Als 2017 das erste interstellare Objekt bei der Durchquerung unseres Sonnensystems entdeckt wurde, habe ich am Ende meines Artikels geschrieben dass so etwas nun vermutlich öfter passieren wird. Also nicht, dass jetzt mehr Objekte von außerhalb des Sonnensystems zu uns kommen würden. Die hat es immer schon gegeben und es gibt keinen Grund davon auszugehen dass sich ihre Anzahl aus irgendeinem Grund dramatisch verändert hat. Aber wir sind nun technisch in der Lage solche Objekte besser und verlässlicher zu erkennen. Und tatsächlich hat man nun ein zweites interstellares Objekt gefunden. Vermutlich (aber dazu gleich mehr). Es handelt sich nicht um einen Asteroiden, wie 2017. Diesmal war es ein Komet.

Entdeckt hat ihn der Hobby-Astronom Gennady Borisov am 30. August 2019 mit einem selbstgebauten Teleskop (das einen Spiegel mit der beachtlichen Größe von 65 Zentimetern hat) von der Halbinsel Krim aus. Er kommt aus Richtung des Sternbilds Kassiopeia auf das innere Sonnensystem zu und wir den sonnennächsten Punkt seiner Bahn um den 7. Dezember 2019 herum erreichen. Dabei wird er circa so weit von der Sonne entfernt sein wie der Mars; der Erde wird er nicht näher kommen als 300 Millionen Kilometer (was dem doppeltem Abstand zwischen Sonne und Erde entspricht). Der Komet bewegt sich auch nicht in der gleichen Ebene wie die Planeten des Sonnensystems sondern kommt quasi von “oben”, unter einem Winkel von 45 Grad – die Ebene des Planetensystems wird er Ende Oktober kreuzen.

Anfangs war noch nicht ganz klar ob es sich wirklich um ein Objekt handelt, das aus dem interstellaren Raum ins Sonnensystem gekommen ist und es nach einem Vorbeiflug wieder verlassen wird oder ob es ein ganz “normaler”, das heißt dauerhaft gravitativ an die Sonne gebundener Himmelskörper ist. In dem Fall liegt es an der Art und Weise wie der Komet entdeckt worden ist und an der Art des Objekts selbst. Wir müssen die Bahn kennen, auf der sich ein Objekt bewegt wenn wir unterscheiden wollen ob es zum Sonnensystem gehört oder nicht. Handelt es sich um einen geschlossenen Orbit, also eine elliptische Bahn, dann ist der Himmelskörper an die Sonne gebunden und umkreist sie dauerhaft. Im anderen Fall muss es ein Objekt sein, das von außen kommt und nach einem Vorbeiflug auch wieder im Raum zwischen den Sternen verschwindet. Auch die Geschwindigkeit kann uns sagen, ob es sich um einen interstellaren Körper handelt oder nicht: Wenn sich ein Objekt schneller bewegt als die Fluchtgeschwindigkeit des Sonnensystems, dann kann es logischerweise auch nicht gravitativ an die Sonne gebunden sein sondern wird ihre Anziehungskraft über- und selbst verschwinden.

Um Bahn und Geschwindigkeit bestimmen zu können braucht man möglichst genau Positionsmessungen zu möglichst vielen verschiedenen Zeitpunkten. Das war der erste Grund für die anfängliche Unsicherheit: Es gab noch zu wenig Daten. Der zweite Grund war die Art der Messung: Bei den großen Teleskopen der professionellen Sternwarten weiß man ziemlich gut um die Eigenheiten der Instrumente und weiß auch, wo ihre Grenzen liegen. Man kann also die Messfehler sehr gut angeben und daraus die Genauigkeit der Beobachtungsdaten bestimmen. In dem Fall war es aber keine professionelle Sternwarte an der die ersten Beobachtungen gemacht worden sind sondern das Teleskop eines Hobby-Astronomen. Damit will ich nicht sagen, dass die Hobby-Astronominnen und -Astronomen schlechter arbeiten! Ganz im Gegenteil; gerade in der Astronomie ist deren Arbeit enorm wichtig und immer wieder werden von ihnen relevante Entdeckungen gemacht. Aber es war eben anfangs noch nicht klar wie das entsprechende Instrument einzuschätzen und wie die Daten genau auszuwerten sind.

Der dritte Grund liegt in der Natur des Objekts selbst: Es handelt sich um einen langperiodischen Kometen. Weil es ein Komet ist, ist das reflektierte Licht das wir beobachten keine Punktquelle. Ein Komet ist von einer Hülle aus Gas und Staub umgeben, es ist eine diffuse und ausgedehnte Lichtquelle und das macht es schwerer eine genaue Position zu bestimmen. Und weil es ein langperiodischer Komet ist, hat er von Natur aus eine sehr langgestreckte Umlaufbahn. Selbst die langperiodischen Kometen die zu unserem Sonnensystem gehören sind oft nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Ihre Bahnen sind so langgestreckte Ellipsen, dass sie gar nicht mehr wie geschlossene Umlaufbahnen aussehen. Der Unterschied zur offenen Bahn eines interstellaren Objekts ins klein und wenn die Beobachtungsdaten ungenau sind, lässt sich schwer entscheiden, mit was man es zu tun hat.

Kometen sind diffus… wie hier der berühmte Komet Halley (Bild: NASA/W.Lille)

In dem Fall sieht es aber mittlerweile wirklich so aus, als hätten wir es mit einem weiteren Objekt aus dem interstellaren Raum zu tun. Ich habe in meinem früheren Artikel schon ausführlich erklärt warum das für die Wissenschaft so wichtig ist. Die Astronomie ist eine tolle Disziplin und die Forscherinnen und Forscher machen großartige Arbeit. Aber im Gegensatz zu anderen Wissenschaften leiden wir unter dem Problem der Distanz. Alles ist enorm weit weg und (halbwegs) detaillierte Forschung können wir nur an den Objekten unseres eigenen Sonnensystems durchführen. Wir können in absehbarer Zukunft keine Raumsonden zu anderen Sternen und den dort existierenden Himmelskörpern schicken. Wir können nur die Planeten, Asteroiden und Kometen in unserem eigenen Sonnensystem vor Ort erforschen. Daraus lernen wir zwar enorm viel. Aber es ist eben doch nur ein Planetensystem, das wir auf diese Art erforschen können. Und in der Wissenschaft hat man immer gerne mehr als nur einen Datenpunkt. Denn wir sind ja auf der Suche nach allgemeinen Prinzipien, nach Naturgesetzen, nach Regeln die das große Ganze im Universum bestimmen. Wenn es um die Eigenschaften, die Entstehung und das Verhalten von Planetensystemen geht, brauchen wir daher auch mehr als nur eines das wir genau untersuchen können. Und wenn wir nicht zu den Sternen fliegen können, dann müssen wir das nutzen, was die Sterne zu uns schicken. Vor allem ihr Licht – aber ab und zu eben auch ein Objekt aus ihren Planetensystemen, so wie diesen Kometen.

Auch den werden wir nicht aus der Nähe erforschen. Es gibt zwar Überlegungen wie man dort in den nächsten Jahrzehnten eine Raumsonde hinschicken könnte. Aber so langsam wie die Prozesse der Raumfahrtagenturen ablaufen, ist das eher nicht realistisch. So wie ‘Oumuamua, den wir 2017 entdeckt haben, wird sich auch C/2019 Q4 (Borisov) ohne Besuch von der Erde wieder aus dem Sonnensystem entfernen. Aber beide Himmelskörper haben deutlich gemacht, dass es die Möglichkeit gibt, Material aus anderen Planetensystemen vor unserer Haustür erforschen zu können. Der nächste Besucher von den Sternen kommt mit Sicherheit. Und irgendwann werden wir ausreichend vorbereitet sein und diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen!

Kommentare (14)

  1. #1 Ingo
    16. September 2019

    Ich glaube ich habe ein Verstaendnissproblem bezueglich eines moeglichen Sondenbesuches.

    Wenn ein interstellares Objekt in unseren Sonnensystem “zu besuch” ist, dann ist es doch maximal ein paar Wochen (mit Glueck ein paar Monate) hier unterwegs, bevor es wieder in den unerreichbaren interstellaren Raum verschwindet.

    Wie genau soll man in so kurzer Zeit dort eine Sonde hinbekommen?

    Selbst angenommen dass eine Sonde sofort bei Entdeckung starten koennte,- so sind doch die Anflugbahnen zu irgendwelchen Kometen unglaublich lang.
    Die Sonden sind einfach Jahre unterwegs (mit Swingby-Manoevern, mehreren Flybys etc etc) bis sie am Kometen ankommen.

    Da reicht die Zeit doch nicht.
    Oder doch??

  2. #2 trunk
    16. September 2019

    Wegen der Bestimmung der Bahndaten: gab/gibt es da nicht auch das Problem, dass der Komet aus Sicht der Erde momentan sehr nah an der Sonne ist und er daher sehr dicht am Erdhorizont beobachtet werden muss? Und da gibt es zusätzliche Unsicherheitsfaktoren wegen der Atmosphäre.

    Ist die Nähe zur Sonne nicht auch der Grund, warum das Objekt erst ab Mitte Oktober von den großen Teleskopen beobachtet werden kann?

    Und stimmt es wirklich, dass er ein selbstgebautes Teleskop verwendet hat? Medienberichten zufolge hat Gennadi Borisow das Objekt am “Crimean Astrophysical Observatory” entdeckt. Hat er seinem eigenen Observatorium diesen Namen verpasst? Oder hat er sein eigenes Teleskop an einem staatlichen Observatorium verwenden dürfen?

  3. #3 UMa
    16. September 2019

    @Ingo: Wenn man die Sonde erst bauen muss komm man natürlich zu spät.

    Wenn man aber zum Beispiel zehn oder mehr relativ kleine und preiswerte Sonden baut und sie ca. eine pro Jahr zu bekannten Kometen (und Asteroiden) des Sonnensystems schickt, hat man im Falle einer Entdeckung eines weiteren interstellaren Kometen eine Sonde und kann sie mit etwas Glück zu ihm starten.

    Der optimale Startzeitpunkt zu C/2019 Q4 (Borisov) wäre im Juli 2018 gewesen. Hätte man also solche Sonden schon vorrätig und C/2019 Q4 (Borisov) nicht erst am 30. August 2019 sondern schon Anfang Mai 2018 oder eher entdeckt, hätte man eine Chance gehabt. Der Vorbeiflug bei C/2019 Q4 (Borisov) mit 33,6 km/s wäre bei einem Start am 13. Juli 2018 am 26. Oktober 2019 gewesen. Siehe:
    https://arxiv.org/abs/1909.06348
    Irgendwelche Sonde hinterher zu schicken die den Kometen erst nach Jahrzehnten erreichen, bringt m.E. wenig. Bis dahin wird man vermutlich weitere interstellare Kometen entdeckt haben.

  4. #4 Ingo
    16. September 2019

    Eventuell koennte man auch Sonden “auf Vorrat” irgendwo im Sonnenorbit parken.
    Sobald dann eine Entdeckung eines interstellaren “Besuchers” bekannt wird, koennte man dann den Kurs entsprechend anpassen.
    Trotzdem bleibt die Frage: Wie genau?
    Eine Sonde ist ein Auto was man eben mal spontan umsteuern kann. MAn braucht schon den richtigen Swing-By-Planeten in der richtigen Konstellation um auf den richtigen Kurs zu kommen. Und dort muss man dann auch erstmal hinkommen.

    Eventuell koennte man ja eine Sonde in gegenlaeufiger Umlaufbahn zwischen zwei Planeten um die Sonne parken.
    Dann haette man pro Umlauf zwei bis vier Planeten die man relativ schnell erreichen koennte, um diese als Swing-by zu nutzen, um so relativ schnell auf eine Vorbeiflugbahn nach ueberall zu kommen.
    So koennte man evt. relativ schnell (innerhalb 1/2 Jahr) schon etwas reissen.

  5. #5 UMa
    16. September 2019

    @Ingo: Ein Swingby dürfte für eine einfache Vorbeiflugsonde unnötig kompliziert sein.

    In einen gegenläufigen Orbit um die Sonne zu kommen ist sehr viel schwerer als ein Vorbeiflug an einem Kometen.

    Wenn man die Sonde erst startet, nachdem die Bahn des Kometen bekannt ist, kann man den https://de.wikipedia.org/wiki/Oberth_Effect
    ausnutzen, da der größte Teil des Treibstoffes nahe der Erde verbrannt wird.

  6. #6 Zhar
    16. September 2019

    was ich mich immer frage:
    “Handelt es sich um einen geschlossenen Orbit, also eine elliptische Bahn, dann ist der Himmelskörper an die Sonne gebunden und umkreist sie dauerhaft. Im anderen Fall muss es ein Objekt sein, das von außen kommt”
    muss das so sein? gibt es nicht auch Ereignisse, die Objekte unseres Sonnensystems über Fluchtgeschwindigkeit beschleunigen? Swingby oder Kollision in der Oortschen Wolke zB, oder ein größerer Einschlag, der ein Bruchstück herausschleudert? Gibt es dazu Abschätzungen?

  7. #7 Dampier
    16. September 2019

    Danke für den Artikel, darauf hatte ich gehofft in den letzten Tagen.

    sondern wird ihre Anziehungskraft über- und selbst verschwinden.

    Welch ein schöner gewagter Ergänzungsbindestrich! das gibt noch’n Sternchen in der B-Note dazu :-]

  8. #8 jere
    16. September 2019

    Ich muss sagen, die Bezeichnung “langperiodisch” mag zwar die richtige sein, aber ein bisschen eigenartig ist sie in diesem Fall ja schon 😀

  9. #9 noch'n Flo
    Schoggiland
    17. September 2019

    @ Chris:

    Übelst den Ausfluss bekomm ich von die Weizen.
    Brauch ich Wissenschaft wegen die Ausfluss.

    Lass einfach die Weizen weg, dann verschwindet auch der Ausfluss und Du brauchst deswegen keine Wissenschaft mehr. Ist auch gesünder.

  10. #10 trunk
    18. September 2019

    Was ich noch fragen wollte: die Geschwindigkeit des Objekts ist etwas mehr als 30 km/s. Damit eine Größenordnung geringer als die Fluchtgeschwindigkeit der Milchstraße. Nun bewegt es sich aber auf einer Hyperbelbahn, ist aber trotzdem gravitativ an der Milchstraße gebunden. Gibt es in der Milchstraße in den äußeren Gebieten überhaupt elliptische Bahnen um das Zentrum? Oder bewegen sich die Objekte dort allesamt auf hyberbelartigen oder chaotischen Bahnen?

    (dass sich die Sterne, die nahe an SgrA* sind, auf elliptischen Bahnen bewegen, ist mir klar)

  11. #11 Alderamin
    18. September 2019

    @trunk

    Was ich noch fragen wollte: die Geschwindigkeit des Objekts ist etwas mehr als 30 km/s. Damit eine Größenordnung geringer als die Fluchtgeschwindigkeit der Milchstraße.

    Das ist ja nur die Relativgeschwindigkeit des Kometen zur Sonne. Natürlich kreist er mit der Sonne mit ca. 200-250 km/s um die Milchstraße. So wie der Mond die Erde mit ca. 1 km/s umkreist, aber mit der Erde die Sonne mit 30 km/s.

    Nun bewegt es sich aber auf einer Hyperbelbahn, ist aber trotzdem gravitativ an der Milchstraße gebunden.

    Er bewegt sich auf einer Hyperbelbahn relativ zur Sonne und nur in deren Nähe, aber insgesamt auf einer elliptischen (vermutlich fast kreisförmigen) Bahn um die Milchstraße. Er kam der Sonne zufällig nahe und die hat ihn etwas abgelenkt, eine Art Swing-by-Manöver.

    Gibt es in der Milchstraße in den äußeren Gebieten überhaupt elliptische Bahnen um das Zentrum? Oder bewegen sich die Objekte dort allesamt auf hyberbelartigen oder chaotischen Bahnen?

    So gut wie alle Objekte umkreisen die Milchstraße auf elliptischen Bahnen. Wenn sich alle auf Hyperbelbahnen bewegten, wären sie ja schneller als die Fluchtgeschwindigkeit der Milchstraße unterwegs und die würde dann gewissermaßen auseinander fallen.

  12. #12 Flandry
    25. September 2019

    Seit dem 24.9. trägt der Komet die Bezeichnung “2I/Borisov” und ist offiziell als interstellares Objekt klassifiziert.

    ( https://twitter.com/astrokiwi/status/1176499475843637248 )

  13. #13 Elmar Rave
    Nordkirchen NRW
    14. Oktober 2019

    Ich würde mir den Kometen Borisov gerne mal in meinem Teleskop ansehen, weiß aber nicht, wann er in welchem Sternbild unterwegs ist. Kann mir bitte mal jemand einen Link zu einer entsprechenden Karte in die Antwort stellen?
    Vielen Dank!

  14. #14 Alderamin
    14. Oktober 2019

    @Elmar Rave

    Derzeit 16,76 Größenklassen – wenn Dein Teleskop ca. 80 cm Öffnung hat, kannst Du es hiermit versuchen. Fotografisch reicht ein deutlich kleineres Teleskop, 20 cm oder so.