheibe gibt es also keine klare räumliche Trennung; die Trennung erfolgt vorrangig anhand der Eigenschaften der Umlaufbahnen der Objekte.
Wie die gestreute Scheibe entstanden ist, ist immer noch weitestgehend unbekannt. Die wahrscheinlichste Hypothese hat auch für den Namen dieser Region gesorgt: Sie könnte entstanden sein, als Kuipergürtelasteroiden durch die gravitative Wechselwirkung mit Neptun auf ihre extremen Bahnen “gestreut” worden sind. Da der große Neptun sich unmittelbar am inneren Rand des Kuipergürtels befindet, kann er mit seiner Gravitation die Asteroiden dort auch gut beeinflussen. Besonders gut geht das, wenn es sich um resonante Asteroiden handelt. Wie ich vorhin schon erklärt habe, bezieht sich die Resonanz auf die Umlaufzeiten. Und diese Resonanzen können stabilisierend oder destruktiv wirken. Pluto und Neptun beispielsweise befinden sich immer weit voneinander entfernt. Und da sie eine 2:3 Resonanz bilden, ist sichergestellt, das sich daran auch nichts ändert. Alle zwei Umläufe des Pluto beziehungsweise alle drei Umläufe des Neptun befinden sich die beiden Himmelskörper wieder genau dort wo sie zuvor waren und noch dazu in der genau gleichen Stellung zueinander. Pluto ist dadurch quasi geschützt, er kann Neptun nie so nahe kommen um massiv durch seine Gravitationskraft gestört zu werden. Es geht aber auch anders herum: Ist ein resonanter Asteroid in der Nähe des Neptun, dann wiederholt sich auch diese Konstellation dank der Resonanz in regelmäßigen Abständen. Neptun kommt dem Asteroid also immer wieder nahe und kann ihn mit seiner Gravitationskraft immer wieder stören. Dadurch verändert sich die Bahn des Asteroiden, sie wird langgestreckter und stärker geneigt. Bis irgendwann aus einem normalen Kuipergürtelobjekt auf einer normalen Umlaufbahn ein Scattered Disc Object mit einer extremen Umlaufbahn geworden ist.
Solche Umlaufbahnen können Asteroiden aber auch bekommen, wenn sie zufällig miteinander kollidieren oder sehr nahe aneinander vorbei fliegen. Die Frage die wir noch nicht beantworten können lautet allerdings: Wie lange hat das gedauert? Manche Astronomen sind der Meinung, dass die gestreute Scheibe quasi die gesamten 4,5 Milliarden Jahre in der es das Sonnensystem schon gibt gebraucht hat, um zu entstehen. Oder anders gesagt: Die Produktion von SDOs aus Kuipergürtelobjekten ist ein langsamer, kontinuierlicher Prozess der ebenso kontinuierlich stattfindet. Andere Astronomen bevorzugen
eine schnelle Entstehung. Wir wissen, das Uranus und Neptun nicht dort entstanden sein können, wo sie sich heute befinden. So fern von der Sonne gab es zur Zeit der Planetenentstehung nicht genug Material um so große Planeten zu bilden. Sie müssen näher an der Sonne entstanden und dann nach außen gewandert sein. Diesen Prozess nennt man “planetare Migration” und ich habe darüber in Folge 68 der Sternengeschichten mehr erzählt. Als also in der Frühzeit des Sonnensystems Uranus und Neptun nach außen migriert sind, müssen alle Planeten kurzfristig ein wenig durcheinandergerüttelt worden sein. Vor allem Neptun hätte sich, wie Computermodelle zeigen, auf einer Bahn befinden können, die mitten durch den gerade in Entstehung begriffenen Kuipergürtel geführt hat. Dabei hat er jede Menge dieser Objekte aus ihren Bahnen gestört und so die gestreute Scheibe gebildet.
Wie es wirklich war, wissen wir nicht. Dazu brauchen wir – wie immer – mehr Daten. Aber leider haben wir noch kein Objekt der gestreuten Scheibe aus der Nähe gesehen. Bis jetzt hat es keine Raumsonde gegeben, die sich dorthin auf den Weg gemacht hat. Ein paar Daten konnten wir aber immerhin aus der Ferne sammeln. Die SDOs bestehen – wenig überraschend – zu einem großen Teil aus Eis. So fern von der Sonne ist es kalt genug das auch Gase wie Methan, Stickstoff oder Kohlendmonoxid gefrieren. Man hat auch erwartet, dass die SDOs eher rötlich aussehen, so wie das bei den Kuipergürtelasteroiden der Fall ist. Dort befindet sich viel Methan an der Oberfläche der Asteroiden das von der Sonnenstrahlung chemisch verändert wird, so das vor allem blaues Licht absorbiert und eher rötliches Licht reflektiert wird. Die SDOs sind aber alle eher weiß/gräulich anstatt rot. Warum das so ist, wissen wir nicht. Vielleicht gab es dort mehr Einschläge auf den Objekten die tiefer gelegenes und weißeres Eis zu Tage gefördert haben. Vielleicht sorgt auch die größere Kälte in den Regionen der fernen SDOs, dass die Gase dort anders und in anderen Mengen ausfrieren und so ein anderes Reflexionsverhalten zeigen. Wie gesagt: Wir wissen noch viel zu wenig über die gestreute Scheibe.
Immerhin kennen wir schon ein paar hundert SDOs. Eris ist der größte den wir kennen. Das erste SDO das wir gefunden haben, heißt 1996 TL66 und wurde im Oktober 1996 entdeckt. Ebenfalls dazu gehört der 2003 entdeckte Asteroid Sedna, der mit einem Durchmesser von knapp 1000 Kilometer nicht nur sehr groß ist, sondern sich auf seiner Bahn auch erstaunlich weit von der Sonne entfernt. Schon der sonnennächste Punkt liegt 76 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Aber Sedna entfernt sich auf seiner Bahn bis zum 900fachen Erdabstand von der Sonne! Der Asteroid 2014 FE72 schafft es aber sogar noch weiter und entfernt sich fast 3000 mal weiter von der Sonne als die Erde. Damit befindet er sich aber schon fast in der Region, die zum wirklichen Ende des Sonnensystems gehört: Die Oortsche Wolke. Aber dazu dann mehr in der nächsten Folge der Sternengeschichten.
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