Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 321: Die Oortsche Wolke
In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich vom äußeren Ende des Sonnensystems erzählt. Von der sogenannten “gestreuten Scheibe” und den seltsamen Asteroiden, die dort ihre seltsamen Runden ziehen. Aber obwohl sich die gestreute Scheibe wirklich weit von der Erde und auch weit von den anderen Planeten entfernt befindet, ist dort das Ende des Sonnensystems noch lange nicht erreicht. Dazu müssen wir in die Oortsche Wolke reisen. Und wenn wir wissen wollen, was es damit auf sich hat, müssen wir uns mit Kometen beschäftigen.
Über diese Himmelsobjekte habe ich schon in den Folgen 44 und 45 der Sternengeschichten erzählt. Lange Zeit haben sie die Menschheit vor Rätsel gestellt und ihnen Angst eingejagt. Sie waren Eindringlinge am so geordnet erscheinenden Sternenhimmel. Wo die Sterne sich – zumindest nach menschlichen Maßstäben – gar nicht bewegen und die Planeten bei ihrer Bewegung zumindest vorhersagbaren Regeln folgen, tauchen die Kometen unerwartet und wie aus dem Nichts am Himmel auf um dann ebenso unerwartet wieder zu verschwinden. Das war den Menschen nicht geheuer und die Kometen galten als Unglücksbringer und Vorboten von Krieg, Tod und Verderben.
Von dieser Vorstellung hat man sich aber irgendwann gelöst. Dank Isaac Newtons Gravitationsgesetz konnte man auch die Bewegung von Kometen berechnen und schließlich auch vorhersagen. Man stellte fest, dass auch sie sich auf Umlaufbahnen um die Sonne bewegen, die aber so lang gestreckt waren, dass sie oft erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten wieder in die Nähe der Erde kommen. Die meiste Zeit über sind die Kometen fern der Sonne und nicht mehr als unscheinbare, winzige Brocken aus Eis und Gestein. Nur in der kurzen Zeit in der sie auf ihren langgestreckten Umlaufbahnen in die Nähe der Sonne und damit auch in die Nähe der Erde gelangen, können sie durch dort höheren Temperaturen auftauen, ihren beeindruckenden Schweif aus Gas und Staub entwickeln und an unserem Himmel sichtbar werden.
Aber auch wenn die Menschen keine Angst mehr vor den Kometen hatten, waren sie doch immer noch rätselhaft. Man stellte fest, das es zwei Gruppen von Kometen gab. Ein paar von ihnen brauchen für eine Runde um die Sonne nicht mehr als 200 Jahre. Das sind die sogenannten kurzperiodischen Kometen – der berühmte Halleysche Komet gehört zum Beispiel dazu, der alle 76 Jahre wieder in die Nähe der Erde kommt. Dann gibt es aber auch Kometen, die deutlich mehr als 200 Jahre für eine Runde um die Sonne brauchen. Bei ihnen sieht es für uns tatsächlich so aus, als würden sie aus dem Nichts kommen und wieder im Nichts verschwinden. Wenn wir sie einmal gesehen haben, dann können oft Jahrtausende oder Jahrzehntausende vergehen, bis sie wieder kommen.
Wo aber kommen diese Objekte her? Und wo gehen sie hin? Das war die Frage, die sich der estnische Astronom Ernst Öpik im Jahr 1932 gestellt hatte. Zuerst berechnete Öpik, wie weit sich so ein Komet überhaupt von der Sonne entfernen kann. Die Gravitationskraft der Sonne wird mit steigender Entfernung immer schwächer, die Gravitationskraft der anderen Sterne dagegen immer stärker. Irgendwann sind die Störungen so groß, dass die Kometen ihre Umlaufbahn um die Sonne komplett verlassen und nicht mehr zum Sonnensystem gehören. Öpik kam auf eine Maximaldistanz von einer Million Astronomischen Einheiten. Also eine Million mal die Distanz zwischen Erde und Sonne. Weiter konnte das Sonnensystem nicht reichen – aber reicht es auch so weit oder war das nur eine theoretische Obergrenzen? Darauf hatte Öpik keine Antwort.
1950 beschäftigte sich dann der niederländische Astronom Jan Hendrik Oort mit dem gleichen Thema. Seine Hypothese: Das Sonnensystem ist von einer großen Wolke umgeben, voll mit Kometen. Normalerweise kriegen wir von diesen Kometen nichts mit, weil sie sich immer so weit entfernt von uns befinden. Aber ab und zu kann die Bahn eines dieser Kometen in der Wolke gestört werden und sich verändern. Dann nimmt er Kurs aufs innere Sonnensystem, fliegt an Erde und Sonne vorbei und wieder zurück in die Wolke. Solche Kometen, deren Bahnen von den kreisförmigen Bahnen in der Wolke auf langestreckte, durch das ganze innere Sonnensystem reichenden Bahnen verändert werden, sind das, was wir als “langperiodische Kometen” beobachten.
Laut Oort sollte sich diese Wolke ungefähr 150.000 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt befinden. Er war fest davon überzeugt, dass die langperiodischen Kometen tatsächlich Teil des Sonnensystems waren. In seiner Arbeit zeigte er, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass all diese Kometen aus dem interstellaren Raum kommen würden. Also muss es so etwas wie diese ferne, die Sonne umgebende Wolke geben. Nur: Wie kann so was entstehen?
Nicht auf normale Art und Weise. So weit von der Sonne entfernt ist nicht viel und dort war auch nicht viel. Vor allem war dort vor 4,5 Milliarden Jahren, als die Himmelskörper des Sonnensystems entstanden sind, definitiv nicht genug Gas und Staub, um auch nur irgendwas annähernd so großes wie einen Kometen zu bilden. Die Kometen in der Wolke konnten also nicht vor Ort entstanden sein, sondern irgendwo anders. Irgendwo im inneren Sonnensystem, dort wo auch der ganze Rest der Himmelskörper entstanden ist. Aber wie sind sie dann so weit nach draußen kommen gekommen?
Ganz einfach: Von all dem Zeug, dass damals im inneren Sonnensystem entstanden ist, hat nicht viel überlebt. Ursprünglich gab es nur sogenannte “Planetesimale”. Also kleine Felsbrocken; mit ein wenig Eis und Staub. Diese Objekte wirbelten um die Sonne, beeinflussten sich gegenseitig. Sie kollidierten miteinander, verschmolzen und wuchsen zu großen Planeten. Von denen die übrig blieben, wurden viele nun durch den gravitativen Einfluss dieser Planeten noch weiter gestört. Sie stürzten auf die Planeten. Sie stürzten in die Sonne. Und einige von ihnen wurden aus der Region des inneren Sonnensystems auch weit, weit nach draußen geschleudert. Und bildeten dort die Wolke, die sich Jan Hendrik Oort vorgestellt hatte.
Diese Wolke nennen wir heute nach ihm die Oortsche Wolke (obwohl man sie durchaus auch Öpik-Oortsche-Wolke nennen könnte). Direkt beobachtet haben wir sie aber noch nie. Und werden es auch nie tun. Der Name “Wolke” ist ein wenig irreführend. Man darf sich das nicht wie eine Kugelschale vorstellen, die die Sonnensystem umgibt wie das Einwickelpapier ein Bonbon. Würde man mit einem Raumschiff so weit nach draußen fliegen, würde man dort nichts sehen. Es mag zwar bis zu ein paar Billionen Kometen geben, die in der Oortschen Wolke die Sonne umkreisen. Noch viel mehr als Kometen gibt es aber Platz! Die Kometen sind so weit verteilt, das man schon sehr, sehr großes Glück haben muss, um bei einem zufälligen Flug aus dem Sonnensystem hinaus überhaupt nur einen von ihnen beobachten zu können.
Wir haben auch noch kein Objekt gefunden, das direkt der Oortschen Wolke zuzuordnen ist. Ein paar Asteroiden, so wie etwa Sedna, über den ich in der letzten Folge gesprochen habe, entfernen sich zwar sehr weit von der Sonne und manche Astronomen bezeichnen sie als Objekte der “inneren Oortschen Wolke”, also einer Art Übergangszone. Aber wirkliche Kometen in der Oortschen Wolke werden wir so schnell nicht beobachten können. Ein Felsbrocken, ein paar Kilometer groß, der sich mehr als 20 Billionen Kilometer von der Erde entfernt befindet – quasi schon auf halbem Weg zum nächsten Stern! – ist so gut wie unsichtbar! Er reflektiert so wenig Licht, das kein Teleskop das wir haben auch nur annähernd in der Lage wäre, ihn zu sehen.
Wir wissen, dass es die Oortsche Wolke gibt, weil wir die langperiodischen Kometen beobachten und die nicht aus dem Nichts kommen können. Es muss einen Ort geben, von dem aus sie sich auf den Weg zur Erde machen und dieser Ort ist die Oortsche Wolke. Das Niemandsland am äußersten Rand des Sonnensystems wird aber noch für sehr lange Zeit unerforscht bleiben. Egal wie viel es dort zu sehen gibt. Denn dort könnten wir neben unzähligen Kometen wahrscheinlich auch ein paar ausgewachsene Planeten finden. Aber dazu mehr in der nächsten Folge der Sternengeschichten.
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