Dieser Artikel ist Teil einer Serie über naturwissenschaftliche Experimente. Entsprechende Artikel werden hier im Blog bis Ende Juli erscheinen. Alle Artikel der Serie könnt ihr hier finden.
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Die Gravitationskonstante könnte man als das Problemkind der Physik bezeichnen. Dabei ist sie enorm wichtig. Immerhin beschreibt sie die Stärke der Gravitationskraft, eine der fundamentalen Kräfte im Kosmos die so gut wie alles bestimmt was dort abläuft. Sie bestimmt, wie stark die Raumzeit durch Massen gekrümmt wird; sie bestimmt wie stark sich Massen gegenzeitig anziehen; wie Sterne funktionieren; das Universum angefangen hat und enden wird. Ihr Wert beträgt circa 6,674 x 10-11 m³/kg/s². Und in diesen Zahlen liegt die eigentlich Schande. Beziehungsweise in den Zahlen die dort nicht stehen. Denn tatsächlich kennen wir die Gravitationskonstante nur auf 3 Stellen hinter dem Komma wirklich genau. Der offiziell empfohlene Wert lautet 6,67430 x 10-11 m³/kg/s²; die zusätzlichen beiden Stellen hinter dem Komma sind aber umstritten.
Alle anderen wichtigen Naturkonstanten kennen wir viel genauer; mindestens auf acht Stellen hinter dem Komma und meistens noch viel mehr. Nur bei der Gravitationskonstante kommen wir nicht weiter. Sie taucht das erste Mal in der berühmten Gravitationsgleichung von Isaac Newton auf. Der aber selbst keinen Wert dafür angeben konnte; auch der Meinung war dass die Messgenauigkeit nicht ausreichen würde sie zu bestimmen und sie immerhin auf circa 7 x 10-11 m³/kg/s² abschätzen konnte. 1774 konnte man im Schiehallion-Experiment (das ich schon letzte Woche vorgestellt habe) auf circa 8x 10-11 m³/kg/s² bestimmen. Das erste Mal direkt gemessen wurde sie aber erst 1798 durch Henry Cavendish und sein klassisches Experiment mit der Drehwaage.
Ich selbst habe dieses Experiment im ersten Semester meines Astronomie-Studiums vorgeführt bekommen. Der Aufbau ist überraschend simpel: Man hat zwei kleine Kugeln die an einem Staub montiert sind der an einer Schnur drehbar aufgehängt ist. In unmittelbarer Nähe der kleinen Kugeln hängen zwei schwere Kugeln. Die schweren Kugeln ziehen die leichten Kugeln an, verdrehen dabei den Stab und aus dem Ausmaß der Drehung kann man direkt die Stärke der Gravitationskraft und damit die Gravitationskonstante messen.
Jetzt ist die Gravitation aber eine sehr schwache Kraft. Und die Drehung der “Gravitationswaage” enorm gering. Um den Effekt größer und sichtbar zu machen verwendet man einen Spiegel, der an der Schnur angebracht ist. Darauf wird ein Lichtstrahl (heute ein Laser) gerichtet und wenn sich die Waage dreht, dreht sich auch der Spiegel und die Reflexion des Lichtstrahls auf einem weit entfernten Schirm ändert seine Position.
Trotzdem ist klar, dass so ein Versuchsaufbau knifflig ist. Es reicht schon ein winziger Luftzug, eine kleine Erschütterung, eine Veränderung der Temperatur, und so weiter um die Waage viel stärker zu bewegen als es allein die Gravitationskraft zwischen den Kugeln tut. All diese Einflüsse muss man so gering wie möglich halten; idealerweise befindet man sich selbst überhaupt nicht im selben Raum wie das Experiment. Cavendish hat sein bestes getan um die ganzen Einflüsse abzuschirmen, hat alles in einer verschlossenen Kiste montiert; die Kiste in einem Schuppen gestellt und das ganze von außen mit einem Teleskop durch kleine Löcher in der Wand beobachtet.
Am Ende kam Cavendish auf einen Wert der Gravitationskonstante von 6,74 x 10-11 m³/kg/s². Beziehungsweise ist unklar, ob er diese Zahl überhaupt berechnet hat. Er war vor allem daran interessiert, die Dichte und die Masse der Erde zu bestimmen, die sich ebenfalls direkt aus den Messdaten berechnen lassen. Aber man kann die Daten eben auch benutzen um die Gravitationskonstante abzuleiten.
Schon damals jedenfalls lag Cavendish mit seiner Messung nur 1 Prozent neben dem offiziellen Wert von heute. So wenig Fortschritt in mehr als 200 Jahren ist schon ein wenig unangenehm. Und peinlich. Heute kann man natürlich schon genauer messen als damals. Die Experimente der Gegenwart sind verschiedene Variation der ursprünglichen Gravitationswaage. Denn anders geht es auch kaum: Will man die Gravitationskonstante kennen, muss man irgendwie die Stärke der Gravitationskraft zwischen zwei Objekten messen. Wir könnten dafür sehr große Objekte wie Sterne oder Planeten nehmen und deren Bewegung beobachten. In so einem Fall wäre die Gravitationskraft stark und leichter zu messen. Aber man kann die Massen von Sternen und Planeten nur sehr ungenau bestimmen. Also muss man kleine, “irdische” Objekte nehmen die sich sehr genau vermessen lassen; dafür ist der Effekt dann eben sehr viel geringer.
Man könnte nun meinen, dass wir uns mit immer neuen und besseren Messungen immer weiter an einen immer genaueren Wert herantasten. Tun wir aber nicht. Die Fehlerbalken der Messungen werden zwar tatsächlich immer kleiner. Unterschiedliche Experimente liefern aber unterschiedliche Ergebnisse die innerhalb der Fehlergrenzen nicht übereinstimmen! Was sehr doof ist. Denn das heißt, dass irgendwas mit den Experimenten nicht so läuft wie wir uns das denken. Oder das vielleicht die Gravitationskonstante nicht so funktioniert wie wir glauben und vielleicht auch gar nicht konstant ist.
So oder so: Wir werden weiter messen. Was sollen wir auch sonst tun?
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