Zur Zeit macht ein offener Brief die Runde, dem eine Petition angeschlossen ist. “Kein Kernenergieausstieg in Belgien und Deutschland” wird da gefordert und eine “Klimapolitik mit Kernenergie”. Das halte ich für absolut keine gute Idee.
Es klingt ja auf den ersten Blick nicht schlecht, was der Klimaforscher James Hansen und die anderen Erstunterzeichner und -zeichnerinnen in ihrem offenen Brief fordern. Wenn wir die Folgen des Klimawandels gering halten wollen, müssen wir die CO2-Emissionen reduzieren und möglichst wenig fossile Brennstoffe benutzen. Gas- und Kohlekraftwerke müssen abgeschaltet werden. Und als Ersatz nutzen wir einfach eine Technologie, die wir schon haben: Atomkraftwerke die bei ihrem Betrieb kein Kohlendioxid produzieren.
Es ist ebenfalls ok, einen rationalen Blick auf die Kernkraftwerke zu richten. Betrachtet man das ganze nicht nur unter dem rein katastrophistischen Blickwinkel von Tschnernobyl und Fukushima sondern statistisch, dann ist die Kernkraft relativ sicher. Warum also nicht einfach diese Technik benutzen, um unseren Energiebedarf ohne Produktion von Treibhausgasen zu befriedigen?
“Mit einer guten Klimapolitik können wir die Zukunft der menschlichen Zivilisation zum Besseren wenden – auch jetzt und sofort durch eine schnellere Senkung der Luftverschmutzung. Dafür müssen wir uns von unbegründeten und tradierten Zwängen befreien und gemeinsam alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen. Dazu gehört auch die Kernenergie”
Ja, warum nicht die “unbegründeten und tradierten Zwängen” loswerden und den Klimawandel mit Kernenergie bekämpfen? Weil es zwar einfach klingt, aber nicht ganz so einfach ist. Erstens sind auch Atomkraftwerke nicht komplett emissionsfrei. Das mag für den Betrieb stimmen, aber nicht für den Bau, die Förderung der radioaktiven Elemente die für den Betrieb notwendig sind, und so weiter. Man kann darüber diskutieren, wie viel CO2 so ein Atomkraftwerk im Vergleich zu anderen Kraftwerken verursacht (es lässt sich nicht exakt sagen, vor allem weil es auch sehr darauf ankommt, wo und auf welche Weise das Uran gewonnen wir). Aber die Menge ist vergleichbar mit den Mengen bei den Kraftwerken die mit regnerativen Energien arbeiten. Dazu kommt, dass Uran zwar kein fossiler Brennstoff ist, aber durchaus nicht regenerativ und in beliebigen Mengen vorhanden. Eine “Zukunftstechnologie” ist die Kernkraft mit Sicherheit nicht.
Und selbst wenn wir korrekt feststellen, dass Kernkraftwerke rein statistisch sehr sicher sind und im Vergleich mit anderen Energieformen zu sehr wenig Todesopfern geführt haben, bleibt immer noch die Frage nach dem Müll. Beim Betrieb eines Kernkraftwerks wird zwar kein CO2 freigesetzt, aber es wird Müll produziert, der alles andere als ungefährlich ist. Und sehr, sehr lange sehr gefährlich bleibt! Das Problem des radioaktiven Mülls ist immer noch ungelöst! Gerade in Deutschland ist die Sache mit einem “Endlager” alles andere als erledigt; ganz im Gegenteil. Asse und Gorleben haben sich als nicht so sicher erwiesen wie man dachte und der Müll der dort eingelagert wurde, muss teilweise schon wieder rausgeholt werden (und all das produziert natürlich ebenfalls CO2). Abgesehen davon ist es illusorisch zu denken, man könne die geologischen Bedingungen für die enorm langen Zeiträume wirklich so exakt vorhersagen um sicher stellen zu können, dass der Müll so lange ungefährlich bleibt, bis er “nur” noch normaler Müll und nicht mehr radioaktiv ist.
Es ist auch ein klein wenig absurd, eine Energieform als “umweltfreundlich” zu bezeichnen, die so viele so gefährliche Abfälle erzeugt; Abfälle die wir mit großem Aufwand sichern müssen und bei denen uns trotzdem nichts anderes einfällt als sie in der Erde zu verbuddeln und zu hoffen, dass sie die nächsten Jahrhunderttausende von niemandem gefunden werden. Und was ist mit der “Transmutation”, also der Umwandlung von stark radioaktivem Atommüll in weniger stark strahlende Substanzen bzw. der Nutzung von Atommüll als Energiequelle? Die mag vielleicht auf dem Papier existieren; ob das in der Realität auch funktioniert und zwar auf eine Weise die man auch sinnvoll und in großem Maßstab umsetzen kann, weiß niemand. Entsprechende Versuchsanlagen liegen weit in der Zukunft und diese Technik ist derzeit genau so fern wie die Kernfusion.
Hier sind wir jetzt auch bei dem Punkt angelangt, der für mich am wichtigsten bei der ganzen Sache ist. Vermutlich wäre es kurzfristig tatsächlich gut fürs Klima, wenn wir fossile Brennstoffe durch Kernenergie ersetzen würden. Aber eben nur kurzfristig und darauf kommt es an! Wenn wir aus der Beschäftigung mit dem Klima etwas gelernt haben sollten, dann die Tatsache, dass es hier um etwas geht das man langfristig betrachten muss! Es ist verführerisch auf scheinbar schnelle Lösungen zu setzen. Aber auch gefährlich. Es wird das Klima nicht retten, wenn wir jetzt auf die Kernkraft setzen! Was viel eher passieren wird: Wir freuen uns dann alle über die “saubere” Energie und machen ansonsten weiter wie bisher. Bis wir das Problem des Klimawandels erneut präsentiert kriegen und dann viel stärker als zuvor (inklusive des neuen und dann ebenfalls viel massiveren Problems des Atommülls). Die Forderung von “Klimapolitik mit Kernenergie” kombiniert die attraktive Idee der schnellen Lösung eines komplizierten Problems mit der ebenso attraktiven Idee der Problemlösung durch zukünftige Innovation. Genau darüber habe ich vor einiger Zeit schon mal angesichts der absurden Äußerungen von Christian Lindner geschrieben. Es ist in bestimmten politischen/weltanschaulichen Gruppen sehr populär angesichts der Probleme des Klimawandels auf die “Macht” der Wissenschaft hinzuweisen. Irgendwer werde, so die Argumentation, in Zukunft schon irgendwas erfinden mit dem sich die heute existierenden Probleme lösen lassen. Was recht praktisch ist, denn wenn alles in der Zukunft sowieso gelöst wird, brauchen wir uns heute nicht darum kümmern. Es ist viel einfacher auf das von Christian Lindner versprochene “Wasserstoffflugzeug” zu warten und weiter per Billigflieger durch die Welt zu reisen anstatt sich jetzt damit auseinander zu setzen, dass der Flugverkehr ein großes Problem ist, mit dem irgendwie umgegangen werden muss.
Wenn die Zukunft die Probleme löst, kann ich heute noch fröhlich und fast ohne schlechtes Gewissen die nächsten Flüge buchen; das nächste große Auto kaufen; und so weiter. Aber mit der Einstellung werden Probleme eben normalerweise gar nicht gelöst! Und genau das ist auch der Grund, weswegen ich den Aufruf nach “Klimapolitik mit Kernenergie” so kritisch sehe. Auch wird eine schnelle Lösung versprochen die uns aber davon abhält, uns wirklich und nachhaltig mit dem Problem auseinanderzusetzen. Der Klimawandel ist ein gewaltiges Problem und er ist ein globales Problem. Da fällt es uns einzelnen Menschen sehr leicht, einfach zu resignieren. Und darauf zu warten, dass “die Politik” was dagegen tut oder halt eben “die Zukunft”. Aber auch wenn die Politik tatsächlich etwas tun muss, dürfen wir nicht vergessen, dass jeder einzelne von uns nicht nur Einfluss darauf hat, was die Politik tun soll sondern auch jeder einzelne von uns Einfluss auf die Welt hat. “Man kann eh nix gegen den Klimawandel tun” ist großes Missverständnis. Selbstverständlich kann man!
Wenn wir das Problem mit dem Klima NACHHALTIG in den Griff bekommen wollen, wird kein Weg an den regenerativen Energien vorbei führen. Den Menschen zu versprechen man könne die Sache mit Atomkraft lösen ist gefährlich. Denn es bringt uns von dem Weg ab, den wir gehen müssen. Abgesehen von allen anderen Problemen die die Kernkraft mit sich bringt halte ich das in diesem Zusammenhang für das größte: Es ist ein falsches Versprechen von Sicherheit und Klimafreundlichkeit; ein Versprechen auf Zeit, das uns davon abhält das zu tun, was dringend nötig ist. Und wenn das Versprechen irgendwann abgelaufen ist, haben wir die gleichen Probleme wie jetzt, nur sehr viel stärker als zuvor.
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