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Sternengeschichten Folge 391: Der Planet Phaeton
In Folge 264 der Sternengeschichten habe ich schon vom Asteroid Phaeton erzählt. Der ist höchst real und treibt sich draußen im Sonnensystem rum. Heute geht es um einen anderen Himmelskörper. Der ebenfalls “Phaeton” genannt wurde, im Gegensatz zum Asteroid aber nicht existiert. Asteroiden spielen in der Geschichte aber trotzdem eine wichtige Rolle.
Alles fing im Jahr 1766 an. Da machte der Astronom Johann Daniel Titius von der Universität Wittenberg eine interessante Entdeckung. Ihm fiel auf, dass er die Abstände der damals bekannten Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn und Uranus durch ein einfaches mathematisches Gesetz beschreiben konnte. Wie das genau funktioniert habe ich in Folge 86 schon erzählt – was Titius und all seinen Kollegen aber sofort auffiel war eine Lücke. Seine mathematische Formel funktioniert nur dann, wenn man davon ausgeht, dass irgendwo zwischen Mars und Jupiter noch ein weiterer Planet seine Runden um die Sonne zieht. Da war aber keiner. Zumindest keiner den man bis dahin entdeckt hatte. Also machte man sich auf die Suche!
Aber man fand nichts. Zumindest keinen ausgewachsenen Planeten. Dafür aber andere Objekte, die wir heute “Asteroiden” nennen. Zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter fand man zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur einen bis dahin unbekannten Himmelskörper sondern eine ganze Gruppe. Ich hab in den früheren Folgen der Sternengeschichten ja schon oft von den Asteroiden, ihren Entdeckungen und ihrer Geschichte erzählt. Als 1801 mit Ceres der erste Asteroid gefunden wurde, waren alle Astronomen noch mehr oder weniger zufrieden. Der gesuchte Planet war gefunden, auch wenn er ein wenig kleiner war als erwartet. Aber schon ein Jahr später war es vorbei mit der schönen Ordnung. Der deutsche Astronom Heinrich Wilhelm Olbers entdeckte Pallas, einen weiteren kleinen Himmelskörper, genau in der Gegend des Sonnensystems wo schon Ceres seine Runden zog und wo die mathematische Formel von Titius nur einen Himmelskörper vorgesehen hatte.
Aber Olbers war nicht um eine Antwort verlegen. Weder Ceres noch Pallas sind der gesuchte Planet, meinte er. Die beiden sind nur Bruchstücke davon! Denn der der fehlende Planet fehlt deswegen, weil er zerstört worden ist. Dort wo er früher seine Bahnen um die Sonne zog sind heute nur noch jede Menge kleine Felsbrocken unterwegs. Und tatsächlich fand man in den nächsten Jahren immer mehr davon, auf Ceres und Pallas folgten Juno und Vesta und jede Menge andere Asteroiden. Alles sah so aus, als hätte Olbers recht. Da war ein Planet und der wurde zerstört. Heute sehen wir deswegen nur noch Trümmer.
Der deutsche Lehrer und Sprachwissenschaftler Johann Gottlieb Radlof gab diesen nicht mehr existenten Planeten im Jahr 1823 einen Namen. Da veröffentlichte er das Buch “Zertrümmerung der großen Planeten Hesperus und Phaeton, und darauf folgenden Zerstörungen und Ueberflutung auf der Erde”. Darin beschäftigte er sich aber eher nicht mit Astronomie sondern mit diversen antiken Legenden und Mythen. Dort wollte Radlof Hinweise auf die Existenz des zerstörten Planeten gefunden haben. Insbesondere der griechische Mythos des Phaeton schien ihm eindeutig: Phaeton, der Sohn des Sonnengottes Helios borgt sich den Sonnenwagen seines Vaters aus und rast damit über den Himmel. Nicht dort, wo sich die Sonne normalerweise bewegt, was zu enormen Katastrophen führt. Am Ende stürzt der Wagen samt Wagenlenker ab und ganze Länder verbrennen zu Asche. Was sonst, als die antike Beschreibung der Zerstörung eines Planeten sollte das sein, meinte Radlof. Der lang gesuchte Himmelskörper zwischen Mars und Jupiter dessen Bruchstücke laut Olbers die Astronomen in den letzten Jahren entdeckt hatten sei genau der Planet, dessen Zerstörung die alten Griechen in ihrer Phaeton-Sage beschrieben hatten. Weswegen Radlof dem Ding auch den Namen “Phaeton” gab – und dem anderen Planeten mit dem Phaeton zusammenstieß nannte er “Hesperus”. Radlof meinte auch andere Katastrophen, wie die große Sintflut aus der Bibel als Konsequenz solcher planetarer Kollisionen erklären zu können.
Sprachwissenschaft und die Interpretation alter Mythen sind aber eher nicht die besten Instrumente wenn man die Struktur des Sonnensystems verstehen will. Insofern kann man Radlofs Thesen eher unter frühe Science-Fiction beziehungsweise Pseudowissenschaft einordnen. Das grundlegende Problem aber blieb: Die Formel von Titius sagte dass da ein Planet sein sollte, alles was man beobachten konnte waren aber nur viele kleine Objekte. Und warum sollte nicht ein Planet mit einem anderen kollidieren und dabei zerstört werden? Das muss ja nicht unbedingt in der jüngeren Vergangenheit passiert wie Radlof sich das vorgestellt hatte. Aber irgendwann ganz viel früher, als das Sonnensystem noch jung und die Planeten gerade erst im Entstehen begriffen waren vielleicht. Ja, warum nicht? Heute wissen wir, dass solche Kollisionen durchaus vorkommen können. Nicht in der Gegenwart und auch nicht vor ein paar tausend Jahren; das was Radlof sich ausgedacht hat, ist definitiv Quatsch. Aber als die Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden sind, war definitiv mehr los im Sonnensystem. Da waren nicht nur die paar großen Himmelskörper die wir heute sehen mit jeder Menge Platz dazwischen. Sondern viele große “Protoplaneten”, die – etwas vereinfacht gesagt – alle kreuz und quer durch die Gegend geflogen sind. Sie kollidierten miteinander, sie verschmolzen zu größeren Himmelskörpern – und sie zerstörten sich auch gegenseitig. Das beste Beispiel dafür ist unser Mond, der bei genau so einem Zusammenstoß zwischen der gerade erst entstehenden Erde mit einem anderen marsgroßen Protoplaneten aus den Trümmern der Kollision entstanden ist.
Da kann es doch gut sein das auch ein Planet zwischen Mars und Jupiter dran glauben musste? Nun. Von den Abläufen bei der Entstehung der Planeten wusste man in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch nichts; das haben wir erst knapp 100 Jahre später so halbwegs verstanden. Aber auch damals schon waren nicht alle davon überzeugt, dass die Asteroiden Trümmer eines großen Planeten sind. Einer davon war der Franzose Urbain LeVerrier, einer der bekanntesten Astronomen seiner Zeit, der unter anderem maßgeblich an der Entdeckung des Planeten Neptun beteiligt war, wie ich in Folge 122 erklärt habe. LeVerrier war Himmelsmechaniker, also Spezialist für die Bewegung der Himmelskörper und Experte für die Berechnung von Gravitationskräften zwischen den Objekten. Man hatte damals schon die vage Idee, dass die Planeten entstanden sind, als sich diverses Material im Laufe der Zeit zu größeren Objekten zusammengeballt hat. Wenn das so ist, so LeVerrier, warum sollen dann die kleinen Asteroiden nicht genau so entstanden sein? Sie sind halt nur nicht so schnell gewachsen wie die Planeten. Irgendwelche seltsamen planetaren Katastrophen zu erfinden um die Existenz der Asteroiden zu erklären ist nicht nötig. Man sollte halt abwarten und weiter suchen, so LeVerrier. Dann wird man sicher noch mehr Asteroiden finden und dann kann man auch schauen, wie sie sich verteilen. Wenn die Asteroiden wirklich das Resultat nicht vollständig abgelaufener Zusammenballung von Materie sind, dann sollte sie zumindest kleinere Gruppen bilden, dachte LeVerrier. Womit er auch absolut Recht hatte. Je mehr Asteroiden gefunden wurden, desto besser verstand man ihre Verteilung. Heute wissen wir auch, dass es an Jupiter liegt dass sie so geworden sind, wie sie sind. Die Gravitationskraft des größten Planeten im Sonnensystem hat den Staub und das Gas das im frühen Sonnensystem in seiner Umgebung rumflog ständig so durchgewirbelt, dass keine größeren Himmelskörper entstehen konnten. Es blieb nur bei den kleinen Asteroiden die sich – ebenfalls durch die Anziehungskraft von Jupiter – zu diversen Gruppen zusammenfinden.
Aber was war jetzt eigentlich mit dieser mathematischen Formel von Titius, die den ganzen Rummel um Phaeton ausgelöst hat? Auch die hat LeVerrier beerdigt, zumindest indirekt. Dank seiner Arbeit fand man 1846 den Planeten Neptun, außerhalb der Bahn des Uranus. Und Neptun passte absolut nicht in die Reihe. Sie war von Anfang an nur eine mathematische Täuschung und hat nie eine reale physikalische Bedeutung hat. Man kann immer irgendeine Regel finden mit der sich eine Reihe von Zahlen beschreiben lässt. Man muss halt manchmal ein wenig daran rumdoktern, bis es passt – so wie in diesem Fall, wo man einen Planet zwischen Mars und Jupiter schieben musste um die Abstände der restlichen Himmelskörper zu beschreiben. Aber wenn der Mathematik keine echten astronomischen oder physikalischen Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, dann kann man damit halt auch keine vernünftigen Aussagen und Vorhersagen machen. Und wenn neue Daten dazu kommen – wie hier der Planet Neptun – dann passen natürlich nicht ins Schema.
Wir wissen heute auch, dass es zwar sehr viele Asteroiden gibt. Ihre gesamte Masse ist aber winzig; sie beträgt weniger als 5 Prozent der Masse unseres Mondes. Selbst wenn man alle Asteroiden zwischen Mars und Jupiter zu einem Planeten zusammensetzen würde, wäre der winzig und selbst kaum mehr als ein größerer Asteroid.
Es war keine schlechte Idee von Olbers, die Existenz eines zerstörten Planeten zu behaupten. Nach dem damaligen Wissensstand war das eine absolut plausible Hypothese. Aber wie das halt so oft ist in der Wissenschaft ändert sich die Lage, wenn man mehr herausfindet. In diesem Fall können wir mittlerweile sicher sein, dass zwischen Mars und Jupiter nie ein weiterer Planet existiert hat. Phaeton war niemals real.
Was aber natürlich nicht heißt, dass er komplett verschwunden ist. Jede Menge Pseudowissenschaftler haben es Radlof gleich getan und probiert alte Mythen mit der Astronomie zu verknüpfen. Immanuel Velikovsky, Zecharia Sitchin und diverse weniger bekannte Autoren haben sich von der Realität nicht stören lassen und behauptet, dass der Planet zwischen Mars und Jupiter nicht nur existiert hat, sondern auch für diverse in der Bibel und anderen Mythen beschriebene Katastrophen verantwortlich ist. Oder sogar bewohnt war, von Aliens, die dann auf die Erde geflüchtet sind und Atlantis gegründet haben. Oder die Menschheit versklavt haben. Oder die Menschheit erst gegründet haben. Und so weiter. Neben diesen Pseudowissenschaftler gibt es aber auch noch die sympathischere Science-Fiction, die Phaeton in ihren Werken ein Denkmal gesetzt hat. Perry Rhodan und Captain Future waren dort, man findet ihn bei Doctor Who, Isaac Asimov oder Robert Heinlein. Das nicht-existente ist eben manchmal genau so faszinierend wie die Realität.
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