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Sternengeschichten Folge 375: Der Ionenantrieb
In der Welt von Star Wars fliegen die Anhänger des Imperiums mit TIE-Fightern durch die Gegend. Das sind die Dinger, die probiert haben Luke Skywalker abzuschießen, als er den Todesstern zerstören wollte. Aber es soll heute nicht um TIE-Fighter gehen; ich erwähne die Raumschiffe deswegen, weil das “TIE” für “Twin Ion Engine” steht; sie also offensichtlich mit einem Ionenantrieb durchs All fliegen. Ein Ionenantrieb klingt nach Science-Fiction, ist es aber nicht. Es gibt ihn wirklich und es fliegen auch ganz in echt Objekte damit durchs Weltall.
Um zu verstehen wie ein Ionenantrieb funktioniert müssen wir einen kurzen Ausflug in die Grundlagen der Raketentechnik machen. Wie eine Rakete – oder allgemein ein Objekt im Weltall – fliegt, wird durch die sogenannte Raketengrundgleichung beschrieben. Die hat der russische Forscher Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski im Jahr 1903 aufgestellt. Vereinfacht gesagt sagt sie, dass die Geschwindigkeit einer Rakete davon abhängt, wie schnell sie eine sogenannte “Stützmasse” ausstoßen kann. Je mehr und je schneller die Rakete hinten Masse ausstößt, desto schneller fliegt sie in die andere Richtung davon (das folgt aus der Impulserhaltung). Deswegen sind Raketen die von der Erde aus starten auch so groß: Sie müssen jede Menge Treibstoff mitnehmen um ausreichend viel Masse ausstoßen zu können so dass sie die für einen Flug ins All nötige Geschwindigkeit erreichen. Und auch im All brauchen Raumsonden Treibstoff, wenn sie schneller, langsamer werden oder die Richtung ändern wollen. Und da es dort nirgendwo Tankstellen gibt, ist die Lebensdauer dieser Raumfahrzeuge begrenzt: Ist der Treibstoff alle, dann geht nichts mehr. Man kann natürlich gleich von Anfang an sehr viel Treibstoff mitnehmen. Aber den müsste man dann von der Erde ins All bringen und braucht dafür NOCH mehr Treibstoff. Irgendwann wird das zu teuer. Der Ionenantrieb ist ein Weg, dieses Problem zu umgehen.
Der gleiche Ziolkowski der 1903 mit der Raketengrundgleichung die Grundlage für die moderne Raumfahrt gelegt hat, schrieb 1911 in einem anderen Werk: “Es ist möglich dass wir im Laufe der Zeit die Elektrizität nutzen können um Teilchen mit hohen Geschwindigkeiten aus einer Rakete auszustoßen”. Er führte das Konzept auch weiter aus und erwähnte die “Kathodenstrahlen”, ein Phänomen das erst ein paar Jahrzehnte zuvor entdeckt wurde. Es handelt sich dabei um gebündelte Strahlen aus Elektronen, also den elektrisch negativ geladenen Teilchen die unter anderem die Hüllen der Atome bilden. Ziolkowski hielt fest, dass solche Elektronen sich mit hohen Geschwindigkeiten bewegen; bis zu 20.000 mal schneller als etwa die Gase die ein normaler Verbrennungsmotor ausstößt. Der amerikanische Raumfahrtpionier Robert Goddard erwähnte in seinen Texte ebenfalls die Möglichkeit, Raumfahrzeuge durch schnell bewegte Elektronen oder ähnliche Teilchen anzutreiben, verfolgte die Idee aber nicht weiter. Erst Physiker Hermann Oberth machte eine große Öffentlichkeit mit dieser Version der Raumfahrt bekannt. In seinem extrem einflußreichen Buch “Wege zur Raumschifffahrt”, das 1929 erschien, widmete er dem Konzept ein ganzes Kapitel mit dem Titel “Das elektrische Raumschiff”.
Aus moderner Sicht ist die Idee eines Ionenantriebs eigentlich sehr einfach zu verstehen. Es braucht dafür – wenig überraschend – Ionen. Also elektrisch geladene Teilchen, die man zum Beispiel bekommen kann, in dem man normalen Atomen ihre Hülle aus negativen geladenen Elektronen wegnimmt. Übrig bleiben die positiv geladenen Atomkerne. Wegen ihrer elektrischen Ladung können die nun durch elektrische Felder beschleunigt werden. Und – wie ich schon gesagt habe – wenn ein Objekt Masse in die eine Richtung ausstößt, bewegt es sich in die andere Richtung. Das funktioniert auch, wenn die Masse aus Atomkernen besteht. Die Bewegung ist dann halt sehr gering, aber das muss nicht unbedingt ein Problem sein.
In der Praxis verwendet man heute sehr oft das Gas Xenon als Quelle der Ionen. Es hat den Vorteil, dass es vergleichsweise leicht zu beschaffen ist und kaum mit irgendwelchen anderen Materialien chemisch reagiert. Was praktisch ist, denn man will ja nicht, dass in einer Raumsonde irgendwelche chemischen Reaktionen ablaufen die man nicht kontrollieren kann. Die Xenon-Atome zu ioniesieren, ihnen also die Elektronen wegzunehmen, ist einfach; dazu braucht es nur ein wenig Energie. Energie braucht auch das elektrische Feld mit dem die Ionen dann beschleunigt werden. Die kann man durch Solarzellen gewinnen, denn Sonnenlicht gibt es auch im Weltall ausreichend (zumindest dann wenn man sich nicht zu weit von unserem Stern entfernt). Die technischen Details sind natürlich komplex: Man muss zum Beispiel dafür sorgen, dass die Teilchen wieder neutralisiert werden, bevor man sie nach der Beschleunigung ausstößt; das heißt man muss ihnen die Elektronen wieder zurück geben. Ansonsten würden die Teilchen sich nämlich nicht in gerader Linie vom Raumfahrzeug weg bewegen sondern wegen ihrer elektrischen Ladung einen Bogen machen und von der Raumsonde angezogen wieder zu ihr zurück kehren.
Aber im Prinzip braucht man für einen Ionenantrieb nicht mehr als ein paar Dutzend Kilogramm Stützmasse, die die geladenen Teilchen liefert. Und ausreichend viele Solarzellen um die nötige Energie für das elektrische Feld zu generieren. Mit den beschleunigten Teilchen die vom Ionenantrieb ausgestoßen werden kann man ein Raumfahrzeug bewegen. Die Teilchen bewegen sich mit bis zu 200 Kilometern pro Sekunde – was aber nicht bedeutet, dass sich das Raumfahrzeug mit der gleichen Geschwindigkeit in die andere Richtung entfernt. Denn dessen Masse ist natürlich deutlich größer als die Masse der ausgestoßenen Teilchen. Ein Ionenantrieb ist daher nicht ausreichend schnell um damit von der Erde ins All zu fliegen. Die Kraft die ein typischer Ionenantrieb produziert entspricht ungefähr dem Druck man spüren würde, wenn einem ein paar Blätter dickes Papier auf den Kopf fallen. Aber, und das ist der Punkt um den es geht: Ein Ionenantrieb kann diese Kraft für lange Zeiten aufrecht erhalten. Und im luftleeren Raum des Alls gibt es keinen Widerstand der das Raumfahrzeug wieder abbremst. Wenn man lange genug beschleunigt, dann erreicht man auch mit kleiner Kraft am Ende einen großen Effekt. Und man muss dafür keine gewaltigen Treibstoffmengen mit ins All nehmen!
Die ersten Tests mit Ionentriebwerken hat man in den 1960er Jahren bei der NASA gemacht. Mittlerweile gibt es viele Raumsonden und Satelliten die diese Technik nutzen. Zum Beispiel der europäische Kommunikationssatellit Artemis: Er flog 2001 ins All und hatte zwei neue Ionentriebwerke an Bord die eigentlich nur getestet werden sollten. Der Test verlief erfolgreich, aber nicht so wie man sich das vorgestellt hatte. Die Rakete die Artemis ins All brachte erreichte nicht ihre volle Leistung und der Satellit landete in einer viel tieferen Umlaufbahn als vorgesehen war. Aber mit den Ionentriebwerken konnte er seine vorgesehene Position doch noch erreichen; allerdings etwas verspätet. Es dauerte fast ein Jahr in dem Artemis jeden Tag 20 Kilometer höher stieg bis das Ding endlich dort war wo es sein sollte.
Ebenfalls sehr erfolgreich war die japanische Raumsonde Hayabusa. Sie flog 2003 ins All und war die erste japanische Sonde mit einem Ionentriebwerk. Ihr Ziel war der Asteroid Itokawa, von dem sie Proben sammeln und zurück zur Erde bringen sollte. Was auch gelang – aber normalerweise werden Ionenantriebe nicht verwendet um damit kreuz und quer durchs Sonnensystem zu fliegen. Bzw. macht man das nur dann, wenn man es nicht eilig hat. Ionenantriebe sind heute vor allem zur Korrektur der Bahn von Kommunikationssatelliten im Einsatz. Damit die ihre Funktion erfüllen können müssen sie eine ganz bestimmte Position über der Erdoberfläche einnehmen. Die Gravitationskraft von Sonne und Mond beeinflusst sie aber ein wenig und schiebt sie langsam aber sicher aus den vorgesehenen Umlaufbahnen. Man muss die Bahn regelmäßig korrigieren; nur ein bisschen aber auch dafür braucht man Treibstoff. Ionentriebwerke sind dafür ideal denn man kann mit wenig Masse lange arbeiten und das macht die ganze Angelegenheit billig. Was wichtig ist, da die meisten Kommunikationssatelliten kommerziell betrieben werden und je länger so ein Ding lebt, desto besser und profitabler für die Betreiber.
Im Prinzip spricht aber nichts dagegen, Ionentriebwerke auch für sehr viel ambitioniertere Zwecke einzusetzen. Es gibt Pläne um ganze Raumstationen damit auf ihren vorgehesehenen Umlaufbahnen zu halten. Und sogar Konzepte, wie man mit einem Ionenantrieb Raumsonden zu anderen Sternen fliegen kann. Halsbrecherische Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagden mit TIE-Fightern im All wie bei Star Wars werden aber auch in Zukunft nur Science-Fiction bleiben.
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