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Sternengeschichten Folge 374: Amphitrite, der neunte Planet
Amphitrite ist der Name, den ein Planet unseres Sonnensystems bekommen hat. Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, wenn ihr bis jetzt davon noch nie etwas gehört habt. Denn diesen Planet gibt es nicht mehr. Und vielleicht hat es ihn auch nie gegeben. Aber wenn er einmal da war, könnte er einige offenen Fragen klären. Fragen, die mit den Planeten Uranus und Neptun zu tun haben und vor allem mit Triton, dem größten Mond des Neptun.
Von Uranus und Neptun habe ich ja schon in den Folgen 121 und 122 der Sternengeschichten erzählt. Es sind die beiden äußersten Planeten des Sonnensystems. Uranus ist 20 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde; Neptun ist mit dem 30fachen Erdabstand der sonnenfernste Planet. Neptun ist mit der 17fachen Masse der Erde auch ein wenig schwerer als Uranus, der es nur auf die 15fache Erdmasse bringt. Verglichen mit den anderen großen Himmelskörpern des Sonnensystems wissen wir über die beiden äußeren Planeten recht wenig. Sie wurden bis jetzt kaum von Raumsonden besucht und darum ist es nicht überraschend, dass noch viele offene Fragen existieren. Eine beschäftigt sich mit dem Ort ihrer Entstehung, die andere mit dem größten Neptunmond und beide zusammen legen eine Spur, die am Ende zu Amphitrite führt.
Es klingt ein wenig seltsam nach dem Ort der Entstehung von Uranus und Neptun zu fragen. Wo sonst als im Sonnensystem sollen die beiden Planeten sich vor 4,5 Milliarden Jahren gebildet haben. Zu der Zeit, als auch die Sonne selbst und die restlichen Planeten entstanden sind. Und das ist zwar richtig, aber nicht ganz. Gegen Ende der 1990er Jahre haben wir entdeckt, dass Planeten sich durch ihr Planetensystem bewegen können. Damit ist nicht die normale Umlaufbewegung um den Stern herum gemeint, sondern eine Vergrößerung oder Verkleinerung dieser Umlaufbahn. Oder anders gesagt: Nur weil zum Beispiel Neptun heute 30 mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde muss das zum Zeitpunkt seiner Entstehung nicht auch so gewesen sein. Die Ursache dieser “planetaren Migration” habe ich ausführlich in Folge 68 erklärt; sie hat mit den Um- und Zuständen des Planetensystems zur Zeit seiner Bildung zu tun. Entdeckt haben wir dieses Phänomen bei den Planetensystemen anderer Sterne; es spricht aber nichts dagegen, dass das nicht auch bei uns passiert ist.
Und tatsächlich zeigen Computersimulationen zur Entstehungsgeschichte des Sonnensystems, dass genau das vermutlich der Fall war. Im sogenannten “Nizza-Modell” (von dem ich in Folge 260 mehr erzählt habe) zeigt sich, dass Uranus und Neptun viel näher an der Sonne entstanden sind als wir sie heute beobachten können. Neptun im etwa 11.5fachen Erdabstand und Uranus im 14fache Erdabstand. Und nein, das war kein Fehler. Neptun war zur Zeit seiner Entstehung – zumindest laut diesem Modell – tatsächlich näher an der Sonne als Uranus und die beiden haben die Plätze getauscht als sie während der planetaren Migration weiter nach außen im Sonnensystem gewandert sind.
Dabei muss Neptun auch irgendwo seinen Mond Triton bekommen haben. Denn der ist eigentlich ziemlich ungewöhnlich. Er hat einen Durchmesser von 2700 Kilometern womit er nicht nur der mit Abstand größte Mond des Neptun ist, sondern auch der siebtgrößte Mond aller Planeten des Sonnensystems. Seine Umlaufbahn um Neptun ist retrograd, das bedeutet dass er nicht in der Richtung um Neptun läuft, in die der Planet selbst sich dreht sondern genau entgegengesetzt. Diese retrograde Bahn ist außerdem stark geneigt gegenüber der Äquatorebene von Neptun und noch dazu ist er Neptun enorm nahe; der Abstand beträgt nur 350.000 Kilometer, was circa dem 7 fachen des Durchmessers von Neptun entspricht. Diese Bahn allein weist schon darauf hin, dass der Mond nicht gemeinsam mit Neptun in dessen Umgebung entstanden sein kann. Dann könnte sie kaum retrograd sein; sie wäre auch nicht so stark geneigt und so nahe am Planeten kann ein so großer Mond auch nur schwer entstehen. Triton muss später zu Neptun gekommen sein und das zeigt auch das, was wir über die Zusammensetzung des Mondes wissen. Die ähnelt nämlich sehr stark den Himmelskörpern im Kuiper-Asteroidengürtel der sich hinter der Bahn von Neptun befindet und gemeinsam mit diesen Objekten muss sich Triton auch gebildet haben.
Aber wie kam er dann zu Neptun? Wurde er vielleicht eingefangen? Das ist extrem unwahrscheinlich, denn damit das bei einem so großen Objekt wie Triton funktioniert der dann am Ende auch in einer so engen Umlaufbahn landen muss, hätte Triton sich auf einer sehr, sehr speziellen Bahn befinden müssen. Es wäre ein enorm großer Zufall gewesen; nicht unmöglich aber sehr, sehr unwahrscheinlich. Auch, weil Triton wegen seiner großen Masse eine große Bewegungsenergie gehabt hätte, die er irgendwie loswerden hätte müssen und das kann nur geschehen, wenn irgendwas mit Triton kollidiert – was ebenfalls im richtigen Moment mit exakt den richtigen Bedingungen passieren hätte müssen und dementsprechend unwahrscheinlich ist.
Wahrscheinlich wäre es, wenn Triton vor seinem Umzug zu Neptun nicht allein unterwegs gewesen wäre, sondern einen Partner gehabt hat. Wir wissen, dass viele Asteroiden Teil von Doppel- oder gar Mehrfachsystemen sind. Es gibt Doppelasteroiden; es gibt “Asteroidenmonde”; es gibt Asteroiden die von mehr als einem Objekt umkreist werden. Wenn nun Triton als Teil eines solchen Paars in die Nähe von Neptun gelangt, kann er viel leichter eingefangen werden. Denn jetzt steckt die Energie ja im System der beiden Asteroiden und wenn der andere Asteroid mit Neptun kollidiert oder von Neptun aus dem Sonnensystem geschleudert worden ist, hat das System so viel Bewegungsenergie verloren, dass Triton auf seiner heutigen Bahn eingefangen werden konnte. Nur: Normalerweise wird bei solchen Prozessen der kleinere der beiden Partner eingefangen. Der sowieso schon recht große Triton hätte also von einem noch größeren Objekt begleitet werden müssen. Wir kennen wenige solcher Asteroiden im äußeren Sonnensystem und wir wissen, dass auch nicht viele davon entstanden sind. Auch dieses Szenario ist also unwahrscheinlich.
Was also ist mit Triton passiert? Die amerikanischen Astronomen Steve Desch und Simon Porter von der Arizona State University haben im Jahr 2010 einen interessanten Vorschlag gemacht. Damals gab es nicht nur Uranus und Neptun (und die anderen heutigen Planeten). Sondern auch noch einen weiteren großen Himmelskörper im äußeren Sonnensystem; mit ungefähr der doppelten Masse der Erde. Wir erinnern uns: Zur Zeit der Entstehung der Planeten waren Uranus und Neptun noch näher an der Sonne. Weiter draußen, in der Gegend in der die beiden Planeten sich heute befinden, befand sich damals vermutlich ein großer Asteroidengürtel mit ausreichend viel Masse und Objekten so dass auch dort Planeten entstehen hätten können. Ein Planet mit doppelter Erdmasse hätte sich dort in circa 18fachen Erdabstand bilden können. Der hätte dann durchaus auch einen Mond wie Triton einfangen können. Da flogen ja noch genug andere größere Asteroiden rum und wenn Triton nicht in so einer seltsamen engen und retrograden Bahn eingefangen werden muss sondern in einer “normalen” Umlaufbahn, dann kann das problemlos klappen.
Wir haben nun also ein Sonnensystem in dem sich die heute bekannten acht Planeten befinden; Uranus und Neptun aber noch näher an der Sonne als jetzt. Außerhalb der beiden kreist in diesem Modell aber noch ein weiterer Planet mit einem großen Mond. Jetzt wandern Uranus und Neptun während ihrer Migration weiter nach außen und treffen irgendwann auf genau diesen Planeten. Er kollidiert mit Neptun und wird zerstört; der Mond bleibt übrig und landet in der seltsamen Umlaufbahn die Triton heute einnimmt. Theoretisch hätte es auch noch anders laufen können: Neptun kollidiert nicht mit dem Planeten und schnappt sich nur den Mond. Der Planet gerät dann aber danach Uranus in die Quere und kollidiert mit ihm. Beide Varianten würden weitere offene Fragen erklären. Wir wissen, dass Neptun heißer ist, als er es eigentlich sein sollte. In ihm steckt mehr Energie, als er laut den gängigen Modellen der Planetenentstehung haben müsste. Eine Kollision mit einem großen Planeten könnte die Quelle dieser Energie sein. Andererseits wissen wir auch, dass Uranus irgendwann in der Vergangenheit quasi “umgekippt” ist. Seine Rotationsachse steht nicht mehr oder wenig senkrecht auf die Ebene seiner Umlaufbahn wie es bei den anderen Planeten der Fall ist. Sondern sie liegt in dieser Ebene; Uranus Bewegung um die Sonne kann man sich fast wie ein Rollen vorstellen. Nun kippen Planeten aber nicht einfach so um; das tun sie nur, wenn sie mit einem vergleichsweise großen Objekt kollidieren.
Es gibt also viele Argumente dafür, von der Existenz eines solchen zusätzlichen Planeten auszugehen. Auch entsprechende Computersimulationen zeigen, dass genau das ablaufen kann, was ich gerade erzählen kann. Steve Desch und Simon Porter haben in ihrer Arbeit daher vorgeschlagen, dass genau so ein Planet mit doppelter Erdmasse in der Frühzeit unseres Sonnensystems existiert hat und ihm den Namen “Amphitrite” geben, die in der griechischen Mythologie die Beherrscherin der Meere und die Mutter des Meeresgottes Triton ist.
Wir werden niemals genau wissen können, ob es den Planeten Amphitrite wirklich gegeben hat. Wir können nicht in die Vergangenheit reisen um nachzusehen. Und es braucht auch nicht zwingend einen Planeten wie Amphitrite um die Besonderheiten von Uranus, Neptun und Triton zu erklären. Vielleicht war es auch ganz anders; über die äußeren Regionen des Sonnensystems wissen wir schlicht und einfach zu wenig. Dort waren so gut wie keine Raumsonde; wir haben weder Uranus, noch Neptun oder Triton ausführlich aus der Nähe untersucht. Sollten wir das irgendwann einmal tun, wissen wir danach hoffentlich ein wenig genauer, ob die Sonne früher von einem Planeten umkreist wurde, den es heute nicht mehr gibt.
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