Man kommt ja zu gar nix mehr! War nicht eben erst noch Sommer? Und jetzt ist der November schon wieder vorbei… Die Zeit rast und ich bin kaum zum Lesen gekommen. Aber zumindest ein höchst geniales Buch habe ich gelesen, das ich euch auf jeden Fall empfehlen möchte, zusammen mit dem Rest den ich im November gelesen habe.
Die Unmöglichkeit der Quasikristalle
Lest “The Second Kind of Impossible” von Paul Steinhardt. Dieses Buch hat mich enorm begeistert! Ich kannte Steinhardt bis dahin vor allem wegen seiner Arbeit über die Kosmologie und die Inflation. Dass er auch mit Kristallografie zu tun hat, war mir nicht so sehr bewusst und auch nicht, dass ein Buch über Kristallografie so enorm interessant sein kann. Ist es aber!
Man sagt ja oft “Wissenschaft ist so spannend wie ein Krimi”. Aber wenn es einen Fall gibt, wo das tatsächlich zutrifft, dann die Geschichte die Steinhardt hier erzählt. Es geht um Quasikristalle. Das sind Kristalle, die sich nicht an die üblichen Regeln der Kristallografie halten; Kristalle in denen die Moleküle zwar geordnet aber nicht periodisch angeordnet sind. Man ging eigentlich davon aus, dass es sowas nicht geben kann und hielt Quasikristalle für unmöglich. Und das ist genau die “zweite Art der Unmöglichkeit” von der Steinhardt im Titel seines Buches spricht. Es ist nicht die “1+1=3”-Version des Unmöglichen sondern etwas, das vielleicht rein theoretisch doch irgendwie sein kann, wo aber eigentlich alle davon ausgehen, dass es nicht möglich ist. Quasikristalle sind genau so ein Fall. Steinhardt und seine Kollegen legten in den 1980er Jahren die theoretischen Grundlagen: Sie zeigten, dass man aperiodischen Anordnungen von Molekülen tatsächlich existieren können und vor allem, dass es – zumindest in der Theorie – auch Regeln gibt, nach denen Moleküle sich zu einem Quasikristall anordnen können. Später konnte dann so ein Quasikristall auch synthetisch in einem Labor hergestellt werden. Die große Frage aber, um die sich auch der Hauptteil des Buches dreht, lautet: Kann es auch natürliche Quasikristalle geben?
Steinhardt beschreibt die jahrzehntelange Suche nach solchen Kristallen; er erzählt von der theoretischen Arbeit aber auch von der Praxis, die so gar nicht mit dem zu tun hat, was theoretische Physiker wie er normalerweise machen. Es geht um die Suche in historischen Archiven, das Aufspüren von dubiosen Charakteren wie “Tim, den Rumänen” (ein Mineralienhändler), zerstörte und wiederhergestellte Computerfestplatten und am Ende sogar eine Expedition in die Ödnis der sibirischen Steppe.
Das Buch ist absolut hervorragend; ich hätte nicht gedacht das mich ein Thema wie die Kristallografie so sehr faszinieren könnte. Genau das schafft Steinhardt aber. Und wenn ihr “The Second Kind of Impossible” in die Finger bekommt, dann lest es auf jeden Fall!
Verwirrende Verschwörungsfantasien
Nicht so dringend müsst ihr “Earth – Die Verschwörung” und “Earth – Der Widerstand” von Hansjörg Thurn lesen. Ok, wenn man grad auf Urlaub ist und sich auch geistig nicht sehr anstrengen will, dann sind die Bücher vermutlich ne gute Wahl. Denn die Geschichte von Thurn ist an sich ja durchaus spannend und auch einigermaßen spannend geschrieben. Man darf halt nur nicht zu sehr darüber nachdenken…
Ich weiß nicht genau, wie viel ich vom Inhalt erzählen soll, ohne zu spoilern. So wirklich spoilern kann man aber auch nicht, weil sich das Buch die ganze Zeit so liest als wüsste Thurn selbst noch nicht, was denn nun der große Knalleffekt seiner Story sein soll. Es geht auf jeden Fall um die Widerstandsbewegung “Earth”; eine Art Mischung aus attac, Anonymous, Fridays for Future, etc. Sie besteht aus einem Haufen Hacker (alle übrigens aus der “sozial seltsam/ernährt sich schlecht/sitzt komisch angezogen im Dunkeln vorm PC”-Schublade der Klischees), die sich in kleinen Zellen über die Welt verteilen. Wogegen sie Widerstand leisten, wissen sie noch nicht so ganz; das kommt erst als Mitglieder von Earth plötzlich reihenweise umgebracht werden. Außerdem ist da noch die Adoptivtochter einer Polizistin, die irgendeine komische psychische Krankheit (?) hat über die man aber nie mehr erfährt und ein Uni-Professor, der gleich zu Beginn seine Frau auf dramatische Weise durch die Gegner von Earth verliert, was ihn aber nicht groß weiter zu tangieren scheint. Der Mystery-Faktor kommt durch ein Foto aus Zukunft (!!!) ins Spiel und ab da wird alles wirklich sehr verwirrend. Wie gesagt: Ich will nicht spoilern. Aber Thurn hätte sich 1) überlegen sollen, welche Story er jetzt erzählen will. Die von der großen Weltverschwörung mit ihren Supercomputerdatenzentern mit denen man lauter fiese Sachen machen kann – oder die an “Terminator” angelehnte “Wir retten die Zukunft in der Vergangenheit”-Geschichte. Und dann sollte er sich 2) informieren! Denn überall dort wo Dinge ins Spiel kommen über die man sich informieren hätte können (wie das mit Supercomputern und Computersimulationen funktioniert zum Beispiel) ist das Buch tendenziell uninformiert, was stört. Denn die Geschichte ist an sich schon nicht sonderlich logisch oder klar strukturiert. Die wilden Fantasien über Computersimulationen & Co machen das dann nur noch unglaubwürdiger.
An Action mangelt es den “Earth”-Büchern nicht und es mag sein, dass der Drehbuchautor und Regisseur Thurn beim Schreiben schon eine Verfilmung vor Augen hatte. Aber auch dazu braucht es im Allgemeinen eine vernünftige Grundlage. Und die sehe ich bei dieser wirren Verschwörungs/Hacker/Science-Fiction-Story nirgendwo.
Was ich sonst noch so gelesen habe
Am 25.11.2019 wurde im Wiener Stadtsaal der Heinz-Oberhummer-Award für Wissenschaftskommunikation an die britischen Podcaster von “No Such Thing As A Fish” verliehen. Wer dieses Event verpasst hat sollte sich enorm ärgern denn es war ein absolut großartiger Abend! Es gab selten so nette und würdige Preisträger wie James Harkin, Andrew Hunter Murray, Anna Ptaszynsk und Dan Schreiber. Die vier machen aber nicht nur jede Woche eine neue Folge ihres Podcasts sondern schreiben einmal im Jahr auch ein Buch. Das heißt in diesem Jahr “The Book of the Year 2019” und ist – wie der Podcast – voll mit großartigen, absurden, lustigen und beeindruckenden Fakten aus aller Welt und aus allen vorstellbaren (und unvorstellbaren) Themenbereichen. Kann man übrigens auch 2020 noch wunderbar lesen!
Und dann hab ich noch “The Ocean at the End of the Lane” von Neil Gaman gelesen. Das ist schon ein paar Jahre alt, mir aber damals irgendwie entwischt. Es erinnert ein klein wenig an “American Gods”, aber wirklich nur ein bisschen. Vor allem ist es im Gegensatz zu “American Gods” eher ein Märchen. Durchaus ein Märchen im klassischen Sinn, also nicht frei von Grusel und Brutalität, aber schon eher für junge Leserinnen und Leser geeignet als “American Gods” (das definitiv nix für Kinder ist!). Mir hat “The Ocean at the End of the Lane” großen Spaß gemacht. Es ist ein schönes Buch, ein wehmütiges Buch, ein spannendes Buch und ein lustiges Buch. Oder kurz: Ein sehr gutes Buch!
Das war der November. Jetzt kommt der Dezember. Und mit ihm die weihnachtlichen Buchempfehlungen. Ob ich dazu einen extra Artikel schaffe kann ich noch nicht sagen – aber ich würde mich auf jeden Fall über entsprechende Buchhinweise aus der Leserschaft freuen!
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