Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 365: ITER, JET & Co: Wann kriegen wir die Kernfusion?
Energie ohne die Umwelt zu zerstören. Energie in quasi unbegrenzter Menge. Energie für alle, unabhängig von Wind, Sonne, Ressourcen oder fossilen Brennstoffen die irgendwann zur Neige gehen. Das ist das, was die Kernfusion verspricht. Sie verspricht es allerdings schon sehr lange und bis jetzt sieht es nicht danach aus, als würde das Versprechen demnächst Realität werden. Wir wissen, dass Kernfusion prinzipiell funktioniert. So produzieren ja überall im Universum die Sterne ihre Energie und wie das genau funktioniert habe ich in Folge 363 der Sternengeschichten erklärt. Zwei leichten Atomen wie Wasserstoff können unter den richtigen Bedingungen zu einem schwereren Atom wie Helium fusionieren und bei diesem Prozess Energie frei setzen. Wir haben auch prinzipiell recht gute Ideen, wie man diesen Vorgang auch außerhalb von Sternen hier auf der Erde künstlich durchführen kann. Wie man das bewerkstelligen will habe ich in der letzten Folge ausführlich erklärt. Aber nur weil etwas prinzipiell möglich ist folgt daraus nicht zwingend, dass es in der Praxis auch funktioniert. Vor allem nicht dann wenn es darum geht unseren Energiebedarf zu stillen. Denn da kann die Kernfusion nur dann helfen, wenn am Ende wirklich mehr Energie rauskommt als man zuvor reingesteckt hat. Und genau das ist das große Problem – und das Thema dieser Folge der Sternengeschichten: Wie kriegen wir es konkret hin, ein brauchbares Kernfusionskraftwerk zu bauen?
So einfach wie man sich das damals in den 1950er Jahren vorgestellt hat, ist es definitiv nicht. Damals dachte man, man müsste nur ein paar Jahre basteln um einen funktionierenden Kernfusionsreaktor zu bauen. Man schaffte es zwar, Kernfusionsbomben zu bauen. Aber das ganze kontrolliert ablaufen zu lassen und zwar so, dass man damit Energie produzieren kann: Das erwies sich als deutlich schwieriger als gedacht. Denn es blieben die grundlegenden Probleme. Um die Kernfusion zu erreichen muss man die Atome erstens ausreichend heiß machen damit sie sich schnell genug bewegen. Und man muss ausreichend viele auf ausreichend kleinem Raum einsperren, damit die Chance auf eine Fusion besteht. Ist das Plasma – also das Gas aus den Atomkernen die fusionieren sollen – nicht heiß genug, dann prallen die Atome nicht mit der nötigen Wucht aufeinander um fusionieren zu können. Und ist das Plasma nicht dicht genug, dann treffen sich die Atome zu selten um sinnvoll Energie produzieren zu können. Die für eine künstliche Fusion nötigen Temperaturen liegen bei circa 150 Millionen Grad, was bedeutet, dass man dieses Plasma nicht in irgendeinem physischen Behälter aufbewahren kann. Es muss durch ausreichend starke Magnetfelder eingesperrt werden und das ist enorm schwierig. Die Bewegung des Plasmas ist – vereinfacht gesagt – chaotisch und das macht es enorm schwer, es irgendwie zu kontrollieren.
Die zu Testzwecken gebauten Reaktoren wurden immer größer, immer komplexer und immer teurer. Die erste wirklich kontrollierte Kernfusion gelang Anfang der 1990er Jahre im Joint European Torus bzw. “JET”, einem Projekt der Europäischen Atomgemeinschaft. Einen Kernfusionsreaktor zu bauen hatte man dort schon 1973 beschlossen; 1977 wurde entschieden ihn in England – in Culham – zu konstruieren. 1983 nahm er den Betrieb auf und 1991 wurde das erste Mal für zwei Sekunden eine kontrollierte Kernfusion erreicht. Bei JET handelt es sich um einen sogenannten “Tokamak”, also die Art von Maschine die ich in der letzten Folge ausführlich vorgestellt habe. In einer ringförmigen Kammer von 3 Metern Durchmesser wird eine Mischung aus den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium eingeleitet, erhitzt und durch Magnetfelder kontrolliert. 1997 konnte bei JET kurzfristig durch Fusion eine Leistung von 16 Megawatt erreicht werden. Das ist nicht wahnsinnig viel; das ist in etwa das was zwei typische Windkraftanlagen an Energie produzieren. Und vor allem musste man 24 Megawatt an Energie in JET hineinstecken um die 16 Megawatt rauszukriegen.
Es ist immer noch das alte Problem: Damit die Fusion stattfinden kann, muss das Plasma heiß genug sein. Ein so extrem heißes Plasma wie in einem Kernfusionsreaktor hat aber auch die Tendenz sehr schnell abzukühlen. Man muss es also ständig heizen und wirtschaftlich sinnvoll ist das ganze nur, wenn die Energie die man durch die Fusion gewinnt größer ist als die, die man für die Heizung des Plasmas reinsteckt. Wie viel Energie man aus der Fusion rausbekommen kann, hängt im Wesentlichen von drei Parametern ab. Zuerst ist da die sogenannte “Einschlusszeit”. Wie lange schafft man es, das Plasma auf hohen Temperaturen zu halten? Je länger diese Zeit ist, desto größer die Chance auf Fusionsreaktionen und der Output an Energie. Wichtig ist auch die Teilchendichte des Plasmas: Je mehr Teilchen im gleichen Volumen zusammengedrängt sind, desto mehr Energie kriegt man raus. Und dann natürlich auch noch die Temperatur, die so gewählt werden muss, dass die Wasserstoffatome optimal miteinander fusionieren können. Der britische Physiker John Lawson hat aus diesen Paramtern im Jahr 1955 eine Bedingung konstruiert die heute seinen Namen trägt. Das “Lawson-Kriterium” besagt, dass die freigesetzte Fusionsleistung mindestens so groß sein muss wie die Energieverluste des Plasma. Wenn Wasserstoff fusioniert, dann entstehen ja einerseits die Atomkerne von Helium; andererseits werden überzählige Neutronen freigesetzt. Die Neutronen sausen davon und ihre Bewegungsenergie ist es, die zur Energiegewinnung verwendet werden kann. Die Heliumkerne geben ihre Bewegungsenergie dagegen direkt an das Plasma ab und heizen es damit auf. Gleichzeitig verliert das Plasma Energie, zum Beispiel in dem es Strahlung (also Licht und andere elektromagnetische Wellen) abgibt. Diese Strahlungsverluste können enorm groß werden, wenn die Bedingungen im Plasma nicht optimal sind. Wird aber mehr Energie erzeugt als verloren wird, dann kann sich das Plasma durch die von ihm selbst erzeugte Energie aufheizen. Es ist dann zumindest theoretisch keine zusätzliche Heizung von außen mehr nötig. Man sagt, dass System hat “gezündet” und kann von nun an tatsächlich Energie produzieren.
Laut Lawson ist das bei der Fusion von Wasserstoff-Atomen der Fall, wenn das Produkt aus Temperatur, Teilchendichte und Einschlusszeit größer als circa ein paar Dutzend Quadrilliarden Kelvin Sekunden pro Kubikmeter ist. Darunter kann man sich nicht viel vorstellen. Aber selbst JET hat in seinen besten Zeiten nur ein Fünftel des nötigen Werts erreicht. Um wirtschaftlich Energie durch Fusion zu produzieren muss man aber MEHR Energie produzieren als man reinsteckt und zwar deutlich mehr. Denn nicht alle Energie die bei der Fusion erzeugt wird, kann auch genutzt werden. Das wird oft mit dem sogenannten “Q-Faktor” beschrieben, also dem Verhältnis von produzierter Energie zu der Energie die man braucht, um das Plasma stabil zu halten. Bei Q gleich 1 erzeugt man zwar so viel Energie wie man reinsteckt. Da man die aber eben nicht komplett nutzen kann, kühlt das Plasma trotzdem ab. Man schätzt, dass man mindestens Q=5 erreichen muss, damit eine Zündung des Plasmas erfolgt. Und dann muss man genaugenommen noch all die Energie mit einrechnen die benötigt wird um den Reaktor zu bauen, den Wasserstoff zu produzieren der fusioniert wird, die Kosten für den laufenden Betrieb des Kraftwerks und so weiter. JET hatte 1997 mit seinen 16 Megawatt einen Q-Faktor von 0,67 erreicht – war also noch weit davon entfernt ein wirtschaftlich brauchbarer Reaktor zu sein.
Für den Nachfolger von JET hatte und hat man größere Pläne. Das Projekt heißt ITER was für “International Thermonuclear Experimental Reactor” steht. Es entstand 1985 aus einer Kooperation zwischen der Sowjetunion, den USA und Frankreich die damals beschlossen, gemeinsam an der Erforschung der Kernfusion zu arbeiten. Im Laufe der Zeit kamen weitere Partner dazu; heute besteht ITER aus der Europäischen Union inklusive der Schweiz, den USA, China, Südkorea, Japan, Russland und Indien. Kanada war mal dabei, ist aber ausgestiegen; die USA hatten sich von 1998 bis 2003 aus ITER zurück gezogen, sind aber zumindest vorerst wieder mit dabei. 2005 entschied man sich, den Kernfusionsreaktor im Süden von Frankreich zu bauen, in Cadarache. Dort wird seit 2009 gebaut und ursprünglich sah der Plan vor, dass die Anlage 2016 den Betrieb aufnehmen sollte. Die Kosten waren auf 5 Milliarden Euro veranschlagt. Mittlerweile plant man die ersten echten Experimente mit Kernfusion für die 2030er Jahre und die Kosten haben sich mindestens verdreifacht und werden mit ziemlicher Sicherheit bis zur Fertigstellung noch weiter steigen. Ein Grund für die Verzögerungen waren die Managementprobleme angesichts der vielen internationalen Partner. Jedes Land musste an allen Konstruktionsschritten beteiligt werden; alle Komponenten werden also quasi überall gebaut, müssen dann zusammengeführt werden und das macht alles sehr kompliziert und teuer. Es ist zwar verständlich, dass alle beteiligten Länder am Know-How profitieren wollen – aber es ist vielleicht nicht unbedingt der beste Weg um so ein komplexes Projekt schnell zu realisieren. Mittlerweile hat man auch die Ziele von ITER ein wenig nach unten korrigiert; man wird mit simpleren Experimenten beginnen und die erste echte Fusion soll erst ab 2035 durchgeführt werden.
Wenn dann alles so läuft wie man es sich vorstellt, wird ein Q-Faktor von circa 10 erreicht werden; man will 500 Megawatt rauskriegen und nur 50 Megawatt an Heizleistung reinstecken. Eine echte Zündung – die ursprünglich für ITER vorgesehen war – ist das also immer noch nicht; bei der würde es theoretisch ja ganz ohne äußere Heizung klappen. Aber es ist selbst noch offen, ob die reduzierten Ziele erreicht werden. Der Bau schreitet voran, langsam aber immerhin. Bis zu einem erfolgreichen Betrieb sind aber immer noch jede Menge Probleme zu lösen. Für die ab 2035 geplanten Experimente braucht man zum Beispiel für die Fusion nicht nur das Wasserstoff-Isotop Deuterium sondern auch das wesentlich schwerer zu kriegende Isotop Tritium. Das will man bei ITER direkt aus der Fusion selbst erzeugen. Die Neutronen die bei der Fusion freigesetzt werden sollen zum Teil zur Produktion von Tritium verwendet werden. Dazu umgibt man den Reaktor mit Material das Lithium enthält das dann durch die auftreffenden Neutronen in Tritium umgewandelt wird. So ist zumindest der Plan, im großen Stil getestet hat das noch niemand. Dazu kommen noch die schon bekannten Probleme durch die ganzen chaotischen Instabilitäten des Plasmas. ITER wird am Ende zwar deutlich größer sein als JET; der Durchmesser der ringförmigen Plasmakammer beträgt hier 6 Meter. Es ist aber trotz allem immer noch ein experimenteller Reaktor der nicht zur wirtschaftlichen Produktion von Energie eingesetzt werden kann.
Wie man das bewerkstelligen kann, soll bei DEMO erforscht werden, dem – nur auf dem Papier existierenden – Nachfolgeprojekt von ITER. Dort will man all das anwenden, was man bei ITER gelernt hat und ein Kraftwerk bauen, dass dann tatsächlich circa 1 Gigawatt an Leistung ins Stromnetz einspeisen kann und einen Q-Faktor von 25 haben soll. Das wird aber frühestens ab 2040 der Fall sein und in der Realität vermutlich später. Und wie der Name andeutet ist DEMO auch immer noch ein Demonstrationsprojekt. Es wird zwar alles testen, was zur kommerziellen Stromerzeugung durch Fusion nötig ist, aber selbst noch nicht wirtschaftlich arbeiten können. Dazu braucht es größere Reaktoren, wie PROTO. Das ist ein Name für den Nachfolger von DEMO und recht viel mehr an Information gibt es dazu nicht. Irgendwann nach 2050, wenn ITER und DEMO alle auftretenden Probleme gelöst haben, wird man – so zumindest die Theorie – PROTO bauen und das wird dann das erste echte kommerziell einsetzbare Fusionskraftwerk sein.
Wenn man sich die lange Geschichte der Fusionsforschung ansieht, all die wissenschaftlichen, technischen und bürokratischen Probleme die aufgetreten sind und die dadurch ausgelösten Verzögerungen, dann wird man aber vermutlich eher länger auf PROTO warten müssen als bis 2050. Die kommerzielle Kernfusion zur Energiegewinnung ist immer noch ein enorm verlockendes Projekt und definitiv etwas, was wir weiterhin erforschen sollten. Wir sollten es intensiver erforschen und die Forschung besser finanzieren als es heute der Fall ist. Wir sollten uns aber auch darüber im klaren sein, dass die Kernfusion nichts ist, mit dem wir in naher Zukunft rechnen können. Ganz besonders ist die Kernfusion daher auch nicht geeignet all die Probleme zu lösen die wir jetzt schon haben. In der Zukunft kann Fusionsenergie eine wichtige Rolle spielen; sie ist aber nicht der Lage die saubere Energie bereit zu stellen, die wir brauchen um das große und dringende Problem des Klimawandels anzugehen. Wenn wir, vermutlich gegen Ende des 21. Jahrhunderts dann irgendwann mal Fusionskraftwerke haben, hat sich die Sache mit dem Klimawandel auf die eine oder andere Art sowieso schon erledigt. Wenn wir eine umweltfreundliche und nachhaltige Energieproduktion wollen, müssen wir die mit existierenden Technologie hinkriegen und da gäbe es ja eigentlich ausreichend Alternativen zu den fossilen Brennstoffen. Wir müssen sie halt auch entsprechend nutzen. Die Kernfusion jedenfalls wird keine Wunderwaffe gegen den Klimawandel sein so sehr wir uns das auch wünschen.
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