Dieser Artikel ist Teil einer Serie über naturwissenschaftliche Experimente. Entsprechende Artikel werden hier im Blog bis Ende Juli erscheinen. Alle Artikel der Serie könnt ihr hier finden.
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Es ist eines der klassischen Experimente in der Geschichte der Naturwissenschaft: 1589 warf Galileo Galilei zwei unterschiedlich schwere Bälle vom schiefen Turm von Pisa und stellte fest, das beide gleichzeitig auf dem Boden auftreffen. So hat er demonstriert dass alle Objekte im Schwerefeld der Erde gleich schnell fallen, unabhängig von ihrer Masse. Was ein absolut wichtiges Prinzip der Physik ist. Und richtig. Nur das entsprechende Experiment hat in der Form vermutlich nicht stattgefunden.
Aufzeichnungen zu diesem Experiment gibt es nicht. Die einzige Erwähnung findet man bei Vincenzo Viviani, einem Schüler und Biograf von Galilei, 12 Jahre nach dem Tod von Galileo Galilei. Zu Lebzeiten hatte der in seinen Unterlagen jede Menge Spekulationen über den Fall von Objekten angestellt, allerdings nirgendwo konkrete Experimente beschrieben oder gar Ergebnisse oder Messwerte erwähnt. Dass er tatsächlich Dinge vom Schiefen Turm von Pisa geworfen hat, ist vermutlich nur auf die literarische Freiheit von Viviani zurückzuführen (wie in diesem ausführlichen Artikel (pdf) schön beschrieben ist).
Was Galileo Galilei tatsächlich gemacht und auch aufgeschrieben hat (in seinem Werk De Motu) ist ein Gedankenexperiment. Das ist etwas, das in der Geschichte der Wissenschaft immer wieder stattgefunden hat und was man nicht unterschätzen darf. Ein Gedankenexperiment wird nicht wirklich durchgeführt, man stellt sich nur vor dass man es tut und überlegt, was daraus folgen würde. Das klingt seltsam, denn ein Experiment ist ja gerade dazu da um zu sehen was wirklich abläuft, unabhängig davon was irgendwer denkt oder sich vorstellt. Aber wenn man es richtig macht kann auch ein Gedankenexperiment sehr erfolgreich sein.
Galileis Argument lief folgendermaßen: Nehmen wir an, schwere Objekte fallen schneller als langsamere (so wie es schon Aristoteles behauptet hat). Und jetzt stellen wir uns ein schweres und ein leichtes Objekt vor, verbunden durch eine Schnur. Wenn das schwere Trumm schneller fällt, wird die Schnur beim Fall natürlich gespannt werden, weil das langsam fallendere leichte Objekt den Fall des schweren bremst. Das verbundene System aus beiden Objekten beschleunigt also langsamer als das allein fallende schwerer Objekt. Und das widerspricht der ursprünglichen Annahme! Denn das System aus zwei Objekte ist schwerer als nur ein Objekt. Und müsste schneller fallen. Man kann das Spiel auch umgekehrt spielen und annehmen, dass leichte Objekte schneller fallen als schwere. Und wird zu exakt dem gleichen Widerspruch kommen. Die einzige Möglichkeit die uns noch bleibt: Objekte fallen gleich schnell, egal wie schwer sie sind.
Nur durch Nachdenken hat Galileo Galilei ein Experiment durchgeführt. Er hat alle logisch möglichen Optionen untersucht und kam am Ende zu einem eindeutigen Ergebnis. Irgendwelche Dinge von einem Turm zu werfen war gar nicht nötig. Er hat es vielleicht doch getan; rein zur Demonstration oder um seinen Schülern etwas beizubringen. Oder einfach nur, weil es Spaß gemacht hat. Aber nicht als wissenschaftliches Experiment. Das hat schon längst in seinem Kopf erfolgreich stattgefunden.
Gedankenexperimente trifft man in der Naturwissenschaft immer wieder. Besonders Albert Einstein war berühmt dafür sich Dinge zu überlegen, die in der Realität gar nicht ausprobiert werden hätten können (“Was passiert, wenn man einen Lichtstrahl überholt?”). Gedankenexperimente sind knifflig. Aber potenziell sehr wertvoll. Obwohl man sie ganz kostenlos und ohne teure Geräte durchführen kann!
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