Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 323: Die Spiralarme der Milchstraße
Die Milchstraße ist eine Galaxie. Nicht irgendeine Galaxie, sondern die Galaxie, zu der auch die Sonne und all ihre Planeten gehören. Zusammen mit ein paar hundert Millionen anderer Sterne gehört sie zu der riesigen Struktur, die wir “Milchstraße” nennen. Die Milchstraße kann man näherungsweise als eine Scheibe mit einer Dicke von etwa 3000 Lichtjahren und einem Durchmesser von etwa 180.000 Lichtjahren betrachten. Aber das ist natürlich nur eine sehr grobe Annäherung. Die Realität ist viel komplexer.
Obwohl es ziemlich schwierig ist, genau herauszufinden, wie unsere Milchstraße im Detail aussieht. Das scheint auf den ersten Blick seltsam zu sein. Immerhin ist es ja unsere Heimatgalaxie; über die sollten wir doch besser Bescheid wissen als über irgendwelche, Millionen Lichtjahre entfernte fremde Galaxien?
Im Prinzip ja. Aber genau so wie es schwierig ist, zum Beispiel die Form eines Waldes zu erkennen, wenn man sich mitten darin befindet, ist es auch schwierig die Milchstraße aus ihrem Inneren heraus zu beobachten. Wir sehen quasi die Galaxie vor lauter Sternen nicht… Aber natürlich haben wir im Laufe der Zeit schon einiges herausgefunden.
Ich habe in Folge 33 der Sternengeschichten schon ein wenig ausführlicher über die verschiedenen Arten von Galaxien erzählt. Unsere Milchstraße ist eine sogenannte Balkenspiralgalaxie. Das bedeutet, dass man sie in drei hauptsächliche Strukturen unterteilen kann. Im Zentrum befindet sich der “Bulge”, eine kugelförmige Region mit einem Durchmesser von etwa 16.000 Lichtjahren, in der sich sehr viele Sterne sehr dicht beieinander befinden. Von dieser Zentralregion ausgehend gibt es einen “Balken” – also ein einigermaßen gerades Band aus hellen Sternen. Von den Enden dieses Balkens gehen die Spiralarme aus, die in der den Bulge und Balken umgebenden galaktischen Scheibe liegen. Und diese Spiralarme wollen wir uns nun ein wenig genauer ansehen.
Dass es in der Milchstraße Spiralarme gibt, ist noch gar nicht so lange bekannt. Wir wissen ja überhaupt erst seit den 1920er Jahren, dass es so etwas wie Galaxien überhaupt gibt! Damals war es der amerikanische Astronom Edwin Hubble und seine Kollegen, die den “Andromedanebel” beobachteten und entdeckten, dass er eben gerade KEIN Nebel war, sondern eine sehr weit entfernte sehr große Ansammlung voller Sterne die uns nur wie eine nebelartige Wolke am Himmel erscheint. Und erst mit dieser Entdeckung war auch klar, dass unsere eigene Milchstraße ebenfalls eine solche Galaxie, eine “Sterneninsel” inmitten eines Universums voller anderer dieser Sterneninseln sein muss. Mit den immer besser werdenden Teleskopen konnte man immer mehr dieser fernen Galaxien beobachten. Sie hatten alle möglichen Formen – und viele von ihnen zeigten spiralförmige Strukturen. Wie die Struktur unserer Milchstraße aussieht, war allerdings unbekannt.
Bis zum 26. Dezember 1951. Da hielt der amerikanische Astronom William Morgan einen Vortrag bei einer Konferenz der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft in Cleveland. Am Ende der 15minütigen Präsentation applaudierte das Publikum nicht nur, sondern trampelte sogar mit den Füßen – eine außergewöhnlich begeisterte Zustimmung und ziemlich ungewöhnlich für eine wissenschaftliche Konferenz. Morgan stellte die Ergebnisse der Beobachtungen vor, die er gemeinsam mit seinen Kollegen Donald Osterbrock und Stewart Sharpless gemacht hatte. Sie hatten probiert, möglichste viele helle, heiße Sterne zu beobachten und ihre Position und Entfernung zu vermessen. Sterne, wie sie in den Spiralarmen von Galaxien besonders häufig vorkommen. Und tatsächlich fanden sie, dass diese Sterne in der Milchstraße ebenfalls spiralarmartige Strukturen bilden. Zwei Arme konnten Morgan und seine Kollegen mit ihren Daten nachweisen und so zum ersten Mal eindeutig zeigen, dass unsere Milchstraße eine Spiralgalaxie sein muss.
Mittlerweile wissen wir natürlich ein wenig besser Bescheid. Die Spiralarme einer Galaxie sind keine starren Strukturen wie die Speichen eines Fahrrads. Sie rotieren nicht um das Zentrum einer Galaxie herum, sondern sind Orte, an denen besonders helle und heiße Sterne entstehen, die entsprechend hell leuchten. Zwischen den Spiralarmen befinden sich ebenfalls Sterne, die aber dunkler sind. Die Sterne die in den Spiralarmen entstehen, bewegen sich im Laufe der Zeit von dort weg und verteilen sich in der galaktischen Scheibe. Aber in den Spiralarmen entstehen immer wieder neue Sterne, die erneut hell leuchten. Oder anders gesagt: Die Sterne entstehen nicht IN den Spiralarmen. Sondern WEIL in diesen Regionen einer Galaxie bevorzugt Sterne entstehen die hell leuchten, SEHEN wir sie als Spiralarme. Der Grund für die Sternentstehung in den Spiralarmen liegt in der kombinierten Gravitationswirkung aller Sterne der Galaxie, die dafür sorgt, das in manchen Bereichen mehr Gas zusammengeballt wird als anderswo und das aus diesem Gas dann neue Sterne entstehen können.
Ich hab das in Folge 33 der Sternengeschichten genauer erklärt. Auf jeden Fall wissen wir aber nun seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, dass es in der Milchstraße Spiralarme gibt. Sie hat zwei Haupt-Spiralarme und mehrere kleinere. Die beiden Hauptarme heißen “Perseus-Arm” und “Scutum-Centaurus-Arm”. Der Perseus-Arm heißt so, weil wir seine Sterne von der Erde aus besonders gut im Sternbild Perseus sehen können. Aber natürlich windet er sich durch die ganze Milchstraße. Er geht direkt von einem Ende des Balkens im galaktischen Zentrums aus und kommt auf seinen Windungen durch die Scheibe auch der Region nahe, in der sich das Sonnensystem befindet. Tatsächlich beträgt der Minimalabstand der Sonne zum Perseus-Arm nur 6350 Lichtjahre und damit ist der Perseus-Arm der Haupt-Spiralarm der Milchstraße, der uns am nächsten liegt.
Der Scutum-Centauraus-Arm, der manchmal auch Scutus-Crux-Arm genannt wird, ist der zweite Haupt-Spiralarm der Milchstraße, der vom anderen Ende des galaktischen Balkens ausgeht. Zwischen Perseus- und Scutum-Centaurus-Arm findet man aber noch mehrere kleinere Arme. Zum Beispiel den Orion-Arm, der auch unser Sonnensystem enthält. Der Orion-Arm ist etwa 10.000 bis 20.000 Lichtjahre lang, 2000 Lichtjahre breit. Die Sonne befindet sich in der Nähe des inneren Randes des Arms, also der Seite des Arms die näher am galaktischen Zentrum liegt. Dort, wo wir uns gerade aufhalten, hat der Orion-Arm quasi ein kleines Loch; eine Region in der sich vergleichsweise wenig interstellares Gas befindet. Man nennt das die “Lokale Blase” und vermutlich ist sie von einigen Supernova-Explosionen in der Vergangenheit leergefegt worden.
Dann gibt es noch den Carina-Sagittarius-Arm, ein weiterer kleiner Spiralarm. Der Orionarm befindet sich genau zwischen Perseusarm und Carina-Sagittarius-Arm; dieser Spiralarm ist also unser anderer Spiralarmnachbar in der Milchstraße. Der Norma-Arm liegt noch weiter enfternt von uns und ist der von uns ausgesehen innereste Spiralarm. Würden wir uns auf gerade Linie in Richtung des galaktischen Zentrums bewegen, würden wir zuerst den Carina-Sagittarius-Arm kreuzen, dann den Scutus-Crux-Arm, und dann den Norma-Arm. Auf dem entgegengesetzen Weg treffen wir auf den Perseus-Arm und dann eventuell wieder auf den Norma-Arm, der sich da schon einmal um die ganze Milchstraße gewandt hat. Oder vielleicht ist es da draußen auch schon wieder ein anderer Arm, der mit dem Norma-Arm nicht viel zu tun hat. Wie gesagt: Es ist knifflig, einen detaillierten Blick auf die Verteilung der Sterne zu kriegen, wenn man sich mitten zwischen ihnen befindet.
Und wir haben leider immer noch keinen wirklich umfassenden Überblick über die Verteilung aller Sterne in der Milchstraße. Wie denn auch – da sind ja ein paar hundert Millionen von den Dingern und von allen müssten wir exakte Helligkeiten, Positionen und Entfernungen bestimmen um eine Karte unserer Galaxie zeichnen zu können, die uns wirklich alle Spiralarme und die Zusammenhänge zeigt die es gibt. Das ist nicht nur schwierig, das ist fast unmöglich.
Selbst GAIA, das revolutionäre Weltraumteleskop zur Sternvermessung von dem ich in Folge 88 der Sternengeschichten erzählt habe, hat bei seiner Vermessung nur etwa eine Milliarde Sterne geschafft. Das ist zwar dramatisch viel mehr als wir bisher kannten, aber immer noch nur ein kleiner Bruchteil aller Sterne der Milchstraße. Die Auswertung dieser Daten wird uns sicherlich viele neue Erkenntnisse über die Struktur der Milchstraße liefern. Vielleicht auch ein paar alte Fragen beantworten. Etwa: Hängt der Orion-Arm mit dem Perseus-Arm zusammen? Zweigt er vom Perseus-Arm ab? Ist der Orion-Arm eine Verbindung zwischen Perseus-Arm und Carina-Sagittarius-Arm? Oder liegt er einfach so zwischen ihnen?
Es gibt noch viel zu entdecken. Die Milchstraße mag unsere kosmische Heimat sein. Aber auch in der Heimat kann noch jede Menge neue Sachen entdecken, wenn man nur genau genug hinsieht.
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