Dieser Artikel ist Teil einer Serie über naturwissenschaftliche Experimente. Entsprechende Artikel werden hier im Blog bis Ende Juli erscheinen. Alle Artikel der Serie könnt ihr hier finden.
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Wenn es ums Experimentieren geht muss man sich in Physik und Astronomie meist eher wenig Gedanken um die Ethik machen. Medizinische Experimente sind da ganz anders; sehr oft arbeitet man da an und mit Lebewesen beziehungsweise sogar Menschen. Und da kann man natürlich nicht einfach so alles ausprobieren was man gerade interessant findet. Oder muss damit rechnen im Gefängnis zu landen wenn man es doch tut. In der Medizin muss man sich zu Recht immer Gedanken über die ethischen Konsequenzen eines Versuchs machen, egal ob man an Menschen oder Tieren experimentiert. Zumindest ist das heute so. Früher hatte man da weniger Hemmungen.
Der englische Arzt William Harvey hat zu Beginn des 17. Jahrhunderts vermutlich wenig darüber nachgedacht, ob es ok ist Versuche mit Tieren und Menschen anzustellen. Er hat aber sehr genau darüber nachgedacht was man mit solchen Experimenten herausfinden kann. Und HAT dann revolutionäre Entdeckungen gemacht. Vor allem was den Blutkreislauf angeht. Beziehungsweise war er derjenige, der ein für alle mal demonstriert hat, dass es so einen Blutkreislauf überhaupt gibt.
Wissenschaft ist ja manchmal komisch. Einerseits hat man den Anspruch objektives Wissen über die Natur zu erlangen; will sich nur nach dem richten, was erwiesenermaßen “wahr” ist und im Wechselspiel von Theorie und Experiment bestätigt werden kann. Andererseits hängt man dann aber doch immer wieder dem an, was “Autoritäten” erklären, ohne es so genau zu prüfen wie es eigentlich sein sollte. Das ist heute zum Glück nicht mehr ganz so schlimm; früher war es das aber.
Einer der bedeutsamsten Ärzte des Altertums war der Grieche Galen, der im 2. Jahrhundert arbeitete. Er war der Meinung, dass im Körper das Blut in der Leber erzeugt wird. Dunkles Blut, das durch die Venen bis zum Herz fließt. Dort wird es mit Luft vermischt die durch die Arterien fließt. Und das so entstandene helle Blut fließt dann ins Hirn wo es in eine Art “Hirntreibstoff” umgewandelt wird. Es fließt allerdings nicht zurück; es wird vom Körper absorbiert und deswegen muss die Leber immer neues Blut erzeugen. Deswegen muss man Menschen auch ab und zu zur Ader lassen, wenn sich zu viel Blut angesammelt hat. War zumindest das, was Galen behauptet hat und wie so oft mit den alten Griechen hat man deren Aussagen ziemlich unkritisch überraschend lange geglaubt.
Was die Sache mit dem Blut und dem Herz angeht haben im Laufe der Zeit jede Menge Menschen in Europa, Asien und Arabien festgestellt, dass Galen vielleicht doch nicht so recht hatte wie man dachte. Aber man war zögerlich die alte Autorität öffentlich anzuzweifeln. William Harvey dagegen, geboren am 1. April 1578 hatte da weniger Hemmungen. Der Sohn eines Bauern wurde zu einem einflussreichen Arzt; er wurde 1618 sogar zum Arzt des Königs ernannt. Und wollte die Sache mit dem Blut ein für alle mal rausfinden. Dabei wollte er sich nicht auf Spekulationen verlassen sondern auf konkrete Beobachtungen und Experimente. Und wo kann man die Funktion von Herz und Blut am besten erforschen? Im Körper eines Lebewesens, am besten so lange es noch lebending ist.
Harveys Vorlesungen würden heutige Studierende vermutlich – zu Recht – sehr irritieren und abschrecken. Seinen damaligen Schülern präsentierte er aber zum Beispiel einen lebendigen Hund. Der wurde auf einem Seziertisch festgebunden. Ein Schnitt in den Brustkorb ließ das Tier verstummen, aber noch am Leben. Harvey legte das Herz frei und erklärte, dass es nicht nur eine “Mischkammer” ist, sondern eine Pumpe und zwar eine die pumpt und nicht saugt. Die aktive Phase des Herzens ist dann, wenn es sich zusammenzieht was er eindrucks- und grauenvoll demonstrierte in dem er eine Schlagader des Hundes in dem Moment durchschnitt in dem dessen Herzen kontrahierte und so eine Blutfontäne erzeugte die über den Tisch spritzte.
Würde man heute so eher nicht mehr machen… Bei Menschen war Harvey dann zum Glück ein wenig zurückhaltender. Aber auch hier demonstrierte er in einem genial simplen Experiment wo und wie das Blut durch den Körper fließt. Er ließ Versuchspersonen den Arm anspannen, band ihn ab so dass das Blut sich staute und die Blutgefäße sichtbar wurden. Sichtbar wurden auch die Venenklappen, also die Ventile die den Blutstrom lenken. Durch Druck auf bestimmte klappen konnte Harvey den Blutfluss nun manipulieren und feststellen, wo sich das Blut staute und in welche Richtung es floß. In den Venen zum Herzen hin, in den Arterien vom Herz weg, immer im Kreis. Dass der Mensch unmöglich ständig ausreichend Blut nachproduzieren könnte wenn es keinen Blutkreislauf gäbe zeigte er mit entsprechenden Berechnungen der durch das Herz fließenden Blutmenge die viel zu groß waren um im Körper sinnvollerweise rechtzeitig nachgebildet zu werden.
Harveys medizinische Forschung war ohne Zweifel revolutionär. Sie war auch ohne Zweifel sehr grausam. Vivisektionen, also operative Eingriffe an Lebewesen und noch dazu ohne Narkose und mit tödlichem Ausgang können heute, wenn überhaupt, nur unter sehr strengen Auflagen stattfinden und auch nur dann, wenn man glaubhaft machen kann, dass es wirklich absolut notwendig ist (und man kann durchaus darüber diskutieren ob es überhaupt irgendwann notwendig sein muss). Die Medizin hat heute glücklicherweise andere Methoden gefunden um an ihre Erkenntnisse zu kommen.
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