Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 364: Tokamak und Stellarator – Wie man Kenrfusionsreaktoren baut
In der letzten Folge der Sternengeschichte habe ich erklärt wieso man durch die Kernfusion Energie gewinnen kann. Wieso also Energie frei wird, wenn leichte Atome wie zum Beispiel Wasserstoff zu schwereren Atomen wie etwa Helium fusionieren. Denn das ist tatsächlich so; das ist der Grund warum Sterne leuchten.
Wir wissen also, dass Kernfusion prinzipiell funktioniert. Die leuchtenden Sterne machen es uns ja recht eindrucksvoll vor. Wir würden die Kernfusion gerne aber auch selbst und hier auf der Erde ablaufen lassen können. Denn dann hätten wir einen sehr effizienten und auch halbwegs sauberen Weg gefunden, unseren Energiebedarf zu stillen. Wir haben es aber ein wenig schwerer als es ein Stern hat und warum das so ist, ist das Thema der heutigen Folge.
Um einen Kernfusionsreaktor bauen zu können muss man zwei Probleme lösen. Erstens: Was verwendet man als Treibstoff? Und zweitens: Wie bringt man den Treibstoff dazu zu fusionieren und zwar einerseits dauerhaft und andererseits so, dass dabei mehr Energie freigesetzt wird als man für den Betrieb des Reaktors benötigt?
Bei der ersten Frage können wir uns zumindest schon mal nicht an der Sonne orientieren. Ich habe das in der letzten Folge ja schon erklärt. Dort fusionieren Wasserstoffatome über mehrere Zwischenschritte zu Helium. Das funktioniert, aber nur weil es in der Sonne sehr, sehr viel Wasserstoff gibt. Der sogenannte Wirkungsquerschnitt dieser Fusionsreaktion ist sehr gering; man braucht also sehr, sehr viel Wasserstoff damit am Ende genug Energie rauskommt. Solche großen Mengen gibt es in der Sonne aber nicht hier auf der Erde. Für eine technische Nutzung hier auf der Erde wäre eine Fusion von Deuterium mit Tritium am besten geeignet. Das ist beides auch Wasserstoff, allerdings nicht die “normale” Variante. Der normale Wasserstoff hat einen Atomkern der nur aus einem einzigen elektrisch positiv geladenen Proton besteht. Bei Deuterium besteht der Kern aus einem Proton und einem elektrisch nicht geladenen Neutron (das ist die zweite Art von Baustein die man in einem Atomkern finden kann). Tritium hat ein Proton und zwei Neutronen. Beide können zusammen fusionieren und dann kriegt man einen Kern aus zwei Protonen, zwei Neutronen – also Helium. Übrig bleiben ein Neutron und der Rest der bei der Fusion freiwerdenden Energie.
Es gäbe auch noch andere Möglichkeiten: Man kann zum Beispiel zwei Deuteriumatome miteinander fusionieren lassen. Manchmal entsteht dabei ein Tritiumatom und ein überzähliges Proton; manchmal kriegt man ein Helium-3-Atom (das zwei Protonen und ein Neutron im Kern hat) und ein übrig bleibendes Neutron. Wenn sich dann zwei Tritiumatome treffen können sie zu einem Helium-Atom fusionieren; genau so wie die Helium-3-Atome mit einem Deuterium-Atom Helium bilden können. Man könnte auch direkt zwei Helium-3-Atome nehmen und zu normalen Helium fusionieren. Aber das wird schon wieder kompliziert. Denn im Gegensatz zu allen Varianten des Wasserstoffs der ja immer nur ein Proton im Kern hat, haben alle Helium-Varianten zwei Protonen. Diese elektrisch positiv geladenen Teilchen stoßen sich aber gegenseitig ab und bei der Kernfusion geht es ja gerade darum, diese Abstoßungskraft zu überwinden damit die Atome sich verbinden können. Zwei Protonen üben aber natürlich eine wesentlich größere Abstoßung aus als nur eines und deswegen ist es schwerer Helium zu fusionieren als Wasserstoff. Abgesehen davon gibt es auf der Erde so gut wie keine natürlichen Helium-3-Vorkommen. Die gäbe es im Gestein des Mondes – was aber recht schwer in großen Mengen zu kriegen ist…
Der Brennstoff der Wahl ist also ein Gemisch aus Deuterium und Tritium. Deuterium findet man überall dort wo auch Wasserstoff ist, also etwa in großen Mengen in den Ozeanen der Erde. Da ist auch Tritium, das allerdings den Nachteil hat, radioaktiv zu sein. Nicht extrem stark, aber doch so, dass man aufpassen muss wenn man damit hantiert. Deswegen hat man bei den bisherigen Versuchen einen Kernfusionsreaktor zu bauen auch vorerst Wasserstoff und Deuterium verwendet und auf das Tritium verzichtet. Das, was es da zu testen gibt kann man auch bei den Fusionsreaktionen dieser beiden Atome gut testen. Und zu testen gibt es viel!
Denn neben der Wahl des Brennstoff ist da ja noch das große, zweite Problem: Wie bringt man das Zeug dazu, miteinander zu fusionieren? Und nicht nur das: Wie bringt man es dazu, ausreichend lange miteinander zu fusionieren und dabei so viel Energie freizusetzen das es sich wirtschaftlich auch lohnt? Dazu muss man das Gemisch aus Atomen erst einmal ausreichend aufheizen. Und es dann irgendwo aufbewahren. Will man Deuterium und Tritium wirtschaftlich fusionieren lassen, muss das Zeug mindestens 150 Millionen Grad heiß sein; zehnmal so heiß wie im Inneren der Sonne. Und es gibt kein Material, das solchen Temperaturen standhalten kann. Der einzige Weg etwas so extrem heißes aufzubewahren ist ein Magnetfeld. Die Idee dabei ist diese: Wenn man ein Gas ausreichend stark erhitzt, dann wird es ionisiert. Das heißt, die Elektronen aus der Hülle der Atomkerne lösen sich von den Atomkernen. Das ist sowieso gut, denn die Elektronen würden bei der Fusion nur stören, die muss man sowieso irgendwie loswerden. Übrig bleibt dann ein sogenanntes Plasma, also ein Gas in dem die Atomkerne ohne an sie gebundene Elektronen existieren. Das ist nun auch elektrisch geladen, da die Atomkerne selbst auch elektrisch positiv geladen sind. Man kann ein Plasma also durch Magnetfelder manipulieren und “einsperren”.
So weit die Theorie. Die Praxis ist deutlich schwieriger. Denn es reicht nicht, das Plasma – das wie gesagt über 100 Millionen Grad heiß ist – einfach nur “irgendwie” einzuschließen. Es muss dicht genug zusammengequetscht werden, damit sich die Atome auch ausreichend oft begegnen um miteinander fusionieren zu können. Dazu ist ein Druck von etwa einem Bar notwendig. Das ist in etwa der Luftdruck der auf der Erdoberfläche herrscht und das klingt nicht nach sehr viel. Aber es geht eben – und man kann es nicht oft genug sagen! – nicht um Luft die vielleicht 10 oder 20 Grad hat sondern ein Plasma mit 100 bis 200 Millionen Grad! Dementsprechend schnell sausen die Teilchen durch die Gegend und dementsprechend schwierig ist es, sie zusammenhalten UND dabei noch einen Druck von einem Bar aufrecht zu erhalten. Man braucht also starke Magnetfelder. Und nicht einfach nur irgendwelche Magnetfelder. Die einfachste Möglichkeit wäre ein Magnetfeld einer simplen Zylinderspule. Also das, was man bekommt, wenn man zum Beispiel einen Draht spiralförmig um einen Stock wickelt. Fliegen geladene Teilchen durch ein von so einer Spule verursachtes Magnetfeld, dann können sie – wieder sehr vereinfacht gesagt – nur vor und zurück aber nicht seitlich aus der Spule hinaus. Sie können aber sehr wohl vorne und hinten aus der Spule rausfliegen und tun das auch sofern nicht irgendwer mal eine unendliche lange Spule konstruiert. Was natürlich unmöglich ist, weswegen man eine andere Idee hatte. Man kann die Zylinderspule einfach zu einem Torus zusammenbiegen. Dann kriegt man etwas, das wie ein Donut aussieht. Jetzt sausen die Teilchen entlang dieser Toruspule im Kreis herum. Nur leider ist nun die Abschirmung zu den Seiten hin nicht mehr optimal. Würde man ansonsten nichts unternehmen wären die geladenen Teilchen des heißen Plasmas schnell aus dem Torus hinausgeflogen. Um das zu verhindern muss man das Magnetfeld auf sehr – wirklich sehr! – komplizierte Art und Weise verdrillen und verdrehen.
Das kann man auf zwei Arten erreichen: Entweder man umgibt den Torus mit einer sehr – und wieder: WIRKLICH sehr – komplizierten Anordnung aus verdrehten und verdrillten Spulen. Oder man belässt es bei einer einfacheren Torusspule, leitet aber zusätzlich auch Strom durch das sich bewegende Plasma selbst. Das erzeugt dann auch wieder ein Magnetfeld, das mit den anderen Magnetfeldern wechselwirkt. Der erste Typ von Kernfusionsreaktor wird “Stellarator” genannt und wurde 1951 von Lyman Spitzer erfunden (über den ich in Folge 362 schon in ganz anderem Zusammenhang gesprochen habe). Eine der bedeutendsten Anlagen bei denen der Bau von Stellaratoren erforscht wird steht in Greifswald an der Ostseeküste und wird vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik betrieben. Das zweite Prinzip nennt sich “Tokamak” und wurde Ende der 1960er Jahren in der Sowjetunion entwickelt. Der sogenannte “Joint European Torus (JET)” in Großbritannien oder der in Bau befindliche ITER sind Tokamaks. Beiden Typen ist es aber gemeinsam, dass sie sich mit den Schwierigkeiten eines heißen, chaotischen Plasmas herumärgern müssen.
Ich habe in Folge 217 der Sternengeschichten ja schon einmal ausführlich über die sogenannten “Navier-Stokes-Gleichungen” gesprochen. Das sind sehr komplexe mathematische Gleichung die – unter anderem – das Verhalten eines strömenden Gases oder Plasmas beschreiben. Und sie sind deswegen sehr komplex, weil sich dieses Zeug eben sehr ungern nett und ordentlich bewegt. Dazu braucht man nur mal einen Fluss betrachten. Überall gibt es Wirbel, Strömungen, Unregelmäßigkeiten, und so weiter. Das ganze ist potentiell chaotisch und die Bewegung eines fließenden Materials in seltensten Fällen exakt vorhersagbar. Es wäre auch überraschend wenn das so wäre: Immerhin haben wir ein elektrisch leitendes Plasma, das durch Magnetfelder beeinflusst wird, selbst aber auch Magnetfelder produziert und noch dazu seine Eigenschaften mit der Bewegung, mit Änderungen in Temperatur, Druck und so weiter ständig ändert. Wodurch sich die Magnetfelder ändern, was Auswirkungen auf die Bewegung und die Eigenschaften des Plasmas hat, was wieder Auswirkung auf die Wechselwirkung mit den Magnetfeldern hat, und so weiter.
Das große Problem der Fusionsforschung ist es, mit diesen Instabilitäten und dem Chaos irgendwie klar zu kommen. Beim Stellarator muss man durch komplexe Computersimulationen und Tests eine funktionierende Anordung von Spulen finden die nüchtern betrachtet so aussieht wie irgendwas, was Salvador Dali gemalt haben könnte. Und beim Tokamak muss man nicht nur die ganzen Rückkopplungseffekte in den Griff kriegen die entstehen wenn man ein Plasma nicht nur durch Magnetfelder kontrollieren sondern es auch noch selbst zur Produktion von Magnetfeldern einsetzen will. Sondern hat das zusätzliche Problem dass man wegen all dieser Instabilitäten das Magnetfeld im Plasma immer nur für kurze Zeit aufrecht erhalten kann. Man muss das Kraftwerk also quasi ständig ein und gleich wieder ausschalten und in den kurzen Phasen der Aktivität trotzdem Strom in wirtschaftlichen Mengen erzeugen.
Prinzipiell gäbe es auch noch andere Ansätze um Energie durch Kernfusion zu erzeugen. Man kann zum Beispiel nur sehr, sehr wenig Brennstoff nehmen und diesen sehr, sehr schnell auf sehr, sehr hohe Temperaturen bringen. Konkret nimmt man ein wenig Brennstoff und beschießt ihn dann gleichmäßig von allen Seiten mit sehr starken Lasern. Dabei wird der Wasserstoff so schnell komprimiert dass er fusioniert und Energie freisetzt. Aber auch hier hat man Probleme mit den Instabilitäten: Wenn der Beschuss nicht wirklich SEHR gleichmäßig ist, dann wird nix draus; man kann das ungefähr mit dem Versuch vergleichen, einen aufgeblasenen Luftballon gleichmäßig zusammenzudrücken. Irgendwo ploppt da immer ein Teil raus; jede noch so kleine Unregelmäßigkeit in der Kompression verstärkt sich sofort extrem. Um hier wirtschaftlich Energie zu produzieren müsste man auch sehr viele der kleinen Brennstofftargets sehr schnell hintereinander mit dem Laser beschießen und mehr Energie rauskriegen, als der Betrieb der gewaltigen Laser verbraucht. Das ist bis jetzt noch nicht gelungen und wird mittlerweile als so unrealistisch angesehen, dass man diese Art der Kernfusion nicht mehr ernsthaft zur Energiegewinnung in Betracht zieht. Genau so übrigens wie die “Kalte Fusion” von der ich in Folge 353 erzählt habe und die mittlerweile ins Reich der Pseudowissenschaft abgerutscht ist.
Seit den 1950er Jahren arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überall auf der Welt daran, die Kernfusion wirtschaftlich nutzbar zu machen. Sie haben große Fortschritte gemacht, aber wir sind immer noch sehr, sehr weit davon entfernt unseren Energiebedarf durch Fusion stillen zu können. Welche Geräte, Reaktoren und Anlangen man in der Vergangenheit gebaut hat, was für die Zukunft geplant ist und wie weit wir wirklich von einem Durchbruch entfernt sind: Das wird das Thema der nächsten Folge der Sternengeschichten sein.
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